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zu übergeben. Als er sich wieder in die Nähe des Obduktionstisches wagte, war dem Gerichtsmediziner der Leichnam einer jüngeren Frau zur Untersuchung gebracht worden.

      «Ich richte mein Augenmerk zuerst nach Befunden an der Leiche, die auf Unfall, Suizid, eine strafbare Handlung oder sonstige Gewalteinwirkung hindeuten», begann der Gerichtsmediziner. «Dazu gehören Verletzungszeichen, ungewöhnliche Injektionsmale, Erstickungszeichen, zum Beispiel punktförmige Blutungen in den Bindehäuten, Strommarken, Zeichen von Vergiftungen und die besondere Farbe, Form oder Lage der Totenflecke oder der Hautdruckstellen. Von alledem kann ich hier nichts finden. In unserem Fall haben wir es ganz offenbar mit einer selbst herbeigeführten Vergiftung durch Kohlenmonoxid zu tun. Kohlenmonoxid besetzt im Körper die Bindungsstellen für den lebenswichtigen Sauerstoff. Die Symptome der Kohlenstoffmonoxid-Vergiftung entstehen also im weiteren Sinne durch einen Sauerstoffmangel. Bei schwersten Vergiftungen kommt es zum Schock, zur Bewusstlosigkeit und zum Tod durch Überhitzung und Lähmung des Gehirns. Nur selten tritt eine kirschrote Verfärbung der Haut auf. Hellrote Totenflecke können aber auch vom Kältetod herrühren. Um das zu klären, mache ich einen Schnitt in den Oberschenkel der Toten. Ist die Muskulatur hellrot, handelt es sich um eine Kohlenstoffmonoxid-Vergiftung, ist sie dunkelrot, um einen Kältetod. Um ganz sicher zu sein, ob eine tödliche Gasvergiftung vorliegt, lassen wir im Labor die Konzentration des Kohlenmonoxid-Hämoglobins im Leichenblut bestimmen. Bei einer Kohlenmonoxid-Intoxikation ist der Anteil des Carboxyhämoglobins am gesamten Hämoglobin stark erhöht …»

      Ludwig Wittenbeck sollte aus dem Krankenhaus entlassen werden. «Ruhen Sie sich aus, und genießen Sie die Natur!», hatte der Chefarzt bei der Verabschiedung gesagt, nachdem er in der Krankenakte gelesen hatte, dass sein Patient in Kladow wohnte.

      «Aber ich werde Kladow in Kürze verlassen und in die Kaubstraße ziehen, sozusagen in die West-Berliner Innenstadt. Gekauft ist das Haus schon, es muss aber noch renoviert und neu eingerichtet werden. Bisher habe ich da nicht viel mehr als ein Sofa, einen Tisch und ein paar Stühle stehen, aber in die Selbitzer Straße will ich nicht mehr zurück.»

      Eben noch hatte er den lebhaften Krankenhausalltag genossen, nun war er wieder mit einem monotonen Tagesablauf und dem Alleinsein konfrontiert. Er war müde. Plötzlich verspürte er unwillkürlich eine starke Sehnsucht nach seiner Ehefrau Gisela. Von seinem Neffen Siegfried hatte er inzwischen erfahren, dass sie in der Pension Groß in der Konstanzer Straße untergekommen war. Die Nummer fand er schnell im Telefonbuch. Ohne lange über das Für und Wider eines Anrufs nachzudenken, wählte er sie. Besetzt. Auch beim zweiten Mal hörte er nur das schnelle Tuten in der Leitung. Er fluchte. Der Drang, mit jemandem zu sprechen, war zu stark, als dass er den Hörer jetzt wieder aufgelegt hätte. So rief er bei seiner Firma an, denn die Nummer kannte er auswendig.

      «Pulmo Sanitatem Berlin, Hövelhoff. Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?»

      «Guten Tag, Frau Hövelhoff. Wittenbeck hier. Bitte verbinden Sie mich mit Herrn Suthfeld.»

      «Schön, wieder von Ihnen zu hören, Chef. Haben Sie alles gut überstanden? Sind Sie wieder zu Hause?”

      «Ja, danke, es geht mir gut, und ich werde auch bald wieder ins Büro kommen. Sie können mich jetzt in der Kaubstraße erreichen. Moment mal …» Die neue Nummer hatte er noch nicht im Kopf, und es dauerte ein Weilchen, bis er sie ihr durchgegeben hatte. «Wenn Sie mich dann bitte durchstellen könnten …» Wittenbeck hatte keine Lust zu einer längeren Plauderei mit einer Angestellten, die eine graue Maus war und so gar nicht seinem Beuteschema entsprach.

      Endlich war sein Kompagnon in der Leitung, und auch der fragte ihn enervierenderweise nach seiner Gesundheit.

      «Du hast dich zu früh gefreut, Thomas, ich bin schon wiederauferstanden aus meinen Ruinen und werde baldmöglichst wieder unter euch weilen. Wir müssen aber vorher noch abklären, ob wir die klinische Studie für unser neues Mittel, das das Natriumcromoglicat ersetzen soll, wirklich schon am 1. November beginnen oder erst noch ein wenig über einen besseren Trockenpulverinhalator nachdenken», sagte Wittenbeck.

      Sie debattierten eine Zeit lang über die richtige Vorgehensweise, dann legte Wittenbeck auf. Nun war es wieder unerträglich still in seinem «Palazzo Ludovico», wie Gisela immer gelästert hatte. Er schaltete das Radio ein, den RIAS. Da gab es gerade eine Wiederholung von Club 18 – Jazz für alle von und mit John Hendrik. Da Wittenbeck Liebhaber der klassischen Musik war, stellte er das Gerät schnell wieder ab.

      Plötzlich klingelte das Telefon. Den Anschluss hatte er vom Vorbesitzer übernehmen können. Wahrscheinlich wieder jemand, der sich verwählt hatte, dachte er. Doch es war sein Neffe Siegfried Heideblick. «Ich bin’s, Onkel Ludovici. Ich wollte mal hören, wie es dir geht.»

      «Gut, danke der Nachfrage. Ich werde aber wohl nicht so schnell wieder durch Wald und Flur wandern und meinen Heideblick genießen», scherzte er.

      Der Neffe lachte. «Na, dann mach es dir so lange auf deinem Sofa bequem. Das hast du schließlich von mir bekommen. Möbelglück durch Heideblick. Die Möbelstücke, die du ansonsten noch bestellt hast, liefern wir dir nun peu à peu. Ich hab ja den Schlüssel, aber wenn du zu Hause bist, dann umso besser.»

      Sie hätten sicher noch eine Weile geplaudert, aber da wurde am Gartentor geklingelt.

      Wittenbeck warf einen schnellen Blick durchs Fenster. «Ah, das ist der Monteur! Ich soll in den nächsten Tagen meine neue Gastherme bekommen, und er will sich voher alles mal ansehen.»

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