Attentat auf Honecker und andere Besondere Vorkommnisse. Jan Eik
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Dass der ihm das edle Waidwerk vorenthielt, traf ihn tief. Nicht einmal die Politprominenz zweiter Garnitur, die zu seinem Kundenkreis zählte, vermochte ihm da zu helfen. In den Befragungsprotokollen der Staatssicherheit tauchten zahlreiche renommierte Namen auf. Über einen prominenten Autor ist nachzulesen, er habe Eßling zu Hause besucht und sei von dessen Bekannten K. nach Hause gefahren worden. Betroffen bestätigte der Schriftstellerkollege den Vorgang. Bis zu unserem Gespräch darüber hatte er nicht geahnt, dass ihn die flächendeckende Überwachung der Stasi mit dem „Honecker-Attentäter“ in Verbindung gebracht hatte.
Paul Eßling baute seine Kamine auch in Häusern und „Datschen“ der Stasi-Oberen, unter anderem bei Markus Wolf, in mehreren Armee-Objekten und in den „Jagdhütten“ des Sportvereins Dynamo bei Groß-Schönebeck. Er war stolz auf seine Arbeit, die jeder schätzte. Ins Jagdkollektiv wurde er dennoch nicht aufgenommen. „Unsere Jagdgesellschaft ist durch Abtrennung eines Jagdgebiets an eine andere Jagdgesellschaft mit Jägern weit überfordert“, hieß es in einem von mehreren Ablehnungsschreiben auf seine wiederholten Aufnahmegesuche.
Jene „andere Jagdgesellschaft“ hatte in der Schorfheide seit über hundert Jahren ihre eigene Tradition. Diese reichte von Kaiser Wilhelm über den „Reichsjägermeister“ Hermann Göring bis zu Erich Honecker und Genossen. Selbst als Paul Eßlings Munitionslieferant, der Diplom-Staatswissenschaftler K., der als „Versorger“ für die Waldsiedlung Wandlitz tätig war und ein Jahr nach dem Tod des Ofensetzers auf der F 109 in seiner Jagdhütte selbst Suizid beging, sich im angeblichen Auftrag von „General Wolf“ für den Möchtegern-Jäger einsetzte, half das nicht. General Günter Wolf, Chef der Hauptabteilung Personenschutz im MfS, zeichnete für den Butler-Service in der Waldsiedlung Wandlitz verantwortlich. Er hatte seinen Untergebenen nicht nur schriftlich befohlen, ihre Arbeitsaufgaben „zur optimalen und niveauvollen Betreuung und Versorgung der führenden Repräsentanten, ihrer Familienangehörigen und Gäste … jederzeit vorbildlich, mit hoher Einsatzbereitschaft, revolutionärer Wachsamkeit und tschekistischer Meisterschaft zu realisieren“, sondern sie auch allen Ernstes angewiesen, den hohen Herren Genossen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, bevor er überhaupt ausgesprochen wurde.
Dass sich ein Stasi-General für Paul Eßling eingesetzt haben soll, bleibt merkwürdig, denn der war bekanntermaßen aufmüpfig. Doch letztlich wog wohl das gängige DDR-Motto „Privat geht vor Katastrophe“ schwerer als das Gemoser des Mannes, den alle brauchten. Als die Stasi nach den „staatsfeindlichen Äußerungen“ Eßlings in Klosterfelde fragte, wollte sie dort niemand bestätigen. Vielmehr wurde der abgängige Mitbürger als ein in „politischer Hinsicht zurückhaltender Mensch charakterisiert“, obwohl es viele besser wussten. Selbst die zahlreichen „ehrenamtlichen Informanten“ der Firma gaben sich unwissend und behaupteten, dass Eßlings Jagdleidenschaft bekannt gewesen sei, nichts jedoch über die Waffen in seinem Besitz gewusst zu haben.
Auch das war ausgesprochen unglaubwürdig. Paul Eßling war häufig im Wald herumgestreift und -geritten und hatte etliche Jäger verärgert. Es war nicht unbemerkt geblieben, dass er gewildert und Rehe und Wildschweine geschossen hatte. Mindestens ein solcher Vorfall war aktenkundig, wie die Stasi herausfand. Außerdem stammte die Munition für Eßlings Jagdwaffen – anders als die von der Deutschen Waffen- und Munitions-AG Berlin Borsigwalde produzierten Vorkriegspatronen für seine Walther-Pistole – aus den 1970er-Jahren. Die konnte in der DDR nur ein ausgewählter Personenkreis besorgt haben.
Das MfS protokollierte all das säuberlich und unternahm weitere umfangreiche Nachforschungen. Aber so recht schien niemand daran interessiert gewesen zu sein, ausgerechnet in der Nähe von Wandlitz in einem schier bodenlosen Sumpf herumzustochern. Vier magere Seiten füllt beispielsweise die bemerkenswerte Tatsache, dass ein Offizier der eigenen Firma, Oberstleutnant Al. von den rückwärtigen Diensten der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), Eßling für Westgeld dessen beide Luftdruckpistolen besorgt hatte.
Ausführlicher dargestellt wurden die charakterlichen Schwächen Paul Eßlings, man ließ zu diesem Zweck sogar ein nachträgliches medizinisches Gutachten anfertigen. In ihm wurde Eßlings wenig geselliges, leicht reizbares und rechthaberisches Wesen hervorgehoben. Besonders nach dem Verlust der Familie habe sich der zu Alkoholmissbrauch neigende ziel- und willenlose Mann – schon Vater und Großvater seien „Potatoren“ gewesen, Quartalstrinker – hilflos und unsicher gefühlt. Aus diesem Persönlichkeitsbild wurde geschlussfolgert, man habe es mit dem „Bilanzselbstmord“ einer „anankastischen [zwanghaften] Persönlichkeit“ zu tun.
Für die Staatssicherheit war das eine annehmbare Lösung des Falls Paul Eßling. Der zwölfseitige, vom Abteilungsleiter Oberstleutnant Lehmann unterzeichnete Abschlussbericht der Hauptabteilung Untersuchung bescheinigte Eßling außerdem, er habe sich in einem „schuldhaft herbeigeführten, die Zurechnungsfähigkeit vermindernden Rauschzustand (Psychose)“ befunden, und kam zu dem Ergebnis, es könne ausgeschlossen werden, dass E. aus einer „feindlichen negativen Haltung heraus gezielt einen Angriff auf eine Repräsentantenfahrt geführt oder geplant hatte“.
In Klosterfelde kehrte allmählich wieder Ruhe ein. Angesichts der umfangreichen Stasi-Aktivitäten im Ort war das auch allen recht, denn darüber sprechen durften sie ohnehin nicht. Die Sicherheitsbestimmungen für „Repräsentantenfahrten“ wurden verschärft. Und dem besonders mit der Sicherung der Protokollstrecke beauftragten IM „Hans Berger“, der nicht ahnte, dass man vorsichtshalber auch sein Telefon abhörte, und der in Eßling seinen besten Goldbrand-Kunden verloren hatte, wurde in Anerkennung besonderer Leistungen bei der Aufklärung des „Vorkommnisses“ eine Spieluhr im Wert von 350 Mark überreicht.
Der Streit der Leibwächter
Als das Ende der DDR eingeläutet war, ließ die Geschichte um Paul Eßling dann doch noch einmal den Blätterwald rauschen. Nachdem „Das Magazin“ 1990 in seiner April-Ausgabe einen „Report“ zu dem Fall gebracht hatte, meldeten sich nach und nach auch Honeckers ehemalige Leibwächter zu Wort.
„Bild“ widmete Ende März 1990 dem angeblichen Augenzeugen Bernd Brückner eine Serie, obwohl der den Vorfall selbst gar nicht miterlebt hatte. Silvester 1983 war einer seiner raren freien Tage gewesen. In Brückners Mär machte sich der „stockbetrunkene Ofensetzer“ in einem Trabant, den zwei Männer des Begleitkommandos beiseitegeschoben hatten, an die Verfolgung der Kolonne. „Und da passierte es: Der Ofensetzer sprang, wie von Sinnen – und das war er ja auch –, aus seinem Trabi und zog eine Pistole, zielte und schoß …“ Brückner betonte, dass man nur auf Angriffe von vorne vorbereitet gewesen sei: „Für solche Fälle war vorgesehen – und tausendmal geübt worden – dass der Citroën mit der Nummer 1 seine Fahrt stark abbremst, ohne anzuhalten, der Kommandowagen an ihm vorbeizieht und vor dem Hindernis stoppt … Die Kollegen reißen als Deckung alle vier Türen auf, gehen dahinter mit der Waffe in Stellung und einer läuft zum Hindernis, um die Lage zu klären.“
Als ihn das MDR-Fernsehen noch einmal im Juni 2003 als Sachverständigen für das Honecker-Attentat präsentierte, korrigierte Brückner sich: „Das Fahrzeug mit dem Tatverdächtigen hielt an, und ein Mitarbeiter der Verkehrspolizei stieg aus, um den Fahrer zu kontrollieren. Dieser schoss ohne Vorwarnung auf den Mitarbeiter der Verkehrspolizei und verletzte diesen schwer. Der Kollege, der zweite Kollege, schoss zurück. In diesem Augenblick hatte sich aber der Tatverdächtige bzw. der Täter schon selbst erschossen.“