Niccoló und die drei Schönen. Gunter Preuß
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Nun, es wunderte keinen, dass Lisa und Ganescha sich ineinander verliebten. Es schien einfach alles zu passen zwischen den beiden. Zwischen den dreien ist wohl richtiger. Alle Artisten wünschten ihnen alles Glück der Welt.“
Balanca sah Niccolò prüfend an, dann lächelte er, umschloss einen Moment lang mit seiner Pranke die Hand Niccolòs und sprach gelassen weiter.
„Ganeschas Attraktion war also Assan, der Sprechende Elefant. Angeblich sollte er das letzte Exemplar der legendären Weißen Elefanten sein. Was aber kaum einer wusste: der tonnenschwere Dickhäuter wurde von Ganescha bei Nacht mit einer speziell dafür angefertigten Farbe weiß angestrichen.
Nun, Ganescha nahm Lisa als Assistentin in seine Nummer auf. Das Publikum fand sie reizend, vor allem aber wohl Assan, der sich ebenso unsterblich in die kleine Lisa verliebt hatte wie sein Herr. Der sonst sprichwörtlich dickköpfige Elefant, wurde in Lisas Nähe zahm und folgsam wie ein Schoßhündchen. Es war einfach wunderbar anzusehen, wie der verliebte Tierriese mit seinem mächtigen Rüssel zärtlich das Gesicht des Mädchens abtaste. Wenn sie ihn dann auf das haarige Rüssellende küsste, öffnete Assan sein Maul, ließ ihren Kopf darin verschwinden und trug sie, sozusagen auf Zehenspitzen, durch die Manege. Unter dem rauschenden Beifall des Publikums setzte er sie dann wieder ab. Und Lisa verwöhnte ihren verliebten Dickhäuter mit Zuckerstücken und Pralinen.“
„Ja und?“, fragte Niccolò gespannt, als sein Großvater nicht weiter erzählte. „Ist das etwa schon der Schluss?“
„Geschichten haben nie ein Ende“, antwortete Balanca ausweichend. „Hier sind alle noch glücklich. Aber wer weiß, wie es später aussieht.“
„Ich will es aber wissen“, sagte Niccolò. „Man kann doch nicht einfach mitten drin aufhören. Das ist gemein.“
„Du hast ja Recht“, stimmte der Großvater zu. „Also, weiter im Text: Ganescha gegenüber hatte sich Assan zusehends verändert. Zuerst begegnete der Elefant seinen Herrn mit Gleichgültigkeit und dann mit Abweisung. Von Ganescha nahm Assan keine Kommandos mehr entgegen. Aber Lisa brauchte nur mit dem Finger zu schnippen und schon lernte der Dickhäuter den schwierigsten Trick. Ganescha war zwar nicht erfreut von Assans Verhalten, aber um des lieben Friedens willen, überließ er seiner Freundin die Vorführung und assistierte nur noch.
Aber der Elefantenbulle wollte nun Ganescha gar nicht mehr in der Nähe haben. Wenn Ganescha sich Lisa nur näherte, schlug Assan mit den Ohren und stieß wütende Trompetenstöße aus.
Ganescha und Lisa berieten, was zu tun sei. Sie wollten nicht, dass der Elefant, der sie zusammengebracht hatte, sie nun auseinander brächte. Sie legten ihr ganzes Geld zusammen, borgten sich noch einen Großteil dazu und kauften die wunderschöne indische Elefantendame Calcutta. Sie führten sie Assan zu und hofften, dass der Elefantenbulle sich in die imposante Schöne verlieben würde. Aber so sehr Calcutta Assan auch umschmeichelte, so wenig interessierte der sich für sie. Seine ganze Liebe galt nach wie vor Lisa.“
Balanca legte eine Pause ein. Niccolò wusste nicht, ob sein Großvater nur die Spannung erhöhen wollte oder aber Zeit brauchte, um Licht in die Vergangenheit zu bringe.“
„Erzähle doch weiter“, drängte Niccolò. „Bitte.“
„Nun, die Saison war bald zu Ende. Ganescha meinte, Assan müsse Lisa wieder entwöhnt werden. Lisa solle sich unters Publikum setzen und ihm die Vorführung überlassen. Was früher geklappt hätte, das würde auch heute möglich sein.
Zur Abendvorstellung setzte sich Lisa nur widerstrebend unters Publikum und erwartete angespannt den Auftritt Ganeschas und Assans. Sie hatte vorher dem Elefantenbullen, der erkältet war, nach dem alten Zirkusrezept Elefantenkur, einen Eimer Tee gekocht, der zur Hälfte mit Weinbrand vermischt war, und genüsslich schlürfen lassen. Dann war sie mit schlechtem Gewissen davongeschlichen.
Als Ganescha dann Assan in die Manege führte, umschloss Lisa ganz fest ihre Daumen. Der Elefant schüttelte auf Ganeschas Kommandos nur den gewaltigen Schädel. Seine hellen Trompetenstöße riefen immer dringender nach Lisa.
Das Publikum begann zu lachen. Ganescha wurde unsicher und schließlich wütend. Als er mit dem Eisenpickel, den er sonst nie benutzt hatte, dem Bullen einen Stoß versetzte, schrie dieser auf. Er warf Ganescha mit einem Schlenker seines Rüssels in den Sand und stieg wie ein Pferd auf die Hinterbeine, um seinen Herrn zu zertrampeln.
Die Zuschauer waren aufgesprungen und standen wie versteinert – jeden Augenblick musste der wütende Elefantenbulle den Mann unter sich zermalmen. Da stürzte Lisa in die Manege und sprang mit hochgereckten Armen zwischen Assan und Ganescha. Der Elefant setzte nun mit seinen Vorderfüßen behutsam auf dem Manegensand auf. Er grunzte vor Freude, sein Rüssel umspielte zärtlich Lisas Körper, dann tastete er über ihr Gesicht.
Nun, Lisa brachte die Vorstellung problemlos zu Ende. Das Publikum dankte mit donnerndem Applaus. Hinterher sagten die Leute, dass alles doch nur Show gewesen sei.“
Niccolò atmete erleichtert auf, doch dann sagte er: „Aber das ist doch immer noch nicht der Schluss der Geschichte.“
„Du hast es wieder einmal getroffen, Kollege“, sagte der Großvater schmunzelnd. „Du willst also wissen, wie es wirklich ist.“
„Das will ich wissen“, verlangte Niccolò, obwohl er ahnte, dass sein Wunsch nach einem glücklichen Ende sich nicht erfüllen würde.
„Nun, Ganescha und Lisa haben schweren Herzens Assan und Calcutta an einen Zoo verkauft. Ich weiß nicht, ob die Elefantenliebe die beiden Riesen doch noch gepackt hat. Ich weiß nur, dass aus Ganescha wieder Fritz Müller und ein Bäckermeister wurde. Und Lisa hat nie im Operettentheater getanzt. Aus Fräulein Kowalke wurde Frau Müller. Sie verkauft wohl heute noch in ihrem Laden die Brötchen, die ihr Mann bäckt.“
Balanca zog seine goldene Taschenuhr, die er an einem Lederband um den Hals trug, hervor, und warf einen Blick darauf. Sein Fuß trat ein paar Mal auf den Gashebel, dass der Motor hart und eilig tuckerte.
„Feierabend“, sagte Balanca. „Die Welt haben wir zwar nicht sauber bekommen, aber immerhin ein paar Straßen gekehrt.“ Er hupte, dass der Weg frei wurde, und steuerte die Kehrwalze zum Maschinenpark der Stadtreinigung zurück.
Auch als sie schon im Gedränge in der Straßenbahn standen, ging Niccolò die Elefantengeschichte nicht aus dem Kopf. War der Platz in der Liebe wirklich so eng? Reichte er gerade mal so für zwei? Ein Dritter war dafür wohl nicht vorgesehen. Und ein Vierter gar, wie die Elefantenkuh Calcutta, hatte wohl gar keine Chance. Und er, Niccolò Rosenbusch, liebte drei Frauen. Was sollte daraus nur werden?
Er raunte dem Großvater zu: „Die Liebe, Balanca. Kann man denn gar nichts dagegen tun? Oder vielleicht dafür? Was soll man denn da bloß machen?“
„Bist du denn verliebt, Kollege?“, fragte Balanca zurück.
„Ich weiß nicht“, antwortete Niccolò. „Ich weiß nur, dass was passiert ist. So was wie ein Erdbeben. Oder eine Überschwemmung. Zur Zeit ist es ein ganz furchtbares Durcheinander. Mehr weiß ich leider nicht.“
„Also eine Katastrophe“, mischte sich eine Frau ein, die neben ihnen stand und zwei hechelnde Möpse an sich drückte. Sie lachte verächtlich und sagte: „Anscheinend bist du tatsächlich verliebt, mein Junge. Nun sieh mal zu, wie du aus dem Schlamassel heil wieder heraus kommst. Ich jedenfalls habe es geschafft. Ich sage es jeden: Meinen Mann hat der Teufel geholt. Von mir aus kann der alle Männer holen.“