In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling
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Wie gesagt, um all das wusste ich sehr wohl, auch schon als Kind und Jugendlicher. Aber so recht zu schätzen wusste ich es damals noch nicht. Von echter Dankbarkeit für diese Fakten des dörflich-bäuerlichen Lebens konnte kaum die Rede sein. Da war zu viel, was uns als Kinder störte; zu viel, was uns als Jugendliche daran hinderte, dieses Milieu gutzuheißen. Denn das Leben auf dem Land war hart, entbehrungsreich und nüchtern. Fast alles drehte sich um die Arbeit: Auf dem Hof, in den Ställen, auf den Feldern – oder, im Winter, im benachbarten Wald.
Kinder und Jugendliche waren wichtige Arbeitskräfte: Beim Holz-Herbeischaffen für den Küchenherd; beim Einsammeln der Hühnereier; beim Gießen der Gemüsebeete im Garten; beim Aufklauben der Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Nüsse; beim Füttern der Hühner, Schweine und Rinder; beim Ernten des Getreides im Sommer und der Kartoffeln und Zuckerrüben im Herbst ... Einfach überall, wo kleine Hände und flinke Kinderfüße sich nützlich machen konnten.
Die Schule, die Hausaufgaben, das mühsame Auswendiglernen des Katechismus oder der gängigen Gedichte unserer großen Poeten – all das zählte auf dem Bauernhof nichts, wenn dringende Alltagsarbeiten anstanden; Arbeiten, die von Kindern und Jugendlichen zu erledigen waren. Ohne Widerrede und ohne Murren.
Dass dies so sein musste, war uns Zehn-, Zwölf- oder Fünfzehnjährigen kaum zu vermitteln. Wir folgten einfach; be-folgten, was die Erwachsenen uns vorschrieben. Wir hatten zu gehorchen. Basta! – Umso mehr schielten wir zu jenen wenigen Mitschülern hinüber, deren Eltern keine größere Landwirtschaft betrieben; die vielleicht ein Geschäft führten, einem Handwerk nachgingen oder gar zu den Studierten gehörten – weil Ärzte, Lehrer, Rechtsanwälte etc. Da gab es zwar auch kleinere Arbeiten zu verrichten, diese waren aber überhaupt kein Vergleich zu unseren Aufgaben und Pflichten auf dem Bauernhof.
Damals empfanden wir es als ungerecht, dass wir so schuften mussten. Später, mit dem Abstand an Jahren, mit mehr Lebenserfahrung und Einsicht, auch in andere Berufszweige, da änderte sich dieses Bild sehr rasch und von Grund auf. Heute – und in der Rückerinnerung an die frühen Jahre im Elternhaus und auf dem Dorf, sehe ich es anders; wesentlich anders! Heute bin ich überaus dankbar, auch für die schwere Zeit des Kindseins und allmählichen Erwachsenwerdens. Gerade das Leben auf dem Lande hat mir persönlich unendlich viel gegeben; hat mein Leben bereichert; hat mir für meine späteren Aufgaben wesentliche Erfahrungen geschenkt, die ich sonst kaum hätte machen können.
Mein Wirken in Afrika3 wäre für mich um vieles schwieriger gewesen, hätte ich nicht auf Erfahrungen meiner Kinder- und Jugendjahre im Ochsenfurter Gau zurückgreifen können. Denn auf der Embakwe-Mission in Rhodesien (Simbabwe), wo ich ab Dezember 1959 tätig war (davor elf Monate in Bulawayo, der zweitgrößten Stadt des Landes), hatten wir neben den Pastoralaufgaben in der Pfarrei und den schulischen Verpflichtungen (vom Kindergarten bis zur Highschool mit Cambridge-Examen) jede Menge handwerkliche und agrarwirtschaftliche Aufgaben zu erledigen.
Wir hatten auf der Station im Schnitt 300 Stück Vieh, an die 50 englische Morgen unter künstlicher Bewässerung, mehrere Dämme als Wasserspeicher, mehrere Windmühlen als Wasserpumpen, eine weiträumige Werkhalle zur Ausbildung junger Afrikaner, ein kleines Buschhospital, 50 afrikanische und farbige (Mischlings-) Lehrer, 100 schwarze Tagesarbeiter (Frauen und Männer), 480 Mischlingskinder und Jugendliche an der Internatsschule – und somit täglich über 600 Münder zu verköstigen.
Ständig gab es etwas zu reparieren und auszubessern. Und viel zu bauen! Etwa mehrere Außenschulen, weit über das Hinterland verstreut. Ferner, auf der Hauptstation, ein Schwimmbad für die Internatsschüler/innen, einen Kuhstall für die trächtigen und milchgebenden Kühe (die Mehrzahl der Tiere blieb ganzjährig auf der Weide), Schul- und Wohngebäude sowie eine moderne Kirche für rund 850 Sitzplätze.
Die Ziegelsteine für unsere Neubauten stellten wir selber her; die Maurer und deren Gehilfen waren Afrikaner, einst angelernt und ausgebildet von unseren tüchtigen Brüdermissionaren, die inzwischen im Altenheim im südafrikanischen Mariannhill lebten – oder bereits verstorben waren.
John Jakob und andere Mitarbeiter des Missions-Teams
Natürlich war ich nie allein; nie der einzige Weiße auf der Station. Zeitweise standen mir zur Seite: Neben zwei Mariannhiller Patres (einer aus den Niederlanden und einer aus Österreich) noch zwei Brüder, 13 Ordensschwestern (mehrheitlich ausgebildete Gymnasiallehrerinnen aus Großbritannien) und ein englischer Missionshelfer.
Der Schweizer, Bruder Mauritius, war ein erstklassiger Schreiner und Zimmermann; aber auch Schlosser, Elektriker und Reparateur für schier alles. Er war unter anderem zuständig für defekte Autos, altersschwache Windmühlen, lecke Wassertanks, kaputte Stromkabel und dgl. mehr. Er redete nicht viel. Leute, die ihn nicht kannten, hielten ihn für einen kauzigen Einzelgänger. Er war aber alles andere als verschroben, sondern vielmehr ein treuer Ordensmann; ein Vorbild für uns Jüngere. Als er uns verließ – krumm, bucklig und hochbetagt –, um die letzten Jahre seines Lebens in einem ordenseigenen Seniorenheim in Südafrika zu verbringen, vor allem im Gebet und in der Erwartung eines neuen Lebens jenseits irdischer Mühen, Plagen und Ängste, da vermissten wir ihn sehr.
Bruder Lambert stammte aus den Niederlanden; er sorgte sich um das Vieh und die Landwirtschaft. Seine Sprache war meist ein Mix aus Deutsch, Englisch und Afrikaans (die Sprache der Buren in Südafrika). Unsere Schul- und Internatskinder sowie die schwarzen Tagelöhner, die er beschäftigte, nannten ihn Bradder Kommkomm. Später, als ich schon nach Deutschland zurückgekehrt war, verließ er die Mission, zog sich in die Wankie-Region zurück, lebte mitten unter Schwarzen, erkrankte schwer und verstarb in noch relativ jungen Jahren.
Der aus Tirol stammende Pater Alfons kümmerte sich um die Außenschulen, war Schulinspektor, dem die schwarzen Volksschullehrer unterstanden, und gleichzeitig mein Assistent (Kaplan) auf der Hauptstation, vor allem in pastoralen Angelegenheiten. Diesen Aufgabenbereich hatte er 1960/1961 von mir übernommen, als mir von meinem Vorgänger, Martin Elmar Schmid, eine neue Aufgabe zugewiesen wurde und ich die Verantwortung für den Gesamtkomplex Embakwe-Mission4 übernehmen musste. – Pater Alfons wurde später allseits geschätzter und respektierter bischöflicher Finanzmann der Diözese Bulawayo. Eines späten Abends stolperte er eine Art Kellertreppe hinunter – und starb bald darauf an seinen Verletzungen.
Pater Damian, Niederländer wie Bruder Lambert, hatte während des 2.Weltkriegs ein deutsches Arbeitslager kennengelernt und daher keine guten Erinnerungen im Rucksack. Dass ausgerechnet ein Deutscher (ich war der einzige Deutsche vor Ort) sein Chef sein sollte, schmeckte ihm nicht so recht. Aber seine Aufgaben machten es ihm einfacher: Als Bubenpräfekt für vorwiegend farbige Jungen war er weithin selbständig. Gelegentlich hatte er es auch mit den Lehrern und Lehrerinnen der High School zu tun und mit den englischen Nonnen. Letztere machten ihm das Leben nicht immer leichter. Dennoch – er hielt mehrere Jahre in Embakwe aus, ehe er, wie er meinte, einen leichteren Job übernahm, auf einer anderen Missionsstation.
John Jakob, Engländer mit deutschen Wurzeln, war ein Glücksfall für die ganze Station, vor allem aber für mich, den gerade erst mal 28 Jahre alten Baba-Umkhulu (Großer Vater) des Missionssprengels und Prinzipal der High-School. Ohne John wäre vieles von dem, was wir in Embakwe unternommen haben, kaum möglich gewesen. Als ich von Seiten der Ordensobern buchstäblich gezwungen wurde, unterm Gehorsam, wie man früher zu sagen pflegte, die, wie ich erst viel später erfuhr, schwer verschuldete Station zu übernehmen, sprich, Chef des Gesamtkomplexes zu werden, da bat ich Bischof