In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling
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Als sie schon die 80 überschritten hatte und es ihr gesundheitlich gar nicht mehr gut ging, plante ich eine vierwöchige Rundreise durch China; ein Jahr später durch die Sowjetunion. Damals, Mitte der 1980er Jahre, gab es noch keine verlässlichen Handys, und das normale Telefonieren aus diesen Ländern war noch sehr beschwerlich; fast unmöglich, wenn man in einer Gruppe reiste. Daher sagte ich Mama, ehe ich mich verabschiedete: In vier Wochen komme ich wieder. Und ich wusste, sie würde das Sterben entsprechend hinausschieben. So war es denn auch, und sie freute sich sehr, wenn ich ihr nach meiner Rückkehr erstmals wieder ein Grußwort sandte. Meine Postkarten kamen ja meistens erst Wochen später an, wenn überhaupt. An ein anderes zwischenzeitliches Lebenszeichen war damals und aus weit entlegenen Regionen nicht zu denken.
Natürlich fühlte sich unsere Mama in den langen Jahren nach Papas Tod (er starb 1949, als sie gerade 45 geworden war, und später, nachdem meine Geschwister ihre eigenen Familien gegründet hatten) nicht nur bei meinem Bruder Georg zu Hause, sondern auch bei meinen Schwestern Rita und Irene, die sich immer sehr um sie sorgten. Aber schon nach ein paar Wochen bei ihren Töchtern und deren Familien drängelte sie: Sie müsse wieder heim, in die altgewohnte Umgebung, wohin sie 1929 geheiratet hatte; zu den anderen Leuten im Dorf; vor allem zu Papas Grab. Dort, auf dem Dorffriedhof, fühlte sie sich ihm am nächsten; dort betete sie für alle, die ihr vorausgegangen waren; dort fand sie auch, viel später, selber ihre letzte Ruhe.
Unser Papa stammte aus einer alteingesessenen Schmiedefamilie. Er war der erste und älteste von fünf Buben (in einer langen Reihe von Schmieden), der das ehrenwerte Handwerk nicht erlernte, sondern stattdessen eine Landwirtschafts-Schule im benachbarten Tauberbischofsheim besuchte. Er mühte sich sehr, den kleinen ererbten Bauernhof zu modernisieren und auszubauen. Das Schmiede-Handwerk übernahm sein jüngerer Bruder Ludwig, mein Patenonkel, der sich am anderen Ende der Ortschaft eine neue Schmiede baute.
Unsere alte Schmiede stand noch bis in die 1960er Jahre. Wir Kinder hießen im Dorf immer nur die Schmieds-Rita, der Schmieds-Ludwig, der Schmieds-Georg und die Schmieds-Irene. – In der alten Schmiede versuchten wir Buben gelegentlich, den verbliebenen kleinen Amboss zu bearbeiten. Das war Musik für unsere Ohren; es hallte weithin übers Dorf. Vielleicht war das auch eine versteckt-ererbte Vorliebe für dieses Handwerk, das ich bei Onkel Ludwig immer wieder bewunderte. Er beherrschte es meisterhaft; es war damals weithin noch harte Knochenarbeit.
Schmiede schienen schier Alleskönner zu sein: Es galt, Pferde zu beschlagen, auf hölzerne Wagenräder eiserne Reifen aufzuziehen, handgeschmiedete Tore, Gitter und Zäune herzustellen, in der Lage zu sein, diverse landwirtschaftliche Maschinen zu reparieren, die Rohre für neue Wasserleitungen miteinander zu verbinden und vieles mehr.
Die Schmiede wurden auch oft gebraucht, wenn die Dreschmaschine im Dorf war oder wenn irgendwo gebaut wurde. Weil so vielseitig gefragt und verwendbar, wurden auch allerlei neue Kenntnisse von ihnen abverlangt, weit über das Pferdebeschlagen und Wagenräder-Aufziehen hinaus!
Der erste Schmied in unserem Dorf stammte aus Eichelsee bei Ochsenfurt; ein eingeheirateter Meister namens Balling. Seine Auserwählte war die Tochter des Bürgermeisters von Gaurettersheim, der damals noch Schultheiß genannt wurde. Sie brachte ein paar fruchtbare Äcker mit in die Ehe, die übliche Aussteuer und genug Geld sowie das Ansehen ihres Vaters. Das war für den Zugezogenen ein gewaltiger Vorteil.
In den Folgejahren wurde bei Ballings viel gebaut: Eine Schmiede, und, unter einem Dach, ein Wohnhaus, Kuh- und Pferdeställe sowie Vorratsräume für das Viehfutter. Hinzu kam später, knapp daneben, eine geräumige Scheune für die Getreideernte und das Stroh. Der Türbalken des Hauskellers trägt die heute noch gut sichtbare Jahreszahl 1737 – eingemeißelt in ortseigenen Sandstein.
Ebenfalls unterkellert waren Teile unserer Scheune. Dort lagerten neben Kartoffeln in meiner Jugend große Mostfässer. Zusammen mit den etwas kleineren Holzfässern im Hauskeller konnten wir bis zu 30 Hektoliter gegorenen Apfelwein (wir sagten Most dazu) aufbewahren. Unser Papa galt als ein exzellenter Mostler. Die Vorbereitungen zum Mostmachen mussten genau eingehalten werden. Da waren vor allem die leeren Fässer der Vorjahressernte gründlich zu reinigen. Das war eine eigene Prozedur: Auswaschen, schrubben und schließlich einschwefeln. Bei den großen Fässern war dies ohne langstielige Bürsten nicht möglich. Zuweilen, wenn die Fassöffnung entsprechend weit war, wurde andernorts sogar eines der heranwachsenden Kinder ins Fass gesteckt, um die Innenseiten des Mostfasses besser bearbeiten zu können.
In besonders guter Erinnerung ist mir das Ausschwefeln der Fässer: Da wurde ein längliches gelbes Schwefelblatt angezündet und mit einem Draht durch die Fassöffnung ins Innere gehängt. Anschließend drückte man den Deckel wieder fest aufs Fass, um den Schwefeldampf im Innern zu halten. – Der gesamte Vorgang des Mostfässer-Herrichtens sollte natürlich dazu beitragen, schädliche Bakterien zu vernichten, ehe neuer Apfelmost das Fass wieder füllen würde.
Wenn die Apfelernte gut ausfiel, verkauften wir nach dem Gärungsprozess einen Großteil des Selbst-Gekelterten. Aber sehr viel Most wurde auch an Fremde verschenkt, eigentlich an alle, die gerade vorbeikamen: Die zufällig oder auch mit Absicht, des schmackhaften Mostes wegen, bei uns hereinschauten. Wann immer der Postbote zu uns ins Haus kam, der Gemeindediener, der Tierarzt, ein Handwerker aus dem Nachbarort Bütthard oder wenn sonst jemand unseren Hof oder unser Haus betrat – ihnen allen wurde von unserer Mama ein Seidel Most angeboten. Und es gab kaum einen, dem dieser nicht geschmeckt hätte.
Beim Obstkeltern halfen wir Kinder gerne mit; der süße Apfelsaft hatte es uns angetan. Nur durfte man nicht zu viel davon trinken; das hätte Folgen haben und Probleme schaffen können, denn bis zum besagten Häuschen (mit einem Herz in der Brettertür) war es zwar nicht weit, aber es stand für alle sicht- und erreichbar im Hof, und Spötter und Stichler waren allemal zur Stelle, vor allem dann, wenn das einzige rasch erreichbare Häuschen dieser Art schon besetzt war ...
Das Leben und Arbeiten in der Dorfgemeinschaft war vielseitig und bunt
Anfangs der 1930er Jahre, noch ehe ich geboren wurde, baute Papa eine große moderne Stallung für unsere Pferde, Rinder und Schweine. Darüber befand sich ein riesiger Heuboden mit dem Vorratsfutter für die Wintermonate. Das getrocknete Heu konnte man, wenn gebraucht, bequem von oben in der Nähe der Futterkrippen herunterwerfen. Für damalige Verhältnisse das Modernste, was man sich auf einem fränkischen Bauernhof vorstellen konnte. – Ein kleinerer Teil des über der Stallung liegenden Bodens diente als Getreidespeicher und Schrotmühle. Letztere wurde während des Krieges und kurz danach von uns Buben oft tage- und wochenlang betrieben – mittels eines Elektromotors und langer Treibriemen, denn wir mahlten nicht nur das Futtergetreide für unsere Schweine und Rinder, sondern auch für mehrere kleinere Bauern, die keine eigene Mühle besaßen – und zwar sowohl für Ortansässige als auch für mehrere Bauern in den Nachbardörfern!
Die schweren Muschelkalksteine für das Fundament der über 30 Meter langen Stallung sowie für den Giebel auf der Straßenseite und einige andere Mauerteile hatte Papa in mühsamer Handarbeit und per Pferdewagen aus einem Steinbruch bei Gützingen-Kirchheim selbst angekarrt. So auch den Flusssand vom Main bei Ochsenfurt und die Zementsäcke vom acht Kilometer entfernten Bahnhof in Sonderhofen. Den Kalk bezog man von einem Kalkbrenner bei Röttingen a. d. Tauber. Lastwagen gab es damals schon, aber deren Transportkosten wollte man sich lieber ersparen.
Sparen war in diesen Jahren, zwischen den beiden Weltkriegen, eigentlich immer angesagt. Man mühte sich, möglichst autark zu sein, was die Esswaren anlangte. Aber auch vieles, was heute Fachleuten vorbehalten bleibt, versuchte