In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling

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In Dankbarkeit und Freude - Adalbert Ludwig Balling

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hin wurde dann Ignaz Kuhn vom amerikanischen Offizier zum Bürgermeister ernannt.

      Im Dorf selber hatten die Besetzer sich auf eigene Faust in mehrere Häuser einquartiert. Über ein paar Wochen hielten sie die Stellung und brachten eine total andere Kultur in die fränkische Region. Vieles, was sie taten und wie sie sich benahmen, war uns fremd. Sie verhielten sich für unsere Begriffe außergewöhnlich leger und lässig, um nicht zu sagen ruppig und flegelhaft. Auf jeden Fall, so meinten die Erwachsenen, seien ihr Benimm und ihre alltäglichen Verhaltensweisen echter Soldaten unwürdig.

      Wenn sie marschierten, hörte man nichts. Kaugummi-Soldaten sagten die älteren Männer schier schon verachtend. Völlig ungewohnt für deutsche Ohren, die sich an die lärmenden Soldatenstiefel der Wehrmacht gewöhnt hatten.

      Ständig hatten sie, die wir alsbald nur noch die Amis nannten, Kaugummi im Mund, warfen uns hin und wieder ein paar Päckchen zu, gähnten vor Langeweile laut und anhaltend, lümmelten sich auf mitgebrachten Klappstühlen, legten ihre Füße samt staubigen Stiefeln auf die Tische, rauchten ununterbrochen und quasselten in einem fort.

      An ihrer Feldküche blieben wir oft stehen: Die hatten vieles, was wir seit Jahren nicht mehr gesehen und gegessen hatten. Oder überhaupt noch nie. Und sie führten alles mit sich: Konserven über Konserven. Wenn sie ihre Steaks brieten, lief uns das Wasser im Mund zusammen. Ihre Weißbrote belegten sie mit Butter. Scheibchenweise! Darauf ein riesiges Kotelett. Das kam uns Dorfbuben fast vor wie ein Verbrechen gegen die Menschheit – gegen jene, die hungern mussten: Butter und Kotelett auf einer dünnen Scheibe! Als ich es zuhause unserer Mama erzählte, schüttelte sie nur den Kopf. Heimlich hielt sie es wohl, wie die meisten Erwachsenen, für ein Sakrileg.

      Sie hatten einfach alles, diese amerikanischen Soldaten! Und alles im Überfluss. Auch Schokolade, Orangen, Bananen, Kakao – kurzum alles, was man bei uns früher, vor dem Krieg, in den sogenannten Kolonialwaren-Handlungen kaufen konnte. Seit Kriegsausbruch mussten wir in Deutschland weithin diese aus dem Ausland importierten Artikel und Waren entbehren. Viele von uns Kindern hatten zuvor noch nie eine Banane gegessen, manche seit Jahren keinen Riegel Schoko mehr. Auch Corned Beef hatten die Amis zuhauf. Hunderte von Büchsen und Dosen. Da mussten wir erst noch herausfinden, wie das schmeckte.

      Später, im Internat und am Gymnasium in Miltenberg, lernten wir die amerikanische Schulspeisung kennen; das war ein Hochgenuss für uns ständig hungrige Buben. Es gab abwechselnd Kakao mit Semmeln, gebacken aus amerikanischem Weizen. Daneben, meist abwechselnd, ließen sie dicke Erbsensuppe mit eingebrockten Fleischstückchen verteilen. Für meine Klassenkameraden, die nicht auf Bauernhöfen aufgewachsen waren und eben keine gelegentlichen Fresspakete von Hause bekamen, war die Schulspeisung ein wahres Wunder!

      Kurzum, mit den amerikanischen Soldaten kam eine ganz andere Welt zu uns ins Dorf. Wir Kinder fanden, zum Unterschied zu den Großen, diese schlaksigen Kerle recht interessant. Aber wir bekamen auch mit, wenn die Erwachsenen unter sich von jenen jungen Frauen sprachen, die sich mit ihnen, den Amis, einließen. Ami-Schicksen nannte man sie damals. Sie hielten es mit allen, die eine Uniform trugen, auch mit denen schwarzer Hautfarbe. Das klang, wenn die Erwachsenen darüber redeten, ziemlich verächtlich. Besonders negativ beurteilten ehemalige Nazis diese Fräuleins. Dass es einigen von ihnen ums pure Überleben ging, wurde kaum erwähnt. Denn es waren auch mittellose junge Frauen unter ihnen, deren Männer gefallen oder vermisst waren – und nun alleine für ihre Kinder sorgen mussten.

      Wir Buben kannten bald schon die Verstecke der GIs. Sobald wir wussten, wohin sie zu einem Schäferstündchen unterwegs waren, lauerten wir ihnen besonders gerne auf. Denn wir ließen uns erst dann wieder vertreiben, wenn sie uns zuvor Schoko, Kaugummi oder Zigaretten zugeworfen hatten. Letztere waren überall sehr begehrt – und sündhaft teuer. Wir horteten die Zigaretten heimlich auf den Eisenbalken unseres alten Stalls, ehe wir selber erstmals eine rauchen würden – oder später dafür wertvolle andere Waren eintauschten.

      Späte Erinnerungen an die Ami-Soldaten

      An etwas anderes erinnere ich mich noch sehr gut. Es war, glaube ich, noch am Abend des Ostersonntags; die Panzer waren erst ein paar Stunden im Dorf – da ließ ein Soldat seinen Jeep mit zwei Kollegen vor unserem Hoftor stehen, rannte über den Hof in die Küche und sagte zu Mama in fließendem fränkischen Hochdeutsch: Mutter, habts net a Dutzend frische Eier für uns? Ich geb euch Zigaredden oder Schocklaad dafür! Er bekam die gewünschten Eier, bedankte sich höflich und sagte beim Verlassen des Hauses, er sei in Fürth11 geboren, doch schon etliche Jahre vor dem Krieg mit seinen Eltern in die USA ausgewandert. Damals verstand ich die Zusammenhänge noch nicht; das kam erst viel später, als ich erfuhr, dass ehedem deutsche Juden in der US-Army dienten; viele von ihnen als Dolmetscher.

      Bei uns im Haus wurden zwei Zimmer im Parterre für mehrere Wochen von amerikanischen Soldaten beschlagnahmt. Hals über Kopf mussten wir sie räumen. Ehe die GIs wieder gingen, rief einer von ihnen uns Kinder zusammen und zeigte uns ein Hitlerbild. Er hatte es in einer Schreibtischschublade entdeckt, in einem alten Jahreskalender eines Würzburger Verlags, riss es heraus und zündete es vor unseren Augen an. Brennend fiel das verkohlte Blatt zu Boden. Dann zertrat er es mit seinem Armeestiefel und sagte: Hittlärr kaputt!!! Diese beiden Worte mussten wir mehrmals laut und deutlich wiederholen.

      Später, als die beiden Zimmer wieder freigegeben waren, stellte Papa fest, dass die Ami-Soldaten seine Auszeichnungen (Orden vom Ersten Weltkrieg), die sich im Schreibtisch befanden, mitgenommen hatten. Auf solche Souvenirs schienen die GIs besonders scharf zu sein.

      Auch Wochen und Monate nach dem Abzug der alliierten Besatzer aus unserer ländlichen Region wimmelte es noch von allerlei Andenken an diese Zeit – abgesehen davon, dass der ehemalige deutsche Militärflughafen im benachbarten Giebelstadt noch für Jahrzehnte auch von den Amerikanern benützt wurde.

      Überall zerstreut, auf den Feldern und Wiesen, vor allem aber im Wald, fanden wir massenhaft aus Kupfer/Messing hergestellte Patronenhülsen. Manche bis zu 25 oder 30 cm lang. Dazwischen lagen auch kleinere Patronen für Maschinengewehre; einige noch voll mit Kugelgeschossen und Pulver. Wir Buben sammelten beides: Pulver und Gewehrkugeln. Das war alles andere als ungefährlich. Die großen der Patronen-Hülsen wurden übrigens noch jahrelang in unserer Pfarrkirche als Blumenvasen verwendet.

      Weil im benachbarten Stalldorfer Wald noch Tage oder gar Wochen, nachdem die ersten Panzer bei uns durchs Dorf gerollt waren, kleine SS-Einheiten vermutet wurden, brachten die amerikanischen Soldaten in der Umgebung von Gaurettersheim schwere Geschütze in Stellung und beschossen diese (angeblichen) Verstecke der deutschen Wehrmacht. Ein großer Teil ihrer Artillerie war am Hinteren Holmensprung zwischen Höttingen und Euerhausen aufgestellt, ein anderer direkt zwischen unserer Kirche und dem Waldteil Schenkenhof. Die Geschosse der erstgenannten Geschütze-Stellung flogen über unser Dorf hinweg, die anderen, weil direkt oberhalb des Weilers stationiert, ließen mitunter unsere Fenster klirren und Häusermauern und Wände erbeben.

      Noch nach Monaten und Jahren fanden wir Buben auf unseren Streifzügen durch den ortseigenen Wald ganze Kisten voller Handgranaten; darunter auch Nebelgranaten, die von deutschen Soldaten hinterlassen worden waren. Mit Letzteren versuchten wir die Pferdebauern zu verärgern, indem wir ihre Tiere mit künstlichem Nebel erschreckten. Bubenstreiche, gewiss, aber das Spielen mit Gewehren, Munition, Panzerfäusten und dgl. verursachte im Nachkriegsdeutschland allerlei Unfälle, auch viele tödliche.

      Sogar Jahre und Jahrzehnte nach dem Krieg wurden wir immer noch an diese schlimmen Zeiten erinnert, etwa wenn wir Brennholz aus dem Stalldorfer Wald holten, um es zu Hause zu sägen und zu spalten. Immer, wenn die Kreissäge plötzlich aufschrillte, wussten wir: Da stak noch ein Granatsplitter im Holz; ein Überbleibsel der krepierten Geschosse aus amerikanischen Geschützen

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