In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling
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Viele von ihnen zogen fast täglich durch die Bauerndörfer: Einen alten schäbigen Rucksack auf dem Rücken und eine verbeulte Tragetasche in den Händen. Ärmlich gekleidet und halb verhungert stolperten sie durch die Dörfer und bettelten um einen Esslöffel Schweinefett, um ein Stückchen Brot, um ein paar Eier oder auch um zwei, drei Holzscheite. Den Einheimischen waren sie lästig, diese von Hof zu Hof ziehenden Hamsterer, wie sie eher abfällig genannt wurden. Weil es so viele von ihnen waren! Weil man unmöglich allen helfen konnte!
Aber Mama hatte für alle ein gutes Wort. Meistens auch etwas Mehl, ein paar Kartoffeln oder Äpfel und einen Schluck Most. Mamas Augen waren immer voller Mitleid, ihre Gesten sagten zwar, wir hätten leider keine Wundertöpfe, aber ihr Mitgefühl und ihr Verlangen, diesen Hungernden zu helfen, waren stärker.
Damals blühten auch Schwarzmarkt und Tauschgeschäfte. Eingetauscht wurden vor allem Kleider, Anzüge, Mäntel und dgl. gegen Esswaren. Es gab zwar im ganzen Land Lebensmittelmarken für alle Bewohner, aber wo waren die vollen Läden? Und was man auf den Marken zugestanden bekam, reichte oft nicht aus, um den Hunger zu stillen.
Auch größere Artikelwie Pelzmäntel, Nähmaschinen, Fahrräder oder auch kleine Motorräder wurden mitunter angeboten – etwa gegen mehrere Riemen geräucherten Schinken oder gegen ein paar Säcke Kartoffel oder Mehl.
Unser NSU-Motorrad (125 Kubik, Baujahr 1939 oder anfangs der 1940er Jahre) wurde auf diese Weise eingetauscht. Wir, mein Bruder und ich, fuhren es nach Papas Tod noch mehrere Jahre lang. Einen gebrauchten Volkswagen konnte sich unsere Familie erst viel später leisten. Papa hat es nicht mehr erlebt. Er hatte vor dem Krieg im Wolfsburger VW-Werk eine Bestellung aufgegeben und auch vorausbezahlt: 999 Reichsmark! Das war um 1938. Doch dann brach der Krieg aus und alle noch nicht ausgelieferten Wagen wurden konfisziert und für die Wehrmacht umgebaut. Das Geld erhielten wir nie zurück.
Gelassenheit war nie Papas herausragende Eigenschaft; das war Mamas Markenzeichen: Gleichmut, Dankbarkeit, Humor, Gottvertrauen – und Mitleid mit allen Minderbemittelten, Kranken, Schwachen und Leidenden. Sie sorgte sich um alle, die in Bedrängnis waren, und half mit, ihre Not zu lindern.
Das spürten auch wir Kinder. Nicht, dass sie uns alles durchgehen ließ. Nein, aber wenn sie mal eine Schelte erteilen musste, dann tat es ihr gleich wieder leid – und wir sahen es ihren Augen an, dass sie uns trotz allem sehr gerne hatte.
Erziehung der Kinder zum Stillhalten und Brav-Sein
Damals ging man mit Kindern noch allgemein ganz anders um als heute: Streicheln, Liebkosen, mal in die Arme nehmen – das tat man kaum. In der Kindererziehung galten Härte, Strenge und Bestrafung. Ohrfeigen und auch gelegentlich Schläge waren allgemein üblich. Der immer wieder zitierte Bibelvers klang noch nach: Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt ihn!
Das war weithin auch die Regel in der Volksschule. Unsere Lehrer schlugen uns: Mit dem Rohrstock auf die Hände; bei Buben auch auf den Hintern ... Das Wort Misshandlung in diesem Zusammenhang zu benützen, wäre undenkbar gewesen. Nicht selten wurden die Lehrer von den Eltern geradezu ermutigt, ihre Zöglinge mit Strenge zu behandeln – und auch mit Watschen oder mit dem Rohrstock nicht zu sparsam oder zimperlich umzugehen.
Brav-Sein lautete das Zauberwort! Brav sein, das hieß nichts anderes, als mucksmäuschenstill in der Stubenecke zu sitzen und nur dann etwas zu sagen, wenn man (von einem Erwachsenen) gefragt wurde. Kein Wunder, dass wir mehrheitlich eingeschüchtert waren!
Das galt für mich noch sehr lange und weit über das Elternhaus hinaus: Überall nahm ich mich zurück, im Dorf und in der Schule; auch immer noch, als ich schon aufs Gymnasium ging. Und überhaupt, ich gehörte in meiner Jugend schon immer und wie selbstverständlich zu den Schüchternen und Braven.
Dazu trug auch Papas Strenge bei. Seine Schläge fürchtete ich, auch wenn sie so häufig nicht waren. Vielleicht war er auch deswegen mir gegenüber mitunter so hart, weil ich mich als Kind kaum für die Landwirtschaft interessierte. Ich hätte ja, weil Erstgeborener, mal den Hof übernehmen sollen! Doch der Kuhstall war nie mein Ding, auch nicht der Schweinestall. Natürlich arbeitete ich überall auf dem Hof und auf den Feldern mit, was man von uns Kindern erwartete, und ich bekam auch alles mit, was tagein, tagaus geschah. Aber besonderes Interesse zeigte ich nie daran. Damals jedenfalls nicht.
Wie sich später herausstellte (ich erinnere nur an meine Zeit in der Afrika-Mission!), bekam ich sogar sehr viel mit, was sich landwirtschaftlich bei uns tat. Aber Papas Haltung (mir gegenüber) machte es mir nicht leicht, dem Bäuerlichen etwas Angenehmes abzugewinnen. Heute sehe ich es anders; ganz anders. Und ich werfe ihm auch nichts vor. Schon gar nicht im Nachhinein. Weil ich weiß, dass man damals auf dem Land ganz allgemein so dachte: Wer keine landwirtschaftlichen Arbeiten verrichtete (oder sie ohne große Begeisterung ausführte), wurde als Faulenzer, Taugenichts, Schwächling und Stubenhocker hingestellt. Als einer, der das Brot für die Suppe nicht verdient hätte!
Erst als ich mit dem Gymnasium begann, änderte sich diese Haltung. Da stand bereits fest, dass mein Bruder Georg den Hof übernehmen würde.
Und heute, viele Jahrzehnte später, denke ich manchmal: Schade, dass Papa von meinem Erwachsenenleben nichts mehr mitbekommen hat! Weder von meinem Unistudium noch von meiner Primiz; weder von meinem Einsatz in Afrika noch von meiner Arbeit als Redakteur, Journalist, Publizist und Buchautor.
Eisenbahn-Abenteuer im schneereichen Januar 1947
Besonders nahe, vielleicht am allernächsten, war mir Papa im eisig kalten Januar 1947. Weil Winter war und es auf Hof und Feldern eher ruhig zuging, entschloss er sich, mich nach den Weihnachtsferien auf der Rückreise ins Internat zu begleiten. Per Bahn fuhren wir von Unterwittighausen aus im weiten Bogen über Tauberbischofsheim, Lauda, Osterburken und Walldürrn ins romantische Miltenberg am Main. Die lange und umständliche Zugfahrt war nötig geworden, weil viele Bahnbrücken, auch die über den Main, noch nicht wieder aufgebaut waren. Deutsche Soldaten hatten sie 1945 gesprengt, um den Vormarsch der Amerikaner zu stoppen. Sie befolgten damit einen der unsinnigsten Befehle Hitlers zu einer Zeit, nachdem amerikanische Soldaten längst deutschen Boden betreten hatten ...
Als wir Miltenberg erreichten und im Kilianeum vorsprachen, wunderte man sich: Habt ihr keine Information bekommen? Die Ferien mussten verlängert werden. Kälteferien wegen Kohlenmangel! Auch an Esswaren fehlt es allenthalben. Wir beginnen mit dem Schulbetrieb erst wieder im März. Zwischenzeitlich werden allen Schülern von ihren Klassenlehrern schriftliche Aufgaben zugeschickt . . .
Nein, wir hatten keine Post erhalten; die traf erst ein, als wir wieder nach Gaurettersheim zurückgekehrt waren.
Noch am Spätnachmittag desselben Tages fuhren wir wieder zurück und erreichten unsere kleine Bahnstation kurz nach Mitternacht. Da Papa den Lokführer kannte, durfte ich einen Teil der Strecke in der Lokomotive verbringen, zusammen mit dem Heizer und einem der Schaffner. Die von der Kohlenheizung ausgehende Wärme tat gut, denn draußen herrschte bittere Kälte, und die Waggons waren nur dürftig beheizt. Diesel- und Elektro-Loks waren damals noch selten und wurden eher auf den großen Transitstrecken gefahren. Für mich, den Zwölfjährigen, war diese nächtliche Fahrt ein echtes Erlebnis.
Wir waren also wieder an der Wittig angekommen, einem winzigen Flüsschen, das in die Tauber mündet; eine ihrer Quellen befindet sich in Gaurettersheim, am Erlen-Hölzchen. Dort beginnt der Mühlbach, der unterhalb des Dorfes vorbeiführt,