In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу In Dankbarkeit und Freude - Adalbert Ludwig Balling страница 10
Man verwies in diesem Zusammenhang auf den alten, schon lange aufgelassenen Steinbruch am Paradies. Dort hatte man wegen des starken Grundwassers seit langem keine weiteren Steine mehr brechen können. Die Grube wurde daraufhin jahrzehntelang als Mülldeponie benützt. Ich kann mich noch gut erinnern, dass in meiner Kindheit und Jugend dort alles entsorgt wurde, was man sonst nicht mehr verwenden konnte: Ausgetretene Schuhe, von Motten zerfressene Matratzen, verrostete Eimer, Reste von ruinösen Mauern etc. pp. Von getrenntem Müll und dessen Abtransport durch die Kreisbehörde war noch lange keine Rede. Man wusste es nicht anders, und das riesige Steinbruchloch am Paradies war dazu wie geschaffen, mit allerlei Ramsch gefüllt zu werden. Ich bin mir heute ziemlich sicher, dass das Verbot der weiteren Benutzung der ortseigenen Quelle als Trinkwasser absolut berechtigt, ja sogar dringend geboten war. Der verödete Steinbruch und die Wasserquelle lagen ja nur knapp hundert Meter auseinander! Somit war es höchstwahrscheinlich, dass der als Mülldeponie benützte alte Steinbruch das Quellwasser verunreinigt und vergiftet hatte.
Eine andere Neuerung für die Dörfler war der frühzeitige Anschluss an ein Überland-Stromnetz, ebenfalls noch vor dem Ersten Weltkrieg. Erzeugt wurde die Elektrizität in Weikersheim an der Tauber; dort hatte man zu diesem Zweck das Flüsschen gestaut. Es wurde also, wie wir heute sagen würden, damals schon saubere und erneuerbare Energie erzeugt; eine echte Leistung für den kleinen Weiler, der damals kaum mehr als 250 oder 300 Einwohner hatte.
Von unserem Nachbarn Kuhn weiß ich allerdings, dass er sich zunächst nicht ans allgemeine Stromnetz anschließen, sondern lieber weiterhin seinen eigenen Kraftstrom erzeugen wollte – und zwar mittels eines Dieselmotors. Noch vor und kurz während des Zweiten Weltkriegs hörten wir es über die Dorfstraße herüber, wenn bei Kuhns frühmorgens der Motor angeworfen wurde. Dann puffte stinkiger schwarzer Rauch empor, und wir wussten, gleich gehen auch beim Kuhns Michel die Lichter an.
Heute können sich viele kaum mehr vorstellen, dass es mal eine Zeit gab, als man sich mit Stearinkerzen und Ölfunzeln behelfen musste. – Ich schon! Denn auf unserer Missionsstation in Rhodesien hatten wir zwar einen riesigen Generator, doch der lief meistens nur dann, wenn es wirklich dunkel war, früh und abends. Wer beispielsweise nach neun Uhr am Abend noch etwas tun wollte, musste Kerzen anzünden oder, und das war fast schon fortschrittlich, eine Petroleumlampe benützen.
Ähnlich aufgeschlossen wie hinsichtlich Wasser und Strom waren die Bauern im Ochsenfurter Gau, wenn es um moderne landwirtschaftliche Geräte ging. Da gehörten sie immer zu den Ersten. Bei uns im Dorf gab es schon zwischen den beiden Weltkriegen die sogenannten Selbstbinder zum Getreideernten. Damals eine gewaltige Arbeitserleichterung; heute schon fast vergessen. Diese Mähmaschinen wurden von zwei, drei Pferden gezogen; sie mähten nicht nur die reifen Getreidehalme (Gerste, Weizen, Roggen, Hafer, Raps), sondern bündelten sie auch und schnürten sie mit Hanf- oder Sisalgarn in einzelne Garben. – Schon lange stehen auch diese Geräte im Museum. Die Ernten werden heute stattdessen mittels Mähdreschern eingebracht. Alles in einem einzigen Arbeitsgang – Mähen, Dreschen und auf einem mitfahrenden Gummiwagen die Körner abtransportieren. Das Stroh wird im gleichen Arbeitsgang gebündelt – oder, noch moderner, in riesige Ballen gepresst.
Mein Neffe Peter, der heute Hof und Felder unserer Familie bewirtschaftet, besitzt einen umfangreichen Maschinenpark. Zusätzlich zu seiner Schulung als Landwirt und Viehzüchter machte er die Gesellenprüfung als Maschinenschlosser für landwirtschaftliche Geräte. So war er bestens geeignet, den väterlichen Betrieb weiterzuführen. Aber ohne Computer würde auch er heute nicht mehr auskommen. Sein Sohn, mein Großneffe Michael, peilt inzwischen eine ähnliche Ausbildung an – als Maschinenschlosser für den Agrarbereich.
Kriegs- und Nachkriegsjahre im Ochsenfurter Gau
Unser Papa war der Erst-Verantwortliche im Dorf als Schieder9; das heißt, er und ein paar weitere örtliche Vertrauensmänner hatten die Aufgabe, die Grenzsteine der einzelnen Anwesen und Felder sowie die zu den Feldern angrenzender Dörfer gehörigen Markiersteine (vor allem dann) zu überprüfen, wenn es zu Zwistigkeiten und Streitereien unter den Bauern gekommen war. Dieses Schieder-Team überprüfte (auf geheim gehaltene Weise, ohne Zuschauer und Zeugen) die ganze Angelegenheit, ortete notfalls die sogenannte Gerechtigkeit und suchte auf diese Weise nachzuweisen, wem von den Streithähnen Recht zugesprochen werden müsse. (Die Gerechtigkeit war ein kleiner mysteriöser Gegenstand, in bestimmtem Abstand von den Grenzsteinen versteckt, worüber nur die Schieder selber informiert waren.)
Heute, im Zeitalter der Satelliten, klingt diese Art der Ackergrenzen- und Anwesen-Überprüfung als schrecklich altmodisch – so als lebte man noch zur Zeit des Neandertalers. Aber vor 70 Jahren und mehr Jahren war der Job der Schieder in der Tat etwas Wichtiges, womit man nur Vertrauensleute beauftragte. Als wir noch Kinder waren, ahnten wir durchaus: Wenn Papa die anderen Schieder zu einem Treffen einlud, dann war damit immer etwas Geheimnisvolles verbunden. Mehr wussten wir nicht; mehr durften wir nicht wissen. Außer dem Schieder-Team war niemand eingeweiht. Die Berufung zu diesem Geheimklub – zuweilen mehr oder weniger familienvererbt – war eine Ehrensache. Mein Bruder Georg übernahm diese Aufgabe und mein Neffe Peter nach ihm – wie es auch Papas Vorfahren über Generationen hinweg getan hatten.
Weil schon in jungen Jahren, gezwungenermaßen, Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, gehörte Papa zu denen, die in den ersten Tagen des September 1939 einberufen wurden. An die Westfront, wie es hieß; zur Verteidigung des Dritten Reiches im Falle eines feindlichen Angriffes von Seiten der Franzosen bzw. Engländer. Letztere hatten bekanntlich den Polen Solidarität und militärische Hilfe versprochen, falls sie von außen bedrängt und überfallen werden würden. Hitlers Einmarsch in Schlesien (Polen), laut Goebbelsscher Kriegspropaganda als Gegenschlag getarnt, war im Grunde nichts anderes als ein Frontalangriff auf das Nachbarland.
Stationiert war Papas Artillerie-Einheit bei Prüm in der Eifel. Es ging ihm relativ gut. Weil nicht mehr der Jüngste, sondern schon über 40, hatte man ihn der Feldküche zugeteilt. Hier lernte er das Kochen und Zubereiten von Speisen. Später, und wieder zu Hause, übernahm er öfters, vor allem sonntags, die Küche. Die von ihm gekochten und zubereiteten Menüs, z. B. mit Koteletts, Möhren und Kartoffeln, schmeckten besonders gut; er sparte nie an guten Gewürzen.
Aber bei uns daheim herrschte im September 1939 eine eher traurige Stimmung. Als das Wort Krieg fiel, wusste ich sofort, dass dies etwas Schlimmes sein müsse. Mama weinte, als Papa Abschied nahm, und wir Kinder weinten mit. Zwischenzeitlich führte Onkel Georg, genannt Schorsch, Papas jüngster Bruder, unseren Hof; auch er ein leidenschaftlicher Landwirt, und damals noch ledig.
Eines Tages kam Papa auf Urlaub, im Soldatenrock. Er sah so ganz anders aus. Auf einem Familienfoto wurde es dokumentiert: Rita war schon neun Jahre alt, ich sechs, Georg vier und Irene gerade 14 Monate. Nach etwa einem Jahr beim Barras, noch ehe Hitler die westlichen Nachbarländer überfiel, wurde Papa entlassen. Fast zeitgleich wurde Onkel Schorsch eingezogen – an die Ostfront.
Nach Kriegsende (1945) kehrte Onkel Schorsch mit erfrorenen Zehen zurück, heiratete eine Kriegswitwe (mit fünf Kindern) und lebte und arbeitete fortan glücklich und zufrieden auf deren großem Bauernhof; sie hatten noch einen gemeinsamen Sohn.
Einmal im Jahr begleitete Onkel Schorsch die Ochsenfurter Wallfahrer zum Kreuzberg in der Rhön. Da er wegen seiner verstümmelten (erfrorenen) Zehen sich mit dem Laufen schwertat, fuhr er einen Traktor mit dem Reisegepäck der Wallenden. Die frommen fränkischen Pilger waren in der Regel eine Woche unterwegs: Drei Tagesmärsche hin, ein Tag auf dem heiligen Berg und wieder drei Tagesmärsche für die Rückreise.
Unser Papa war durch und durch Choleriker, zum Unterschied von Mama, die zeitlebens