In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig Balling
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Ich persönlich verdanke Papa meinen starken Willen und die Bereitschaft, etwas Begonnenes und als richtig Befundenes auch zu Ende zu führen. Von Mama erbte ich das Sanguinische, die Liebe zur Natur, die Freude am Leben und die Nähe zum Religiösen.
Wann genau, weiß ich nicht, auf jeden Fall war es noch vor dem Zweiten Weltkrieg, eventuell Mitte der 1930er Jahre, da versuchten besonders fanatische Nazis den Altbürgermeister unseres Dorfes, Andreas Michel, zu überreden, der Partei beizutreten. Er weigerte sich und wurde abgesetzt. Daraufhin wurde unser Papa ersucht, dieses Amt zu übernehmen; auch er lehnte ab. Ob, um sie, diese beiden erklärten Anti-Nazis, umzustimmen oder um sich an ihnen zu rächen, weiß ich nicht, auf jeden Fall wurden sie abtransportiert und für drei Wochen auf der Festung in Würzburg festgehalten. Sie weigerten sich nach wie vor, Parteigänger zu werden. Am Ende durften sie wieder ins Dorf zurückkehren. Bürgermeister wurde ein anderer Bauer; ihn hatten die Dörfler dringend gebeten, pro forma der Partei beizutreten, um zu vermeiden, dass ihnen ein Fremder vor die Nase gesetzt würde.
Vielleicht war Papas antinazistische Haltung auch ein Grund, warum er schon bei Kriegsbeginn eingezogen wurde: Wollte man ihn einfach weghaben? – Während des Krieges, als die deutschen Soldaten noch ostwärts stürmten, wurden übrigens von den zuständigen Parteibonzen (unter Führung des Gauleiters von Mainfranken) bereits lange Listen angefertigt mit den Namen derer, die den Gau verlassen müssten, um in den überrannten und besetzten Regionen Weißrusslands und der Ukraine neu angesiedelt zu werden. Zwangsweise! Den eigenen Grund und Boden hätten sie verloren; der wäre einigen wenigen Parteimitgliedern bzw. Großbauern zugesprochen worden. Stattdessen wollte man ihnen in den Ostgebieten des vermeintlich bald wesentlich vergrößerten Deutschen Reiches Neuland zukommen lassen ...
Wäre Hitler siegreich aus dem Krieg hervorgegangen und diese Umsiedlung durchgeführt worden, dann hätte mehreren Familien unseres Dorfes, unsere inbegriffen, eine total andere Zukunft bevorgestanden. Weiß Gott, was am Ende aus uns geworden wäre – irgendwo in den fruchtbareren Regionen der alten Sowjetunion, am wahrscheinlichsten in der heutigen Ukraine!
Als amerikanische Panzer ins Dorf einfuhren
Am Ostersonntag 1945 ging für uns der ganze Hitlerspuk zu Ende. Während der Nachmittagsandacht und des sich anschließenden Umgangs (feierliche Prozession, angeführt vom Ortspfarrer und den Ministranten) durch den benachbarten Friedhof fuhren die ersten amerikanischen Panzer ins Dorf ein. Deren Besatzungen waren äußerst angespannt, auf intensiver Lauer und in steter Angst vor heimtückischen Anschlägen seitens verstreuter SS-Trüppchen.
Zum Glück war unser Papa zuhause geblieben, denn wir hatten eigentlich schon am Karfreitag mit der Ankunft der amerikanischen Truppen gerechnet. Papa hängte rechtzeitig die weiße Flagge ins Giebelfensterchen unseres Wohnhauses und machte somit deutlich, dass Gaurettersheim willens sei, sich friedlich zu ergeben. Wir hatten damals, weil am Dorfeingang gelegen, noch die Hausnummer eins. Papas weiße Friedensfahne und die unseres Nachbarn Ferdinand Düchs taten ihre Wirkung: Es fielen nur ein paar Schreckschüsse. Nichts wurde beschädigt – kein Wohnhaus, keine Scheune, kein Viehstall.
Als wir von der Kirche hinunter ins Dorf kamen, standen die Panzer bereits in der Dorfmitte, neben der uralten Linde10, die seit Generationen als Versammlungsort diente. Wir Kinder, so wiesen uns die Erwachsenen an, winkten mit unseren Taschentüchern, um die Friedfertigkeit aller Dörfler zu signalisieren. Und schon warfen die ersten GIs uns Kaugummipäckchen und Schokolade zu. Chewinggum war eines der ersten englischen Worte, die wir lernten. Später begrüßten wir die Ami-Soldaten nur noch mit »Chocolate, please! – Chewinggum, please!«
Kaum hatten wir nach den ersten Süßigkeiten gegrapscht, die uns von den Panzern herab zugeworfen wurden, da zischten auch schon einige evakuierte Frauen, die aus den zerbombten Städten des Rheinlands zu uns gekommen waren, mit bösen Mienen: Von Feinden nimmt man nichts an! Sie hatten immer noch nicht begriffen, dass dieser schreckliche Krieg längst verloren war. – In unserer Familie atmeten wir merklich auf; die amerikanischen Soldaten retteten uns vor dem möglichen Abtransport in die von den Nazis so genannten Ostgebiete.
Die Nächte vor dem Eintreffen der Amerikaner hatten wir im Luftschutzkeller unseres Nachbarn Michel Kuhn verbracht. Dort waren die Mauern dicker und die Kellerfenster besser geschützt als die in unserem Haus. Wir hatten ja schon am Karfreitag die amerikanischen Panzer in einige umliegende Dörfer vordringen gesehen; wir waren vorgewarnt.
Zu dieser Zeit hielten sich noch fanatische SS-Leute im Stalldorfer Wald versteckt. Das erfuhren wir aber erst später. Nachdem Papa und Nachbar Ferdinand Düchs die weißen Fahnen schon am Karfreitag in die Giebelfenster gehängt hatten, erschienen plötzlich bewaffnete SS-Leute und drohten Bürgermeister Michael Düchs, den Vater meines Schulkameraden Ernst, auf der Stelle zu erschießen, falls die beiden weißen Fahnen am Ortseingang nicht binnen weniger Minuten entfernt würden. Der Befehl wurde ausgeführt; die weißen Fahnen mussten schnellstens wieder abgehängt werden. Papa versteckte sich hinter einem Strohhaufen in der Scheune und kam erst dann wieder hervor, als es sich herumsprach, dass das kleine Trüppchen mit den Totenköpfen auf ihren Mützen wieder abgezogen war. Aus einer Entfernung von einem halben Kilometer richteten sie allerdings ihre Geschütze ein letztes Mal auf unseren Kirchturm, jedoch ohne ihn zu treffen...
Ebenfalls in der Karwoche 1945 (also noch vor dem Eintreffen der Amerikaner) hatten mehrere hundert französische Kriegsgefangene im Dorf übernachtet; auch bei uns waren Scheune und Ställe belagert. Wir halfen mit bei ihrer Verpflegung, überließen ihnen Decken und Strohbündel und wurden gleichzeitig mitverantwortlich dafür gemacht, falls sich Gefangene bei uns versteckten oder versuchen würden, von unserem Hof aus zu fliehen. Diese Kriegsgefangenen kamen von weit her; man munkelte vom Rhein-Main-Gebiet. Sie wurden von nur wenigen deutschen, meist älteren Soldaten, bewacht. Die Franzosen waren durch die Bank freundliche Männer, die alle etwas Deutsch sprachen und längst wussten, dass Hitlers Regime nicht mehr lange andauern würde.
Ein katholischer Geistlicher, ein französischer Abbe, der den Gefangenenzug begleitete – es hieß, sie seien auf dem Weg in die bayerischen Alpen –, stellte unserem Papa und unserer Familie, ehe sie wieder abzogen, ein Zeugnis in drei Sprachen aus – auf Deutsch, Französisch und Englisch – sinngemäß folgenden Inhalts:
Wer immer diesen Hof betrete, möge wissen, hier wohnen gute Leute; keine Nazis und auch keine anderen Feinde. Man möge bitte den Herrn des Hofes und alle anderen Familienangehörigen höflich und wohlwollend behandeln. . .
Dass es zu diesem Brief-Zeugnis gekommen ist, dazu hat auch unsere Mama ganz unauffällig beigetragen. Sie hatte, sofern von den Bewachern nicht beobachtet, einigen hungrigen Gefangenen zusätzlich einige Esswaren zugesteckt. Auch warme Kleider und Decken für die Nacht.
Leben mit den Besetzern Schulspeisung aus den USA
Die amerikanischen Soldaten blieben einige Zeit im Dorf; hielten es sozusagen unter Kontrolle. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Ernennung eines neuen Bürgermeisters. Dazu konsultierten sie zuerst unseren Gemeindepfarrer Hans Spielmann. Der sollte ihnen den Namen des Mannes nennen, der vor den Nazis im Amt war. Nachdem dieser, Andreas Michel, nicht mehr bereit war, wenigstens vorübergehend