Weltordnungskrieg. Robert Kurz
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Pax Americana: Der Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft ist entschieden
Als Resultat der Weltkriegsepoche war die aus dem gescheiterten europäischen Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft resultierende Entwicklung wesentlich von einer politisch-militärischen Wachablösung bestimmt, und zwar in doppelter Weise.
Zum einen nutzten die kolonialen, abhängigen und/oder kapitalistisch „unterentwickelten“ Weltregionen an der Peripherie des Weltmarkts die Schwäche der blutenden und ihre Wunden leckenden europäischen Hegemonialstaaten des kapitalistischen Zentrums, um die koloniale Herrschaft Europas und damit ihre äußerliche politische Abhängigkeit abzuschütteln.
Den Startschuss für diesen das ganze 20. Jahrhundert durchziehenden Prozess der Entkolonisierung und „nachholenden Modernisierung“ gab unmittelbar am Ende des Ersten Weltkriegs die russische Oktoberrevolution, gewissermaßen die Französische Revolution des Ostens. Zwar gehörte das Zarenreich selber zu den traditionellen europäischen Mächten und hatte sich ebenfalls ein koloniales Imperium zusammengeraubt, wenn auch nicht in Übersee, sondern als Expansion in der kontinentalen eurasischen Landmasse. Aber gleichzeitig war Russland eben auch selber Peripherie ohne eigenständige industrielle Basis und in vieler Hinsicht den kolonialen und abhängigen Weltregionen strukturell durchaus verwandt. Lenin sah die russische Revolution immer im doppelten Zusammenhang von antieuropäischer kolonialer Revolution einerseits und „nachholender Modernisierung“ als bewusstes „Lernen von Westeuropa“ andererseits.
Die damit verbundene Zielbestimmung, obwohl als staatskapitalistischer „Sozialismus“ ideologisch verkleidet, konnte nur darin bestehen, eine eigenständige industrielle Basis und einen Binnenmarkt mit nationalstaatlichem Rahmen zu schaffen, um als selbständiges Nationalsubjekt am kapitalistischen Weltmarkt teilzunehmen. Und genau in dieser Hinsicht strahlte das Paradigma der Oktoberrevolution auf die gesamte Peripherie aus und machte die Sowjetunion zum „Gegenzentrum“ der mit dem Westen konkurrierenden historischen Nachzügler. Die schiere Masse von Bevölkerung, Land und naturalen Ressourcen, staatskapitalistisch mobilisiert im repressiven Industrialisierungsprozess der Stalin-Ära, machte das sowjetische Gegenzentrum auch politisch und militärisch zur Gegenweltmacht, der das von seinen zerfleischenden Kämpfen um die globale Hegemonie erschöpfte europäische Zentrum des westlichen Kapitalismus wenig hätte entgegensetzen können.
Aber in derselben Entwicklung, die den europäischen Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft als Patt ausgelaugter und demoralisierter Nationalsubjekte hatte enden lassen, war auch das westliche kapitalistische Machtzentrum selber entscheidend und irreversibel transformiert worden. Denn zum andern hatten sich, parallel zur politisch-militärischen Emanzipation und „nachholenden Modernisierung“ des globalen Ostens und Südens, die USA auf gar nicht einmal so leisen Pfoten, aber dennoch in gewisser Weise hinter dem Rücken der ursprünglichen europäischen Zentralmächte des Kapitals, zur neuen Weltmacht Nr. l aufgeschwungen.
Das Machtzentrum des Kapitalismus hatte sich über den Atlantik nach Nordamerika verlagert. Durchaus ähnlich wie im Fall der Sowjetunion, nur in einer gänzlich anderen, nämlich konkurrenzkapitalistischen statt staatsbürokratischen Tradition, war es die schiere Bevölkerungsmasse auf einer bereits längst entwickelten industriellen Basis, die den Koloss USA im Vergleich zu den eher mickrigen europäischen Nationen als wirkliche Führungsmacht des Kapitals prädestinierte.
Der kontinentale Umfang des Landes zwischen Atlantik und Pazifik (mit dem Blick eines Januskopfes gleichzeitig nach Europa und Asien), die wie in Russland scheinbare Unerschöpflichkeit der natürlichen Ressourcen und die (im Unterschied zu Russland) geballte Masse der Kaufkraft konstituierten den bis heute größten Binnenmarkt der Welt. Deshalb gingen die wichtigsten kapitalistischen Entwicklungen, sozialen Strukturveränderungen, technologischen und kulturellen Trends zunehmend von den USA aus, um anschließend in mehr oder minder großem Ausmaß die Welt zu überrollen. Kein Wunder, dass das 20. Jahrhundert „das amerikanische Jahrhundert“ genannt wurde (zuerst von Henry Luce im Jahr 1941, wie der US-Historiker Paul Kennedy bemerkt).
Vor diesem Hintergrund wuchs auch die militärische Potenz der aufsteigenden Weltmacht USA in eine bis dahin unbekannte Dimension hinein. Schon die beiden Weltkriege waren nur durch das Eingreifen der USA entschieden worden, und die europäischen „Siegermächte“ sahen dem deutschen Verlierer nicht nur hinsichtlich der erlittenen Schäden zum Verwechseln ähnlich, sondern sanken auch rasch zu mehr oder weniger verschämten bzw. aufmüpfigen, die eigene imperiale „Ehre“ pflegenden Hintersassen der USA herab; dabei in mancher Hinsicht ehemaligen Diven vergleichbar, die im bitteren Alter den verflossenen Zeiten ihrer jugendlichen Erfolge nachtrauern.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Überlegenheit der neuen Weltmacht Nr. l in jeder Hinsicht derart erdrückend, dass sie die wechselnden Vorteile aller früheren, immer nur vorübergehenden europäischen Vormächte weit übertraf. Nicht ohne Stolz stellt Paul Kennedy fest: „Weil der Rest der Welt nach dem Krieg so erschöpft war oder sich immer noch im Zustand kolonialer ,Unterentwicklung‘ befand, war die amerikanische Macht 1945 - in Ermangelung eines besseren Begriffs - künstlich so hoch wie beispielsweise die britische um 1815. Trotzdem waren die tatsächlichen Dimensionen ihrer Macht in absoluten Zahlen historisch beispiellos… In der Tat expandierte die Industrie in den Vereinigten Staaten in den Jahren 1940 bis 1944 schneller - über 15 Prozent im Jahr - als je zuvor oder danach… Der Lebensstandard und die Produktivität pro Kopf waren höher als in allen anderen Ländern. Die Vereinigten Staaten waren das einzige Land unter den Großmächten, das durch den Krieg reicher - und tatsächlich viel reicher - wurde statt ärmer“ (Kennedy 1991/1987, 533 f.).
Zwei Drittel der gesamten Goldreserven der Welt lagerten am Ende des Zweiten Weltkriegs in Fort Knox, dem Schatzhaus Washingtons. Und dieser monetären absoluten Überlegenheit entsprach die industrielle: „1945 befinden sich drei Viertel des auf der Welt investierten Kapitals und zwei Drittel der intakten industriellen Produktionskapazitäten in den USA“ (Ott/Schäfer 1984, 420). Mit dieser überwältigenden ökonomischen Macht im Rücken entstand seit dem Zweiten Weltkrieg die „permanente Kriegswirtschaft“ der USA, deren Rüstungsindustrie, Armeestärke, permanent weiterentwickelte technologische Ausrüstung und globale militärische Präsenz (heute in 65 Ländern aller Kontinente) für die übrigen Mächte des westlichen kapitalistischen Zentrums rasch uneinholbar wurden.
Nur die Sowjetunion als staatskapitalistische Gegenweltmacht der historischen Nachzügler konnte den USA nach 1945 politisch-militärisch noch einige Zeit Paroli bieten, wie umgekehrt allein die USA als westliche Vormacht an Stelle der abgetakelten europäischen Mächte das konkurrierende staatskapitalistische Gegensystem (und dessen Ausstrahlungskraft auf die gesamte Peripherie) in Schach zu halten vermochten.
Schon im 19. Jahrhundert hatte der französische Historiker und Gesellschaftstheoretiker Alexis de Tocqueville diese Konstellation in einer berühmten, immer wieder zitierten Prognose richtig vorausgesehen: „Es gibt heute auf Erden zwei große Völker, die, von verschiedenen Punkten ausgegangen, dem gleichen Ziel zuzustreben scheinen: die Russen und die Angloamerikaner. Beide sind im Verborgenen groß geworden, und während die Blicke der Menschen sich anderswohin richteten, sind sie plötzlich in die vorderste Reihe der Nationen getreten, und die Welt hat fast zur gleichen Zeit von ihrer Geburt wie von ihrer Größe erfahren. Alle anderen Völker scheinen die Grenzen ungefähr erreicht zu haben, die ihnen die Natur gezogen hat, und nur noch zum Bewahren dazusein;