Weltordnungskrieg. Robert Kurz
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Was Tocqueville hier in der Sprache des 19. Jahrhunderts formuliert, ist erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wahr geworden: die Aufteilung der Welt unter die USA und die Sowjetunion, und die letzte Zuspitzung des Kampfes um die Weltherrschaft innerhalb des modernen warenproduzierenden Systems zwischen diesen beiden Mächten, die in der Epoche des Kalten Krieges auf durchaus zutreffende Weise im Unterschied zu den vorherigen Groß-, Vor- und Weltmächten als „Supermächte“ bezeichnet wurden; beide gleichermaßen und nicht zufällig „multiethnische“ Bundesstaaten von kontinentalen Ausmaßen, die über den beschränkten kapitalistischen Nationsbegriff Europas in allen seinen Varianten hinausgewuchert waren.
Auch an der gegensätzlichen Struktur dieser beiden Mächte, die nach 1945 als „Systemkonflikt“ begrifflich überdehnt wurde, hatte Tocqueville etwas Richtiges wahrgenommen, es allerdings bereits nicht weniger überspitzt und nur halb wahr formuliert wie die Protagonisten dieses Gegensatzes mehr als ein Jahrhundert später. Die heutige Welt ist noch immer ebenso unfähig, das gemeinsame kategoriale Bezugssystem der modernen Warenproduktion als eine distinkte historische Gesellschaftsform (statt als ahistorische gesellschaftliche Ontologie) wahrzunehmen wie die Zeit Tocquevilles. Was bereits diesem als grundsätzliche Differenz erschien, sind nur die beiden Pole kapitalistischer Vergesellschaftung von Markt und Staat; beide im gleichen Ausmaß repressiv, denn der bürokratischen Macht steht nicht die „Freiheit“ schlechthin gegenüber, sondern nur die durch den Zwang der Konkurrenz selber in Despotismus umschlagende sogenannte Marktfreiheit.
Der Staatskapitalismus war in Wahrheit nicht nur in Russland (schon zur Zarenzeit), sondern auch in West- und Mitteleuropa die ursprüngliche Konstitutionsform der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie der feudalen Agrargesellschaft übergestülpt wurde. Es gehörte neben dem industriellen Entwicklungsstand und der kontinentalen Dimension des Binnenmarktes zur einzigartigen kapitalistischen Potenz der USA, dass dort diese ursprüngliche europäische Transformationsform überflüssig war und sich das Kapital von vornherein in systemisch fortgeschrittenen Formen entwickeln konnte; ganz unbehindert durch eine historische Sedimentierung vormoderner Produktionsweisen und Kulturen, denn die europäischen Kolonisatoren hatten ja nicht nur losgelöst von den zurückgelassenen Strukturen auf dem Nullpunkt eines neuen Entwicklungsniveaus beginnen können, sondern auch die Gesellschaften der Ureinwohner nahezu ausgerottet und auf diese Weise die nördliche Hemisphäre der „Neuen Welt“ zum gewissermaßen jungfräulichen Boden und einmaligen Experimentierfeld der Modernisierung gemacht. Sobald im 20. Jahrhundert Kapitalstock und Industrialisierungsgrad der USA über das Niveau der alten europäischen Zentralmächte hinauswuchsen, gab dieser besondere historisch-kulturelle Charakter dem Aufstieg zur Supermacht eine zusätzliche Schubkraft.
Im Verhältnis der beiden Supermächte waren also die USA eindeutig die bei weitem fortgeschrittenere Gesellschaft auf dem Boden des modernen warenproduzierenden Systems. Deshalb hätte es eigentlich keinen Zweifel geben dürfen, wie der letzte Kampf um die kapitalistische Weltherrschaft ausgehen musste. Diese Zweifel rührten auch immer nur daher, dass der Sowjetunion qua vermeintlich alternativer „sozialistischer“ Systemqualität eine Durchhalte- und Entwicklungsfähigkeit zugetraut wurde, die sie gar nicht hatte - eben weil die gemeinsame, über den Weltmarkt vermittelte Qualität als warenproduzierende Gesellschaft außerhalb der kritischen Analyse blieb. Genau dieser gemeinsamen gesellschaftlichen Basisform wegen war die Sowjetunion nun einmal keine historische Alternative, sondern nur die staatskapitalistische Gegenweltmacht der historischen Nachzügler und als solche auf die Dauer unterlegen.
Diese Unterlegenheit schlug sich nicht zuletzt auch in militärischer Hinsicht nieder. Weder von der Kapitalkraft noch von den wissenschaftlich-technologischen Mitteln her konnte die Sowjetunion den permanenten Rüstungswettlauf durchhalten. Wie das staatskapitalistische Gegensystem generell unfähig war, den Übergang zur dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik in der gesamten gesellschaftlichen Reproduktion mitzuvollziehen, so fiel die sowjetische Militärmacht auch bei der mikroelektronischen Aufrüstung durch Hightech-Waffensysteme immer weiter hinter die USA zurück. Damit scheiterte der östliche Staatskapitalismus in den 80er Jahren ökonomisch am Weltmarkt, an dessen Kriterien und Standards er sich als warenproduzierendes System messen lassen musste, und er wurde gleichzeitig militärisch totgerüstet. Der vollständige Zusammenbruch war die logische Konsequenz.
War der polyzentrische Kampf der alten europäischen Kapitalmächte um die Welthegemonie seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in das bipolare Ringen der beiden Supermächte umgeschlagen, so hat sich am Ende des 20. Jahrhunderts eine neue monozentrische Struktur und ein einheitliches kapitalistisches Weltsystem unter alleiniger Ägide der USA herausgebildet. Es ist keine Macht mehr denkbar, die sich auf der gesellschaftlichen Grundlage des modernen warenproduzierenden Systems noch einmal zur welthegemonialen Rivalität aufschwingen könnte, weder hinsichtlich der militärisch-technologischen Potenz noch hinsichtlich der ökonomischen und politischen Dimension oder der Finanzkraft.
Die USA sind heute wirklich „die einzige Weltmacht“, wie der US-Politologe Zbigniew Brzezinski (Professor für Außenpolitik in Baltimore und Berater am „Zentrum für Strategische und Internationale Studien“ in Washington) in seinem so betitelten, 1997 erschienenen Buch über die globale US-Hegemonie feststellt: „Im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltlage tiefgreifend verändert. Zum ersten Mal in der Geschichte trat ein außereurasischer Staat nicht nur als der Schiedsrichter eurasischer Machtverhältnisse, sondern als die überragende Weltmacht schlechthin hervor. Mit dem Scheitern und dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieg ein Land der westlichen Hemisphäre, nämlich die Vereinigten Staaten, zur einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht auf“ (Brzezinski 1999, 15).
Dieser neue Charakter der einzigen übrig gebliebenen Supermacht ist nicht allein durch die besonderen historischen Qualitäten und die äußere Dimension der USA bestimmt, sondern auch durch den kapitalistischen Entwicklungsstand am Ende des 20. Jahrhunderts. Erst die mikroelektronische dritte industrielle Revolution, an der die Gegensupermacht Sowjetunion mangels Kapitalkraft gescheitert ist, hat überhaupt eine Weltmacht im buchstäblichen Sinne ermöglicht, also eine unmittelbare globale Zugriffsfähigkeit. Zwar erfordern großangelegte militärische Expeditionen weiterhin eine entsprechend weiträumige und aufwendige Logistik, aber diese wird durch eine weltumspannende Kommunikationstechnologie bedeutend erleichtert.
Mussten sich die alten europäischen Großmächte auf der Basis der klassischen Industrialisierung noch mit schwerfälligen und schwer kontrollierbaren militärischen Aufmärschen begnügen, die heute fast schon antik wirken (etwa mittels Schlachtschiffen und Panzerarmeen), so kann die Kriegsmaschine der USA inzwischen tatsächlich bis zu einem gewissen Grad als omnipräsent und universell einsetzbar gelten - allerdings nur auf der Ebene des Krieges zwischen regulären Armeen. Militärische Großexpeditionen wie in den beiden Weltordnungskriegen nach dem Untergang des Staatskapitalismus (gegen den Irak und gegen Restjugoslawien) werden dadurch nicht bloß vereinfacht, sondern auch durch vorher nie dagewesene Zugriffsfähigkeiten ergänzt. An die Stelle schwerfälliger Boden- oder Wasseroperationen (die allerdings nicht völlig überflüssig werden) können inzwischen sehr flexible, mikroelektronisch gesteuerte Luftschläge treten.
Zwar wurde schon Nazi-Deutschland zu einem erheblichen Grad durch die seit 1944 drückende