Weltordnungskrieg. Robert Kurz

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Weltordnungskrieg - Robert Kurz

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geopolitische Begriff des Großraums, oft vitalistisch umgeformt zum „Lebensraum“, gehörte bekanntlich auch zum Lieblingsvokabular Hitlers. „Volk ohne Raum“ hieß der einschlägige Roman-Bestseller des völkischen Kolonialschriftstellers Hans Grimm (1926). Nachdem der Welthandel zwischen den Großmächten in der Zwischenkriegszeit tief eingebrochen war, erhielten sogar Bestrebungen einer nationalen Autarkie Oberwasser, die schon von Anfang an den klassischen Imperialismus begleitet hatten. Ziel dieser Autarkiepolitik war, so auf einem wirtschaftsliberalen Gegenkongress Anfang der 30er Jahre der Volkswirtschaftler Wilhelm Gerloff, die „Schaffung eines sich in Produktion und Konsumtion selbst genügenden Wirtschaftsgebietes, das jedoch auf so große Räume und so reiche Hilfsquellen gestellt ist, dass es allen wirtschaftlichen und kulturellen Daseinsbedingungen seiner Mitglieder genügen kann…“ (Gerloff 1932, 13).

      Dass dies keineswegs bloß eine durch ideologische Gegnerschaft motivierte Zuschreibung war, geht aus der politisch-ökonomischen Strategie und Weichenstellung der Nazis hervor. Werner Daitz, einer der obersten „Wirtschaftsführer“ der NSDAP, formulierte die autarkistische Tendenz des Nationalimperialismus ausdrücklich gegen das „jüdisch-materialistische Denken liberaler Wirtschaftswissenschaftler“, deren „unvölkisches Gelddenken“ die deutsche Wirtschaft in die „Weltwirtschaft“, also in „Freihandel und internationale Arbeitsteilung“ geführt habe, zu ihrem Schaden im Weltkrieg und in der Weltwirtschaftskrise. Daitz setzt dieser wirtschaftsliberalen Weltmarktorientierung die autarkistische Programmatik der Nazis für ein autonomes Nationalimperium entgegen: „Die Entdeckung neuer freier Räume und ihre Besiedlung (Kolonisation)… bedeutet nur dann eine Stärkung der Wachstums- und Lebenskräfte der heimatlichen Volkswirtschaften, wenn sie ihrer Disziplin und ihrem Machtbereich nicht entgleiten… Jede Volksgemeinschaft muss ihre Wirtschaftsführung so disziplinieren, dass sie die eiserne Ration an Nahrungsmitteln und gewerblichen Rohstoffen stets innerhalb ihrer Mauern hat“ (Daitz 1938 I, 64 f.).

      In diesem autarkistischen Sinne definiert er auch die vom Nazi-Reich anzustrebende europäische „Großraumwirtschaft“ unter deutsch-völkischer Kontrolle: „Kontinentaleuropa kann sich … unter den übrigen Erdteilen als wirtschaftliche und kulturelle Einheit nur selbst behaupten, wenn es aus der eigenen Kraft seiner Völker und seines Raumes im Notfall allein leben kann. Deshalb muss Kontinentaleuropa als raumpolitische Einheit von Gibraltar bis zum Ural und vom Nordkap bis zur Insel Zypern reichen. Nur in diesem Raum sind alle Möglichkeiten an landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Erdschätzen vorhanden, die mit Hilfe einer hochentwickelten Technik den Völkern dieses Raumes bei entsprechender Zusammenarbeit ein Leben aus eigener Kraft ermöglichen“ (Daitz 1938 II, 45 f.).

      Dabei handelte es sich keineswegs um ein bloßes Fernziel oder einen Traum der Nazi-Strategen, sondern zum Zeitpunkt des Räsonnements von Daitz bereits um eine knallharte reale Wirtschafts- und Außenpolitik, die vom Management der deutschen Konzerne aus klaren Eigeninteressen heraus im wesentlichen gebilligt und unterstützt wurde, wie die einschlägige Zeitgeschichtsschreibung feststellt: „Die von Hitler getroffene Entscheidung, ohne Rücksicht auf Kostendeckung in den Sektoren Brennstoffversorgung und Eisenproduktion sowie synthetischer Gummiherstellung (Buna) eine 100%ige Autarkie binnen vier Jahren zu erreichen, wurde von den führenden Wirtschaftsvertretern einerseits aus Profitinteressen, andererseits wegen der Schwierigkeiten, den Weltmarkt binnen kürzester Frist zu reorganisieren, gutgeheißen. Die ohnehin an staatlichen Protektionismus seit 1879 gewöhnte Eisen-, Kohle- und Stahlindustrie vermochte ihre kontinentale Hegemonie weiter auszubauen, im Weltmaßstab war sie ohnehin nicht konkurrenzfähig, und zielte in ihren politischen Ambitionen fortan, analog zu den Friedensplänen der Alldeutschen im Ersten Weltkrieg, auf einen deutsch beherrschten mitteleuropäischen Großwirtschaftsraum“ (Martin 1989, 203).

      Die Autarkiepolitik der Nazis setzte also nur die bereits vor dem Ersten Weltkrieg angelegte, nationalimperial bestimmte Tendenz fort. Dieser Logik folgte aber nicht allein das Deutsche Reich etwa aufgrund seiner besonderen nationalpolitischen Entwicklung seit dem Kaiserreich. Ein ähnliches autarkistisches Denken für nationalimperiale „Großraumwirtschaften“ findet sich vielmehr sowohl in der Vor- als auch in der Zwischenkriegszeit in allen Ländern des kapitalistischen Zentrums, wenn auch sicherlich im angelsächsischen Bereich nicht derart ausgeprägt wie bei den Nazis.

      Der wirklichen Sachlage und dem vorherrschenden imperialen Diskurs gemäß hatte Lenin in seiner berühmten Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ (1917) das nationalimperiale Bestreben wesentlich als territoriale Annexionspolitik bestimmt: „Jetzt sehen wir, dass … ein ungeheurer ‚Aufschwung‘ der kolonialen Eroberungen beginnt und der Kampf um die territoriale Aufteilung der Welt sich im höchsten Grade verschärft… Die Jagd aller kapitalistischen Staaten nach Kolonien gegen Ende des 19. Jahrhunderts und besonders seit den achtziger Jahren ist eine allbekannte Tatsache in der Geschichte der Diplomatie und der Außenpolitik… Für den Imperialismus ist … das Bestreben charakteristisch, nicht nur agrarische Gebiete, sondern sogar höchst entwickelte Industriegebiete zu annektieren (Deutschlands Gelüste auf Belgien, Frankreichs auf Lothringen), denn erstens zwingt die abgeschlossene Aufteilung der Erde, bei einer Neuaufteilung die Hand nach jedem beliebigen Land auszustrecken, und zweitens ist für den Imperialismus wesentlich der Wettkampf einiger Großmächte in ihrem Streben nach Hegemonie, d.h. nach der Eroberung von Ländern, nicht so sehr direkt für sich als vielmehr zur Schwächung des Gegners und Untergrabung seiner Hegemonie…“ (Lenin 1970/1917, 82 f., 97).

      Auch wenn Lenins Analyse von einem arbeiterbewegungsmarxistisch beschränkten und verkürzten Begriff des Kapitals ausgeht, der eine falsche Gegenüberstellung von Konkurrenz- und sogenanntem Monopolkapitalismus impliziert, so trifft er mit seiner Charakterisierung des Imperialismus als polyzentrischer nationaler Annexionspolitik durchaus die tatsächliche Erscheinungsform der damaligen weltkapitalistischen Entwicklung. Diese Epoche, die 1945 zu Ende gegangen ist, war aber eben noch keineswegs das „letzte und höchste Stadium des Kapitalismus“, das Lenin zeitbedingt vor allem unter dem Aspekt weniger einer kategorialen Krise der ökonomischen Formen, als vielmehr des politischen Zusammenbruchs der bisherigen weltkapitalistischen Konstellation sah.

      Solange sich die USA noch im Windschatten der polyzentrisch um die Welthegemonie kämpfenden europäischen Großmächte entwickelten, also im 19. und im frühen 20. Jahrhundert, folgten sie ebenfalls der Logik einer nationalimperialen „Ausdehnungsmacht“. Schon 1823 hatte der damalige US-Präsident James Monroe die nach ihm benannte Doktrin verkündet, wonach die USA keine europäische Intervention auf amerikanischem Boden dulden wollten. Die Monroe-Doktrin, die den lateinamerikanischen Unabhängigkeitskampf gegen Spanien zum Hintergrund hatte und die USA zur selbsternannten „Schutzmacht“ des südlichen Teilkontinents machte, wurde geradezu ein Präzedenzfall; nicht umsonst berief sich noch Carl Schmitt in seiner Schrift über „Großraumordnung und Interventionsverbot“ darauf. Auch die nationalimperiale direkte Annexionspolitik war den USA nicht fremd: 1848 rissen sie sich nach dem erfolgreichen Krieg gegen Mexiko Texas, New Mexico und Kalifornien mitsamt den dortigen Goldfeldern unter den Nagel; 1898 annektierten sie im Krieg gegen Spanien die Philippinen, die (nach der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg) erst 1946 in die staatliche Unabhängigkeit entlassen wurden.

      Schon in der Epoche von „Wirtschaftswunder“ und Kaltem Krieg, in der die USA zur alleinigen Führungsmacht des westlichen Kapitalismus aufstiegen, änderte sich jedoch die Sachlage grundsätzlich. Unter dem Dach der Pax Americana machte der Status der Weltmacht zusammen mit der Entwicklung des Weltkapitals eine entscheidende Metamorphose durch, in der die alte nationalimperiale Expansionspolitik obsolet zu werden begann. Als erste Weltmacht im buchstäblichen Sinne konnten die USA keine territoriale „Ausdehnungsmacht“ mehr sein, und das galt eine Etage tiefer auch für die nunmehr abhängigen, als Vormächte abgetakelten europäischen Nationalstaaten. Diese grundsätzliche Metamorphose war vor allem durch zwei Momente bestimmt, ein politisch-militärisches und ein ökonomisches.

      Zum einen war der Kalte Krieg mit der Gegenweltmacht der „nachholenden Modernisierung“ von vornherein nicht mehr im Stil einer nationalökonomisch fundierten territorialen Kontrolle über ein partikulares

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