Weltordnungskrieg. Robert Kurz
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Der gesamtimperiale und globalisierungs-ökonomische Zusammenhang gilt auch im engeren Sinne für die Rüstungsindustrie selbst, die ebenso wie die übrigen Kapitalien rasant in transnationale Strukturen hineingewachsen ist. Aus den einstmals streng national ausgerichteten Waffenschmieden mit enger Anlehnung an den jeweiligen nationalen Staatsapparat und dessen territoriale Kontroll- und Expansionsansprüche sind großenteils „global players“ mit einer breit gestreuten betriebswirtschaftlichen Diversifizierung geworden, die sich sowohl auf die USA als auch auf die EU (und teilweise auf den asiatischen Raum) bezieht. Im Rüstungssektor gibt es daher inzwischen ebenso wie in allen anderen Bereichen transkontinentale Überkreuz-Beteiligungen, „strategische Allianzen“, Fusionen und Übernahmen, wobei die US-Rüstungsindustrie klar dominiert.
So wurden etwa aus ökonomischen Gründen alle Weichen dafür gestellt, dass der staatliche spanische Rüstungskonzern Santa Bárbara Blindados (SBB) im Zuge seiner Privatisierung nicht an einen europäischen Rüstungskonzern fällt, sondern an den US-Rüstungsriesen General Dynamics, der über diesen Zukauf womöglich auch bei der Münchner Panzerschmiede Krauß-Maffei Wegmann (KMW) einsteigt; SBB baut den Leopard-Panzer von KMW in Lizenz. Umgekehrt will der europäische Luft- und Raumfahrtkonzern EADS (die Mutterfirma von Airbus) künftig Militärflugzeuge in den USA mit einem US-Partnerkonzern (Lockheed Martin oder Northrop) bauen, um an lukrative Aufträge des Pentagon heranzukommen. Inzwischen kooperiert EADS bereits mit Boeing bei der Raketenabwehr. Beschlossene Sache ist auch die Übernahme der deutschen Marinewerft HDW durch eine Mehrheitsbeteiligung des US-Finanzinvestors One Equity Partners (OEP), was als verdeckte Übernahme durch den US-Rüstungsriesen General Dynamics gilt. HDW baut und vermarktet seit Herbst 2002 gemeinsam mit der US-Rüstungsfirma Northrop Grumman U-Boote. Zwar gibt es Vorbehalte seitens der EU-Kommission, aber auf die Dauer, so ein deutscher Rüstungslobbyist, wird die gesamte europäische Rüstungsindustrie vom US-Beschaffungsmarkt abhängig sein und sich darauf durch transnationale Beteiligungen ausrichten müssen: „Ohne Amerika geht gar nichts“ (Wirtschaftswoche 40/2001).
Allen „Irritationen“ und Querschüssen der nationalen politischen Klassen zum Trotz wird die Transnationalisierung der Rüstungsindustrie innerhalb der westlichen kapitalistischen Zentren fortschreiten; schon gibt es auch Projekte eines transnationalen elektronischen Beschaffungsmarktes für die Rüstungs- und Flugzeugkonzerne.
Es existiert eben kein essentieller Grund für national oder selbst auf die EU beschränkte Rüstungsschmieden mehr; einschlägige Debatten und Vorbehalte sind nicht mehr strategisch und damit erstrangig bestimmt, sondern bewegen sich auf der Ebene des sekundären Kompetenzgerangels. Nicht nur von den allgemeinen ökonomischen Grundlagen des globalisierten Krisenkapitalismus her, sondern auch unmittelbar rüstungstechnisch und rüstungsökonomisch bildet die NATO eine gesamtimperiale Zugriffsmacht und ein gesamtkapitalistisches Weltordnungskonzept.
Der Begriff des „ideellen Gesamtimperialismus“, angelehnt an die Marxsche Formulierung vom Nationalstaat als dem „ideellen Gesamtkapitalisten“, verweist natürlich ebenso wie diese nicht etwa auf eine bloß „immaterielle“ Einflussnahme; vielmehr handelt es sich um einen umfassenden Apparat von Hightech-Gewalt und weltweiter politischer Intervention, der einen universell gültigen kapitalistischen Handlungsrahmen zu setzen versucht und in diesem Sinne einen ebenso universellen Kontrollanspruch erheben muss. Allerdings ist der globale „ideelle Gesamtimperialist“ viel mehr auf die politisch-militärische Ebene beschränkt, als es der nationalstaatliche einstige „ideelle Gesamtkapitalist“ war: Er fasst nicht die Kapitalien seines Machtbereichs in einem auch ökonomischen Ordnungsrahmen zusammen, sondern muss umgekehrt der enthemmten, jeden Ordnungsrahmen sprengenden Konkurrenz der Kapitalien gehorchen, auf die er nur noch äußerlich und ohne eigenständige wirtschaftspolitische Eingriffskompetenz reagieren kann.
Die NATO ist ebenso wenig wie die USA ein „Weltstaat“, der die alte nationale Staatsfunktion auf einer höheren, supranationalen Ebene übernehmen könnte. Sie ist eben nur der (erweiterte) „ideelle Gesamtimperialist“, also eine reine Instanz der Gewalt und politischen Pression, keine Instanz einer umfassenderen Regulation. Somit kann die NATO den Widerspruch des globalen Krisenkapitalismus nicht lösen, sondern in ihrer eigenen widersprüchlichen Struktur als supranationales Gebilde unter der nationalstaatlichen Hegemonie der „letzten Weltmacht“ nur in periodischer Gewaltsamkeit zum Ausdruck bringen.
Auf den ersten Blick könnte dieser monozentrische „ideelle Gesamtimperialismus“ des beginnenden 21. Jahrhunderts an den fast vergessenen Begriff eines sogenannten „Ultraimperialismus“ erinnern, wie ihn der alte sozialdemokratische Chefideologe Karl Kautsky zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Imperialismusdebatte mit Rosa Luxemburg und Lenin kreiert hatte. Aber die Analogie ist nur eine sehr oberflächliche. Kautsky schrieb 1914 in der „Neuen Zeit“: „Eine ökonomische Notwendigkeit für eine Fortsetzung des Wettrüstens nach dem Weltkrieg liegt nicht vor, auch nicht vom Standpunkt der Kapitalistenklasse selbst, sondern höchstens vom Standpunkt einiger Rüstungsinteressen. Umgekehrt wird gerade die kapitalistische Wirtschaft durch die Gegensätze ihrer Staaten aufs äußerste bedroht. Jeder weitersehende Kapitalist muss heute seinen Genossen zurufen: Kapitalisten aller Länder, vereinigt euch!… Natürlich, wäre die jetzige Politik des Imperialismus unerlässlich zur Fortführung der kapitalistischen Produktionsweise, dann vermöchten die eben erwähnten Faktoren keinen nachhaltigen Eindruck auf die herrschenden Klassen zu machen und sie nicht zu veranlassen, ihren imperialistischen Tendenzen eine andere Richtung zu geben. Wohl aber ist dies möglich dann, wenn der Imperialismus, das Streben jedes kapitalistischen Großstaates nach Ausdehnung des eigenen Kolonialreiches im Gegensatz zu den anderen Reichen dieser Art, nur eines unter verschiedenen Mitteln darstellt, die Ausdehnung des Kapitalismus zu fördern… Die wütende Konkurrenz der Riesenbetriebe, Riesenbanken und Milliardäre erzeugte den Kartellgedanken der großen Finanzmächte, die die kleinen schluckten. So kann auch jetzt aus dem Weltkrieg der imperialistischen Großmächte ein Zusammenschluss der stärksten unter ihnen hervorgehen, der ihrem Wettrüsten ein Ende macht. Vom rein ökonomischen Standpunkt ist es also nicht ausgeschlossen, dass der Kapitalismus noch eine neue Phase erlebt, die Übertragung der Kartellpolitik auf die äußere Politik, eine Phase des Ultraimperialismus, den wir natürlich ebenso energisch bekämpfen müssten wie den Imperialismus, dessen Gefahren aber in anderer Richtung lägen, nicht in der des Wettrüstens und der Gefährdung des Weltfriedens“ (Kautsky 1914, 920 f.).
Es ist offenkundig, dass Kautskys Argumentation zu seiner Zeit (und noch auf Jahrzehnte hinaus) völlig unzutreffend war, weil die Epoche der nationalimperialen Expansion sich damals keineswegs erschöpft hatte. Aber Kautsky ist bei näherem Hinsehen auch kein guter Prophet einer noch weit entfernten Zukunft. Zwar hat er (ähnlich wie bei Lenin abgelöst von jeder begrifflichen Durchdringung der übergreifenden kapitalistischen Gesellschaftsformen) die abstrakte Möglichkeit einer anderen, gesamtimperialen Konstellation durchaus richtig gesehen, aber eben gerade nicht unter dem Aspekt eines globalen gesellschaftlichen Zerfalls an den inneren Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise, sondern nur als „andere Mittel, die Ausdehnung des Kapitalismus zu fördern“. Denn Kautskys Position wird ganz und gar bestimmt durch den sozialdemokratischen Diskurs an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, der offiziell die Krisen- und Zusammenbruchstheorie ad acta gelegt hatte und seine Hoffnungen auf eine weitere kapitalistische Entwicklungsfähigkeit setzte, die von der Arbeiterbewegung durch einen friedlich-parlamentarischen Übergang zum Staatssozialismus gekrönt werden sollte.
Wie bei Lenin ist auch bei Kautsky das Thema nicht die (damals „undenkbare“) Krise und Kritik der klassenübergreifenden gesellschaftlichen Formen, sondern der bloß soziologisch fundierte und politisch in Erscheinung tretende „Klassenwille“ zur „Ausbeutung“ einerseits und zu deren Überwindung andererseits. Im Gegensatz zu Lenin entwickelt er diese verkürzte Analyse aber nicht auf dem Boden der historisch aktuellen Tatsachen, also der wirklichen Konkurrenz nationalimperialer Ausdehnungsmächte, sondern als blamabel opportunistische Phantasmagorie. Es gehört schon eine Mischung aus Augenwischerei und Selbstbetrug dazu, ausgerechnet im Kanonendonner des beginnenden