ACT leicht gemacht. Russ Harris
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WAS IST DAS ZIEL VON ACT?
Allgemeinverständlich ausgedrückt besteht das Ziel von ACT darin, menschliches Potenzial für ein reiches und sinnvolles Leben zu maximieren, während zugleich mit Leid, das das Leben unvermeidlich begleitet, effektiv umgegangen wird.
Sie fragen sich vielleicht: Gehört zum Leben unvermeidlich auch Leiden? Bei der ACT gehen wir davon aus. Gleich wie wunderbar ein Leben ist, wir alle erleben eine Menge Frustration, Enttäuschung, Ablehnung, Verlust und Scheitern. Und wenn wir lange genug leben, gibt es Krankheit, Verletzungen und Altern. Schließlich müssen wir uns unserem eigenen Tod stellen, und bevor dieser Tag kommt, sind wir Zeuginnen des Todes vieler geliebter Menschen. Und als wäre das nicht genug, ist es eine Tatsache, dass viele grundlegende menschliche Emotionen – normale Gefühle, die wir alle im Laufe unseres Lebens immer wieder erleben – an sich schmerzhaft sind: Angst, Traurigkeit, Schuldgefühle, Wut und Ärger, Schock, Ekel und so weiter.
Aber das ist noch nicht alles. Denn obendrein haben wir alle einen Verstand, der in jedem Moment Leiden heraufbeschwören kann. Wohin wir auch gehen, was immer wir tun, wir können sofort Leiden empfinden. In jedem Moment kann man eine schmerzhafte Erinnerung wieder erleben oder sich in ängstlichen Vorahnungen der Zukunft verlieren. Oder man kann sich in ungünstigen Vergleichen (Ihr Job ist besser als meiner) oder negativen Selbstbewertungen (Ich bin zu dick, Ich bin nicht intelligent genug und so weiter) verfangen.
Aufgrund unseres Verstandes können wir an den glücklichsten Tagen unseres Lebens Schmerz empfinden. Angenommen zum Beispiel, Susanne heiratet, und alle ihre Freunde und ihre Familie sind versammelt, um diese freudvolle Verbindung zu feiern. Sie ist einfach glücklich. Und dann kommt ihr der Gedanke: Ich wünschte, mein Vater wäre hier – und sie denkt daran, wie er sich das Leben genommen hat, als sie erst sechzehn Jahre alt war. An einem der glücklichsten Tage ihres Lebens empfindet sie nun Schmerz.
Und wir sitzen alle im gleichen Boot wie Susanne. Gleich wie hoch unsere Lebensqualität, gleich wie privilegiert unsere Situation ist, wir brauchen uns nur an einen Moment zu erinnern, als etwas Schlimmes passiert ist, oder uns eine Zukunft vorstellen, in der etwas Schlimmes passiert, oder uns streng bewerten oder unser Leben mit dem eines anderen Menschen vergleichen, das besser zu sein scheint, und sofort leiden wir.
Daher sind dank der Verfeinerung des menschlichen Verstandes selbst die privilegiertesten Leben voller Leiden. Und unglücklicherweise gehen die meisten von uns nicht sehr geschickt mit Leiden um. Allzu häufig reagieren wir auf schmerzhafte Gedanken, Gefühle und Sinnesempfindungen auf eine Weise, die auf lange Sicht selbstschädigend oder selbstzerstörerisch ist.
Zusammenfassend gesagt, die großen Herausforderungen, denen wir uns im Leben alle stellen müssen, sind:
A. Das Leben ist schwierig.
B. Ein volles menschliches Leben ist ein Leben mit der ganzen Bandbreite von Emotionen, sowohl angenehmen als auch unangenehmen.
C. Ein normaler menschlicher Verstand vergrößert auf natürliche Weise psychisches Leiden.
WIE KANN ACT NUN HELFEN?
ACT hat zum Ziel, das menschliche Potenzial für ein reiches und sinnvolles Leben dadurch zu maximieren, dass sie
• uns klären hilft, was uns wirklich wichtig ist und sinnvoll erscheint, das heißt, unsere Werte zu klären, und dieses Wissen zu nutzen, um uns bei der Festlegung von Zielen und bei unseren Handlungen zu leiten, zu inspirieren und zu motivieren, damit wir die Dinge tun können, die unser Leben bereichern und verbessern, und
• uns lehrt, psychische Fähigkeiten (»achtsame« Kompetenzen) zu trainieren, um mit schmerzlichen Gedanken und Gefühlen zweckmäßig umzugehen, und uns ganz auf alles einzulassen, was wir tun, und die erfüllenden Aspekte des Lebens wertschätzen und genießen zu können.
WARUM HAT ACT EINE SCHLECHTE PRESSE?
Hat man Ihnen schon einmal etwas zu Unrecht vorgeworfen? Das passiert ACT andauernd. Ich habe viele sagen hören, ACT sei kompliziert und verwirrend – und sogar, dass man einen hohen IQ bräuchte, um ACT zu verstehen. Also, wenn ich als Anwalt die Verteidigung des ACT-Modells zu übernehmen hätte, würde ich sagen: »Nicht schuldig, Euer Ehren!« Ich glaube, es gibt zwei Hauptgründe, warum ACT diesen unglücklichen Ruf bekommen hat. Ein Grund geht auf die Theorie zurück, die ACT zugrunde liegt: die Bezugsrahmentheorie (Relational Frame Theory, RFT). In diesem Buch werden wir diese Theorie nicht behandeln, weil sie ziemlich technisch ist, und es viel Arbeit braucht, sie zu verstehen, während das Ziel dieses Buches ist, Sie in ACT einzuführen, die Hauptkonzepte zu vereinfachen und Ihnen zu helfen, sie schnell anzuwenden.
Das Gute an der Sache ist, dass Sie ein(-e) erfolgreiche(-r) ACT-The-rapeut(-in) sein können, ohne etwas von RFT zu wissen. Wenn ACT wie Autofahren ist, dann ist RFT wie das Wissen, wie der Motor funktioniert: Sie können ein sehr guter Autofahrer sein, ohne das Geringste von der Mechanik zu verstehen. (Andererseits sagen viele ACT-TherapeutInnen, dass es ihre therapeutische Wirksamkeit verbessert, wenn sie RFT verstehen. Daher erfahren Sie in Anhang C, falls Sie daran interessiert sind, wo Sie mehr Informationen bekommen können.)
Der andere wichtige Grund, warum Leute ACT kompliziert finden, ist der Umstand, dass ACT ein nichtlineares Therapiemodell ist. Es beruht auf sechs Kernprozessen, und Sie können mit jeder Klientin in jeder Sitzung zu jedem Zeitpunkt mit jedem von ihnen arbeiten. Und wenn Sie einmal in einem Prozess auf eine Blockade stoßen, können Sie einfach zu einem anderen wechseln. Dies unterscheidet ACT sehr von linearen Therapiemodellen, bei denen Sie einer festen Reihenfolge von Schritten folgen: Erst machen Sie Schritt A, dann Schritt B, dann Schritt C und so weiter.
Die Nichtlinearität von ACT hat einen großen Vorteil: Sie ermöglicht Ihnen als Therapeut eine unglaubliche Flexibilität. Wenn Sie an einem Punkt nicht mehr weiterkommen, können Sie zu einem anderen Prozess übergehen. Wenn Sie dann den Moment für richtig halten, können Sie dahin zurückkommen, wo Sie den Prozess unterbrochen haben. Der Nachteil der Nichtlinearität ist, dass ACT anfangs schwerer zu lernen ist als Modelle, bei denen eine bestimmte Schrittfolge vorgegeben ist.
Aber Sie müssen nicht verzweifeln. Seit einiger Zeit ist diese Aufgabe viel leichter geworden, und zwar dank eines sehr wirksamen Hilfsmittels, des Punktes der Entscheidung, den ich gleich vorstellen werde. Als Erstes aber wollen wir kurz diese sechs Kernprozesse behandeln.
DIE SECHS THERAPEUTISCHEN KERNPROZESSE VON ACT
Die sechs therapeutischen Kernprozesse von ACT sind Kontakt mit dem jetzigen Moment, Defusion, Akzeptanz, Selbst als Kontext, Werte und engagiertes Handeln. Bevor ich näher auf die einzelnen Prozesse eingehe, sehen Sie sich bitte die Darstellung unten an, die salopp als »Hexaflex« bezeichnet wird.
Betrachten wir nun die sechs Kernprozesse von ACT im Einzelnen:
Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment (im Hier und Jetzt sein). In Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment zu sein bedeutet flexibel auf die eigene Erfahrung zu achten: den Fokus verengen, erweitern, verschieben oder aufrechterhalten, je nachdem, was am nützlichsten ist. Dazu kann gehören, dass wir bewusst auf die physische Welt um uns herum oder die psychische Welt in uns achten, oder auf beide zugleich, und uns ganz mit unserer Erfahrung verbinden und uns auf sie einlassen.
Defusion (Gedanken beobachten). Defusion bedeutet zu lernen, »einen Schritt zurückzutreten« und sich von Gedanken, Bildern und Erinnerungen zu