Du bist das Placebo. Джо Диспенза
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Die Gemeindemitglieder beginnen nun, hin- und herzuschwingen und sich gegenseitig die Hände aufzulegen, in Zungen zu sprechen, auf- und abzuspringen und, zum Lob ihres Herrn und Heilands, zur Musik zu tanzen. Der Geist ist auf sie herabgekommen, sie sind, wie sie es nennen, »gesalbt worden«. Dann öffnet der Prediger eine der verschlossenen Kisten, steckt eine Hand hinein und zieht eine Giftschlange heraus – meistens handelt es sich um eine Klapperschlange, eine Wassermokassinotter oder eine Kupferkopfschlange. Der Prediger tanzt und schwitzt und legt dabei die lebendige Schlange um seine Taille; der Schlangenkopf befindet sich erschreckend nah am Kopf und Hals des Predigers.
Oder er hält die Schlange hoch in die Luft und bringt sie dann näher an seinen Körper heran, tanzt dabei die ganze Zeit, und die Schlange windet ihre untere Hälfte um seinen Arm und dreht die obere Hälfte hoch in die Luft. Manchmal holt der Prediger noch eine zweite oder sogar eine dritte Schlange aus den Holzkisten, und auch die Gemeindemitglieder halten zuweilen Schlangen in der Hand, während sie »gesalbt« werden. Manchmal trinkt der Prediger während des Gottesdienstes aus einem einfachen Trinkglas sogar ein Gift wie beispielsweise Strychnin, ohne Schaden zu nehmen.
Manche »Snake Handlers« werden von der Schlange gebissen, aber angesichts Tausender von Gottesdiensten, in denen Gläubige wie im Fiebertraum ohne zu zögern und völlig furchtlos in diese aufklappbaren Holzkisten fassen, geschieht das eher selten. Und selbst dann sterben sie nicht immer – obwohl sie nicht ins Krankenhaus eilen. Sie bleiben lieber im Kreis ihrer betenden Gemeinde.
Warum werden diese Leute nicht öfter gebissen? Und warum führen die Bisse nicht öfter zum Tod? Wie können sie sich mental in einen Zustand versetzen, der ihnen die Angst vor diesen tödlich giftigen Kreaturen nimmt? Und wie kann dieser mentale Zustand sie davor schützen?
Vielleicht haben Sie auch schon von Menschen gehört, die in Notsituationen eine ungeheure Kraft an den Tag legten, die sogenannte »hysterische Stärke«. Im April 2013 hoben beispielsweise die 19-jährige Hannah Smith und ihre 14-jährige Schwester Haylee aus Lebanon im Bundesstaat Oregon einen fast 1400 Kilogramm schweren Traktor an, um ihren darunter eingeklemmten Vater Jeff Smith freizubekommen.19
Wie ist es möglich, dass Menschen in den heiligen Ritualen mancher indigener Stämme und in Feuerlauf-Seminaren der westlichen Welt über glühende Kohlen gehen? Oder Karnevals-Schausteller und Trance-Tänzer auf Java den Drang verspüren, Glas zu kauen und zu verschlucken (eine pathologische Störung namens Hyalophagie)?
Wie sind solche scheinbar übermenschlichen Taten möglich, und haben sie etwas Wichtiges gemeinsam? Verändern diese Menschen mit ihrem unbeugsamen Glauben irgendwie ihren Körper, sodass sie gegen ihr jeweiliges Umfeld immun werden? Und kann derselbe felsenfeste Glaube, wie ihn Snake Handlers und Feuerläufer haben, auch anders herum funktionieren und uns dazu bringen, uns selbst Schaden zuzufügen – und sogar zu sterben –, ohne zu wissen, was wir da tun?
Sieg über Voodoo
1938 wurde ein 60-jähriger Mann aus einer ländlichen Gegend in Tennessee vier Monate lang immer kränker, bis ihn seine Frau schließlich in ein kleines Krankenhaus am Stadtrand mit gerade einmal 15 Betten brachte.20 Zu diesem Zeitpunkt hatte Vance Vanders bereits 45 Pfund abgenommen und war anscheinend dem Tode nahe. Der Arzt, Dr. Drayton Doherty, vermutete Tuberkulose oder eventuell auch Krebs, aber wiederholte Tests und Röntgenaufnahmen waren negativ und ergaben keinen Befund. Die ärztliche Untersuchung zeigte keinerlei Hinweise auf eine Ursache für Vanders’ Leiden. Vanders weigerte sich zu essen, deshalb wurde er über eine Magensonde ernährt, aber er gab alles wieder von sich. Es ging ihm immer schlechter, und er war überzeugt davon, im Sterben zu liegen. Schließlich konnte er kaum mehr sprechen, und Dr. Doherty hatte immer noch keine Ahnung, was dem Mann fehlte.
Vanders’ Frau war verzweifelt und bat Dr. Doherty um ein vertrauliches Gespräch unter vier Augen. Sie erzählte ihm, ihr Mann sei mit einem Voodoo-Zauber verhext worden. Vanders, der in einer Gemeinde lebte, in der Voodoo praktiziert wurde, hatte anscheinend einen Streit mit einem einheimischen Voodoo-Priester gehabt. Dieser hatte Vanders eines Nachts zu später Stunde zum Friedhof bestellt, mit einer Flasche, die eine übel riechende Flüssigkeit enthielt, vor Vanders’ Gesicht herumgewedelt und ihn mit einem Fluch belegt. Der Priester hatte zu Vanders gesagt, er würde bald sterben und niemand könne ihn retten. In der Überzeugung, seine Tage seien gezählt, glaubte Vanders seit dieser Nacht an eine neue, schlimme zukünftige Realität. Der Mann gab sich geschlagen, ging nach Hause und verweigerte das Essen. Schließlich brachte ihn seine Frau ins Krankenhaus.
Dr. Doherty hörte sich die ganze Geschichte an und schlug dann einen ziemlich unorthodoxen Behandlungsplan vor. Am nächsten Morgen bestellte er Vanders’ Familie ans Bett des Patienten und sagte ihnen, er wisse jetzt ganz bestimmt, wie der Kranke geheilt werden könne. Die Familie hörte aufmerksam zu, als Dr. Doherty die folgende erfundene Geschichte erzählte: Er sei, wie er sagte, die Nacht zuvor auf den Friedhof gegangen, habe den Voodoo-Priester mit einem Trick zu einem Treffen bestellt und dazu gebracht, ihm zu erzählen, wie er Vanders mit Voodoo verhext habe. Das sei gar nicht so einfach gewesen, sagte Dr. Doherty. Der Priester sei natürlich nicht sehr kooperativ gewesen, doch als Dr. Doherty ihn gegen einen Baum drückte und drosselte, habe er schließlich eingelenkt.
Wie Dr. Doherty weitererzählte, verriet ihm der Priester, er habe Eidechseneier auf Vanders’ Haut geschmiert; diese Eier seien in Vanders’ Magen gelangt und es seien kleine Eidechsen geschlüpft, von denen die meisten zwar umgekommen seien, aber eine große habe überlebt und fresse jetzt Vanders von innen heraus auf.
Der Arzt verkündete, er müsse bloß die Eidechse aus Vanders’ Körper herausholen, und schon werde Vanders wieder gesund werden. Dann rief er die Krankenschwester, die gehorsam eine große Spritze brachte; darin war, wie Dr. Doherty behauptete, eine starke Medizin. In Wirklichkeit war es ein Medikament, das Übelkeit und Erbrechen verursachte. Dr. Doherty schaute sich die Spritze genau an, damit auch ja alles funktionierte, und injizierte seinem verschreckten Patienten dann feierlich die Flüssigkeit. Mit einer großen Geste ging er aus dem Zimmer, ohne auch nur ein Wort zu der fassungslosen Familie zu sagen.
Kurz darauf erbrach sich der Patient. Die Krankenschwester brachte ihm eine Schale, und Vanders würgte, wimmerte und übergab sich. Als er nach Dr. Dohertys Einschätzung damit am Ende war, ging der Arzt wieder ins Zimmer zum Krankenbett, langte in seine schwarze Arzttasche und holte eine grüne Eidechse heraus. Er verbarg sie in seiner Hand, ohne dass jemand es mitbekam. Und als Vanders gerade wieder erbrach, ließ er die Eidechse in die Schale schlüpfen.
»Schauen Sie nur, Vance!«, rief er so dramatisch wie möglich aus. »Schauen Sie nur, was da herausgekommen ist. Jetzt sind Sie geheilt. Der Voodoo-Fluch ist aufgehoben!«
Im Krankenzimmer riefen alle durcheinander; ein paar Familienmitglieder sanken zu Boden und stöhnten. Vanders selbst sprang mit weit aufgerissenen Augen ganz benommen von der Schale zurück. Nach nur wenigen Minuten fiel er in einen tiefen Schlaf und schlief über zwölf Stunden durch.
Als Vanders schließlich wieder aufwachte, war er sehr hungrig und verschlag gierig so viel Essen, dass der Arzt schon fürchtete, sein Magen würde platzen. Innerhalb von einer Woche hatte der Patient sein altes Gewicht und seine Kraft wiedergewonnen. Er verließ das Krankenhaus und lebte noch mindestens weitere zehn Jahre.
Kann sich ein Mann wirklich einfach zusammenrollen und sterben, nur weil er meint, er sei verhext worden? Spricht der moderne Medizinmann, geschmückt mit einem Stethoskop und mit einem Rezeptblock in der Hand, mit derselben Überzeugung, wie es der Voodoo-Priester tat – und glauben wir daran ebenso fest? Und wenn jemand auf einer Ebene tatsächlich beschließen