Der Gaslight-Effekt. Robin Stern
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Und jetzt das entscheidende Detail: Es gab gar keine solche Einladung. John Oliver hatte gar kein Interesse daran, Trump als Gast in seiner Talkshow zu haben. Warum hätte er ihn da einladen sollen?
Als Oliver versuchte, das Missverständnis aus dem Weg zu räumen, trieb Trump es noch bunter. In einem Radiointerview behauptete er steif und fest, er sei nicht nur einmal, sondern gleich vier- oder fünfmal eingeladen worden.
Man sollte meinen, dass Oliver daraufhin den Twitter-Eintrag einfach bei der Begrüßung seiner Gäste in der nächsten Sendung erwähnen und mit seinem Team herzlich darüber lachen würde. Stattdessen habe er seine Wahrnehmung der Wirklichkeit infrage gestellt, gestand Oliver. Trump schien sich seiner Sache so sicher zu sein. Vielleicht hatte Oliver ihn ja eingeladen.
»Es hat mich wirklich verunsichert, Ziel einer solch selbstsicheren Lüge zu sein«, sagte Oliver während seiner Talkshow. »Ich habe sogar nachgeforscht, um sicherzugehen, dass niemand ihn versehentlich eingeladen hatte. Hatte aber natürlich niemand.«
John Oliver – Comedian, Talkshow-Moderator und linksliberaler Kommentator – legte keinerlei Wert auf Donald Trumps Zustimmung. Es war ihm egal, was Trump von ihm dachte oder wie sie zukünftig zueinander stehen würden. Trump hatte keinerlei Einfluss auf ihn, weder in emotionaler noch familiärer oder finanzieller Hinsicht. Und nach allem, was man sieht, ist John Oliver ein selbstbewusster Mann, der eine gefestigte Wahrnehmung der Wirklichkeit hat.
Und dennoch war es Trump gelungen, ihn an seiner Erinnerung von etwas so Eindeutigem zweifeln zu lassen wie der Tatsache, ob er Trump nun in seine Show eingeladen hatte oder nicht. Dazu schrieb Melissa Jeltsen, Chefreporterin bei der Huffington Post:
»Trumps Behauptung wurde mit einem solchen Elan vorgetragen, dass Oliver an der Wahrheit zu zweifeln begann, obwohl er wusste, dass Trump log. Eine solche Macht hat Gaslighting.«
Jeltsen hatte für diesen Artikel ein Interview mit mir gemacht. Darin bestätigte ich ihr, dass Trumps Verhalten gegenüber Oliver und anderen Gaslighting wie aus dem Lehrbuch war. »Wenn man nicht die Verantwortung für sein Handeln übernimmt oder die Verantwortung auf andere abwälzt oder versucht, die Glaubwürdigkeit desjenigen zu untergraben, der einen zu diesem Handeln befragt, dann handelt es sich um eine Form von Gaslighting«, hatte ich ihr gesagt.
Plötzlich begegnete einem dieser Begriff überall: beim Fernsehsender CNN, in den Zeitschriften Teen Vogue und Salon und in Dutzenden von Posts im Internet, in den sozialen Medien und in Blogs. Plötzlich war Gaslighting in aller Munde.
Der Gaslight-Effekt – zehn Jahre danach
Als mir der Verlag mitteilte, dass man eine Neuauflage von The Gaslight Effect plane, war das für mich die Gelegenheit, das Buch noch einmal gegenzulesen, das ich zehn Jahre zuvor geschrieben hatte. Wie beurteilte ich das Buch inzwischen – vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen als Therapeutin, meiner Tätigkeit als Beraterin bei Facebook und meiner Arbeit am Yale Center for Emotional Intelligence?
Ich las es noch einmal und bin erfreut, sagen zu können, dass ich es immer noch stichhaltig finde. Ich sehe keinen Bedarf, etwas daran zu überarbeiten. Im Vergleich zu der Zeit vor zehn Jahren fällt mir eines noch mehr auf: Je größer die Überzeugung – und vielleicht auch der Narzissmus – eines Menschen, desto selbstverständlicher hält er an seiner Wirklichkeit fest. Er ist unabhängig davon, wie viele Menschen sein Verständnis der Fakten hinterfragen. Dieser Narzissmus ist ein Schutz dagegen, andere Menschen zu ernst zu nehmen oder sich um ihre Ansichten zu scheren. Ein Narzisst wird vielleicht zornig, wenn andere seine Ansichten nicht teilen – viele Gaslighter reagieren so. Aber er wird nicht zornig, weil er an seiner grundsätzlichen Wahrnehmung zweifelt, sondern weil er es nicht erträgt, nicht die totale Kontrolle zu haben. Mit anderen Worten: Einem Gaslighter kann man nicht mit Gaslighting kommen – zumindest nicht, solange er selbst als Gaslighter auftritt.
Uns anderen jedoch fällt es schwer, unsere Weltsicht aufrechtzuerhalten. Wir stellen infrage, ob wir uns sicher sind darüber, was wir gesehen oder gehört haben. Bescheidenheit und Selbsterkenntnis machen uns auf eine Weise angreifbar, wie es dem Narzissten nicht passieren könnte. Uns wurde von klein auf beigebracht, dass die Ansichten anderer manchmal zutreffender sind als unsere eigenen. Wenn wir jemanden oft genug wiederholen hören, »schwarz ist weiß« oder »oben ist unten«, fällt es schwer, sich nicht zu fragen, ob diese Person nicht doch etwas weiß, das wir nicht wissen.
In meinem Buch verweise ich auf eine Hilfe, die ich noch immer für verlässlich halte: Ich rate dazu, auf die »Flugbegleiter« zu achten. Genau wie das Verhalten der Flugbegleiter uns offenbart, ob das Schlingern des Fliegers nur einer kleinen Turbulenz geschuldet ist oder eine echte Katastrophe ankündigt, so helfen diverse Flugbegleiter Ihnen auch im wahren Leben zu sehen, ob der neue Partner nur einen schlechten Tag hat oder sein Verhalten einem Muster folgt. Wenn Sie damit angefangen haben, Ihre eigene Realität infrage zu stellen, können Ihre Flugbegleiter – Familie, Freunde oder auch ein Therapeut – Ihnen helfen, zu einer genauen Einschätzung zu gelangen.
Genauso können wir vielleicht im Hinblick auf politisches oder soziales Gaslighting zu unseren gegenseitigen Flugbegleitern werden. Es ist an uns, die Nachrichtenquellen zu finden, denen wir vertrauen, die Analysen, auf die wir uns verlassen wollen, die Tatsachen, die einer genauen Prüfung standhalten. Das kann niemand allein leisten – wir brauchen sowohl die »Experten«, denen wir glauben, als auch die Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder und Kollegen, deren Ansichten wir schätzen. Gaslighting wirkt zutiefst destabilisierend. Vielleicht braucht es wirklich »ein ganzes Dorf«, um auf solidem Grund zu stehen.
Ringen Sie aber persönlich mit einer Form von Gaslighting in Ihrem Privatleben, wird das Buch Der Gaslight-Effekt Ihnen dabei helfen, die Hintergründe zu verstehen, zu analysieren und schließlich freizukommen. Das kann bedeuten, dass Sie eine Beziehung von innen heraus umgestalten oder sie ein für alle Mal beenden. Mein gesamtes Berufsleben habe ich dem Ziel gewidmet, Menschen dabei zu helfen, ihr Leben mitfühlend, effektiv, produktiv und erfüllend zu gestalten. Aber das ist nicht möglich, wenn man in einer Gaslighting-Beziehung steckt, sein eigenes Verhalten dauerhaft hinterfragt und sich ständig für angebliches Versagen entschuldigt. Wie ich bereits vor zehn Jahren schrieb:
»Sie haben genug Kraft, um sich von dem Gaslight-Effekt zu befreien. Der erste Schritt besteht darin, sich die eigene Rolle beim Gaslighting bewusst zu machen. Inwiefern führen Ihr Verhalten, Ihre Wünsche und Fantasien dazu, den Gaslighter zu verklären und von ihm anerkannt werden zu wollen?«
So beginnt Ihre Reise. Das Buch Der Gaslight-Effekt soll Ihnen helfen und Ihnen bei jedem Schritt zur Seite stehen. Es gehört Mut dazu, sich auf diese Reise zu begeben. Ich bin gespannt auf alles, was Sie dabei lernen werden.
Robin Stern,
im August 2017
Kapitel 1
WAS IST GASLIGHTING?
Katie ist freundlich und optimistisch. Wer sie trifft, dem schenkt sie ein Lächeln. Als Außendienstmitarbeiterin hat sie oft mit fremden Menschen zu tun, was ihr sehr gefällt. Sie ist eine attraktive Endzwanzigerin, die ihren jetzigen Freund Brian erst nach langem Suchen gefunden hat.
Brian kann der liebe, rücksichtsvolle Beschützer sein, aber er ist auch ein ängstlicher, besorgter Mann, der Unbekannten mit Argwohn begegnet. Wenn beide zusammen ausgehen, gibt Katie sich offen und kontaktfreudig. Sie kommt schnell ins Gespräch, ob mit dem Mann, der nach dem Weg fragt, oder der Frau, deren Hund ihr vor die Füße läuft. Brian aber spart nicht mit Kritik. Sieht sie