Der Gaslight-Effekt. Robin Stern
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Der Gaslighter dagegen wird nie auf die Idee kommen, dass seine Eifersucht, Unsicherheit und Paranoia eine Rolle spielen könnten. Er hält an seiner eigenen Erklärung fest: Er muss darunter leiden, dass Sie einem anderen schöne Augen machen. Es reicht ihm nicht, das erkannt zu haben. Er muss Sie auch dazu bringen, ihm zuzustimmen. Tun Sie das nicht, müssen Sie stundenlang Wut, Kälte, verletzte Gefühle oder auch scheinbar berechtigte Kritik ertragen (»Warum kannst du denn nicht sehen, wie sehr du mich verletzt? Sind dir meine Gefühle etwa total egal?«)
Dennoch bedarf es beim Gaslighting immer eines willigen Opfers. Gebraucht wird jemand, der den Gaslighter verklärt und verzweifelt um seine Anerkennung ringt. Sollten Sie für Gaslighting nicht anfällig sein, tun Sie die Kritik Ihres eifersüchtigen Freundes vermutlich achselzuckend und lachend ab, wenn er Ihnen fälschlicherweise vorwirft, ständig zu flirten. Aber was, wenn Sie es nicht ertragen, dass er Sie in einem so schlechten Licht sieht? Dann fangen Sie vielleicht an, sich zu rechtfertigen, um ihn dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern. (»Ich habe nicht geflirtet, Schatz. Das war ein ganz neutrales Lächeln.«) So sehr der Gaslighter will, dass seine Freundin sich entschuldigt, so sehr bemüht sie sich um seine Anerkennung. Irgendwann ist sie vielleicht zu allem bereit, um es ihrem Freund recht zu machen – und akzeptiert dann sogar seine negative, kritische Haltung ihr gegenüber.
Gaslighting: Die Abwärtsspirale
Gaslighting entwickelt sich oft schrittweise. Anfangs ist es meist relativ harmlos – vielleicht bemerkt man es nicht einmal. Angenommen, Ihr Freund wirft Ihnen vor, Sie lassen ihn absichtlich schlecht dastehen, weil Sie zu spät zum Empfang seines Arbeitgebers kommen. Dann führen Sie das auf seine Nervosität zurück oder nehmen an, er meine es nicht ernst. Vielleicht fragen Sie sich auch wirklich, ob Sie versucht haben, ihn schlecht dastehen zu lassen. Aber dabei belassen Sie es.
Irgendwann aber nimmt das Gaslighting einen größeren Raum in Ihrem Leben ein. Es beschäftigt Sie gedanklich und bestimmt Ihre Gefühle. Schließlich stecken Sie in einer tiefen Depression und sind unfähig, sich an den Menschen zu erinnern, der Sie einst waren und der eigene Standpunkte und Ansichten hatte.
Natürlich müssen Sie nicht zwangsweise alle drei Phasen durchlaufen. Aber viele Frauen erleben das Gaslighting als eine Abwärtsspirale.
Phase 1: Unglaube
In dieser ersten Phase will man es nicht wahrhaben. Der Gaslighter sagt etwas Ungeheuerliches: »Dieser Typ, der nach dem Weg gefragt hat, wollte dich nur ins Bett kriegen!« Sie trauen Ihren Ohren nicht. Haben Sie ihn falsch verstanden? Oder vielleicht er Sie? Oder hat er nur einen Witz gemacht? Die Bemerkung ist so lächerlich, dass Sie sie vielleicht einfach ignorieren. Oder aber Sie versuchen, den Fehler richtigzustellen, aber ohne großen Elan. Oder Sie verwickeln sich in einen langen Streit, sind sich aber Ihres eigenen Standpunkts nach wie vor sicher. Obwohl Sie gern hätten, dass der Gaslighter Ihnen zustimmt, sehnen Sie sich noch nicht verzweifelt danach.
Katie befindet sich wochenlang in dieser Phase. Sie versucht immer wieder, ihren Freund davon zu überzeugen, dass er falschliegt mit seinem Urteil über sie und andere, dass sie mit niemandem flirtet und niemand mit ihr flirtet. Manchmal hat Katie das Gefühl, ihn fast so weit zu haben, sie zu verstehen – aber so richtig tut er es nie. Sie macht sich Sorgen: War er es? War sie es? Er kann so lieb sein, wenn alles gut läuft. Warum ist er dann manchmal so komisch? Sie sehen, dass diese relativ leichte Form des Gaslightings verwirren, frustrieren und verunsichern kann.
Phase 2: Abwehr
In der zweiten Phase überwiegt das Bedürfnis, sich zu verteidigen. Sie suchen nach Beweisen, um dem Gaslighter zu zeigen, dass er falsch liegt. Sie streiten wie besessen mit ihm, oft in Gedanken. Sie versuchen verzweifelt, seine Anerkennung zu erlangen.
Liz befindet sich in dieser Phase 2. Sie kann nur an eins denken: Ihr Chef soll die Dinge so sehen wie sie. Nach dem Meeting geht sie jedes Gespräch mit dem Chef immer wieder durch – auf dem Weg zur Arbeit, beim Mittagessen mit Freunden, vor dem Einschlafen. Sie muss einen Weg finden, um ihn zu überzeugen. Vielleicht hält er dann mehr von ihr, und alles wird wieder gut.
Auch Mitchell ist in Phase 2. Weil er seine Mutter so verklärt, will ein Teil von ihm wirklich, dass sie recht hat. Also gut, denkt Mitchell sich nach der Auseinandersetzung mit der Mutter. Ich war wohl wirklich ein bisschen grob. Er fühlt sich elend, weil er so ein schlechter Sohn ist. Aber wenigstens muss er sich nicht elend fühlen, weil er eine schlechte Mutter hat. Er kann weiter versuchen, ihre Zustimmung zu erlangen, ohne sich ihr gemeines Verhalten eingestehen zu müssen.
Dass man die zweite Phase erreicht hat, erkennt man, wenn man sich häufig wie besessen fühlt, manchmal auch verzweifelt. Man ist sich nicht länger sicher, die Zustimmung des Gaslighters erlangen zu können – aber man hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Phase 3: Depression
Gaslighting der Phase 3, also Gaslighting dritten Grades, ist am schwierigsten, hier herrscht die Depression. Man versucht mit aller Macht zu beweisen, dass der Gaslighter richtig liegt. Dann kann man es ihm vielleicht recht machen und endlich seine Anerkennung gewinnen. Allerdings ist Phase 3 anstrengend, weshalb man oft zu erschöpft zum Streiten ist.
Meine Patientin Melanie steckte tief in Phase 3. Melanie war eine hinreißende Frau von etwa 35 Jahren, die Marktanalysen für ein großes New Yorker Unternehmen erstellte. Als sie das erste Mal zu mir kam, hätte ich sie jedoch kaum für eine leitende Angestellte gehalten. In einem sackartigen Pulli kauerte sie auf der Sofakante und schluchzte unkontrollierbar.
Der Vorfall, der zu ihrem Besuch bei mir geführt hatte, war ein Einkauf im Supermarkt. Sie war die Gänge entlanggehastet und hatte Lebensmittel für die Dinnerparty kaufen wollen, die sie am Abend für ihren Mann und seine Kollegen geben wollte. Jordan hatte sie gebeten, ihre Spezialität zuzubereiten, gegrillte Lachssteaks. Er hatte betont, dass seine Freunde gesundheitsbewusst seien und Wildlachs erwarten würden. Doch als Melanie zur Fischtheke kam, gab es dort nur Lachs aus Aquakulturen. Sie hatte zwei Möglichkeiten: den minderwertigen Fisch kaufen oder einen anderen Hauptgang planen.
»Ich fing einfach an zu zittern«, erzählte sie mir, als das Schluchzen nachließ. »Ich konnte nur daran denken, wie enttäuscht Jordan sein würde. Sein Gesicht, wenn ich ihm erzählen würde, dass ich keinen Wildlachs finden konnte, dass es einfach keinen gab. Die vorwurfsvollen Fragen: ›Warst du mal wieder zu spät dran, Melanie? Du hast das doch schon mal gekocht, du weißt doch, welche Zutaten man braucht. Ist dir dieser Abend so egal? Ich hab dir doch gesagt, wie wichtig er für mich ist. Was war dir denn wieder so wichtig, dass du dich nicht richtig um das Essen kümmern konntest? Das würde ich wirklich gern wissen.‹«
Melanie atmete tief ein und griff sich ein Kleenex. »Diese Fragerei hört einfach nicht auf. Ich habe versucht, darüber zu lachen, alles zu erklären, ich habe mich sogar entschuldigt. Ich habe versucht zu beweisen, dass es manchmal anders kommt – aber er glaubt mir einfach nicht.« Sie sank noch tiefer in sich zusammen und zog den Pulli fest um sich. »Wahrscheinlich hat er recht. Ich war immer so organisiert und so souverän. Aber selbst ich kann sehen, was für ein Chaos ich immer anrichte. Ich weiß nicht, warum ich nichts mehr auf die Reihe kriege. Nichts klappt mehr!«
Melanie war ein extremes Beispiel für den Gaslight-Effekt – sie hatte den negativen Blick des Gaslighters auf sie so vollständig übernommen,