Namen machen Leute. Gabriele Rodríguez
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Ab und zu erhalte ich auch Anfragen von Autoren, die ein Buch schreiben. Sie suchen nach Vornamen für ihre Figuren. So spielte eine Geschichte zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg, und die Autorin fragte nach den häufigsten Vornamen 1947 und 1948 in Berlin. Auch bei solchen Anfragen versuche ich zu helfen.
Heute erkundigen sich viele Eltern bei mir, viel öfter als noch vor zehn Jahren, ob der gewählte Vorname zum Familiennamen passt, ob er vielleicht zu den sogenannten »Unterschichten-Namen« gehört oder einfach, wie ich die gewählte Namenkombination finde.
Eine Mutter rief mich beispielsweise aus dem Raum München an und erkundigte sich nach dem männlichen Vornamen Gustav. Auch dieser Name erlebt heute eine Renaissance. Das Problem der Mutter lag darin, dass die Verwandtschaft meinte, Gustav hätte in Bayern keine Tradition. Sie brauchte Gegenargumente. Gustav wurde sehr wohl auch in Bayern häufig vergeben. Belege gibt es schon seit dem 18. Jahrhundert für Süddeutschland. In München gehörte Gustav um 1900 sogar zu den zwanzig häufigsten männlichen Vornamen. Eine bekannte bayrische Koseform dieses Namens lautet Gustl, bekannt auch durch den bayrischen Schauspieler Adolf Gustav Rupprecht Maximilian Bayrhammer, genannt Gustl Bayrhammer (geboren 1922). Und mein Lieblingsmaler Gustav Klimt (geboren 1862 in Wien) trägt auch diesen Namen.
Die Eltern sind immer wieder erstaunt, was in Namen steckt bzw. wie viele Informationen ein Name enthalten kann. Ein Zeichen dafür, dass Eltern in Deutschland die Namen in der Regel nicht nach ihrer Bedeutung wählen. In den meisten Fällen sind es der Wohlklang und die positiven Assoziationen zum Namen. In bestimmten Zeiten werden ähnliche Klangmuster bevorzugt. Man nehme nur die heute beliebten männlichen Vornamen Christian, Sebastian, Florian, Julian, Fabian und Maximilian, die alle auf »-ian« enden. Mädchen werden oft auch mit dem Namen »geschmückt«. Man denke nur an die vielen weiblichen Vornamen, die auf Blumenbezeichnungen oder Edelsteinnamen zurückgehen.
DA KOMMT WAS ZUSAMMEN
Eine halbe Million Vornamen haben wir mittlerweile in unserer Datenbank. Und jedes Jahr kommen gut 1000 dazu. Heute verfügt das »Namenkundliche Zentrum« der Universität Leipzig über eine moderne Ausstattung, eine eigene Bibliothek sowie über eine digitale Datenbank, ohne die die bis zu 3000 Anfragen im Jahr nicht zu bewältigen wären. Ich habe mich mittlerweile vor allem auf Vornamen spezialisiert, gebe aber auch telefonische Auskünfte zu Familiennamen und anderen Namenarten.
Seit über zehn Jahren ist die Namenberatung der Universität nun auch auf Messen wie »Baby & Kids« sowie auf Genelogentagen präsent. Neben dieser Arbeit halte ich Vorträge und Workshops auf Messen, in Schulen, in der Universität, in Bildungseinrichtungen, bei Vereinen, Behörden und Standesämtern. Die wissenschaftliche Arbeit darf dabei nicht zu kurz kommen. Es werden Statistiken erstellt und die gesammelten Daten zur Verwendung in der Namenberatung ausgewertet. Am interessantesten sind die Tagungen, Konferenzen und Kongresse, an denen ich teilnehme und bei denen ich Vorträge halte. Man tauscht sich mit Kollegen aus der ganzen Welt aus. Mittlerweile habe ich zahlreiche Kollegen nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Österreich, Russland, aus der Ukraine, aus Spanien, Frankreich, Mexiko oder Kuba, mit denen mich eine enge Freundschaft verbindet. Die Teilnahme an Tagungen und Kongressen dient der Weiterbildung, dem Austausch und der Präsentation der Arbeit der Namenberatungsstelle.
Auf Reisen bin ich immer auch auf der Suche nach neuen Namen sowie nach neuen Namenbüchern. Ein Namenforscher kann wohl nie abschalten, was Namen angeht. Jedes Namensschild, jeder gehörte oder gelesene Name wird sofort analysiert. Jedenfalls geht es mir so, und ich habe mein privates Umfeld schon angesteckt. Da kommen schon mal Fragen: Was ist denn »Tipporn« für eine Name, oder ist das überhaupt ein Name? Hast du schon den weiblichen Vornamen »Rahaf« in deiner Datenbank? Ich war letztens in »Geilenkirchen«, merkwürdiger Ortsname, oder? Wie kommen denn solche Doppelfamiliennamen wie »Peter-Silie« oder »Lange-Poppen« zustande? Und, und, und … Das Thema betrifft ja auch jeden persönlich. Ich erzähle gern über Namen. In mehr als zwanzig Jahren hat sich eine Menge Wissen zu diesem Thema angesammelt. Einmal sagte man mir, ich wäre diesbezüglich ein wandelndes Lexikon. Aber es kommt schon vor, dass ich doch mal vom Thema Namen abschalten möchte und keine Lust auf das Erklären derselben habe. Dann antworte ich, auf die Frage, was ich beruflich mache, einfach nur mit: »Ich arbeite an der Uni!«
Meine Arbeit ist interessant, abwechslungsreich und voller Überraschungen. Wenn ich früh zur Arbeit gehe, weiß ich nie, was mich an diesem Tag erwartet. Welche E-Mail-Anfragen kommen, wer anruft und warum, welche Eltern mit ihren Babys vorbeischauen.
Viele Leute finden meine Arbeit toll. Es gibt aber auch traurige Momente: wenn ich zum Beispiel einen Vornamen für ein tot geborenes Kind bestätigen soll. Da bin ich immer froh, wenn die Standesbeamten mich anrufen und nicht die betroffenen Eltern. Aber einmal meldete sich auch ein Vater und wollte den Namen für sein Kind bestätigen lassen. Am Ende sagte er: Es ist leider bei der Geburt gestorben. Für mich ist das immer ein Schock. Wenn ich ihm mein Beileid ausdrücke, hilft ihm das wohl wenig. Wenigstens dürfen diese Sternenkinder auch ihren eigenen Vornamen bekommen.
Es gab auch einen Fall, da wurde ich um geschlechtsneutrale Vornamen gebeten, die man gleichermaßen Jungen und Mädchen geben kann. Der Standesbeamte wollte sogar auf einen eindeutigen Zweitnamen verzichten.
Der Vater erzählte mir, dass sein Kind mit beiden Geschlechtsmerkmalen auf die Welt gekommen sei. Man könne noch nicht sagen, in welche Richtung sich das Kind entwickeln würde. Die Ärzte legten den Eltern nahe, sie sollen sich schon einmal in eine Richtung orientieren. Für die Eltern eine schlimme Situation. Der Vater konnte sein Herz bei mir ausschütten. Und ich erstellte ihm eine Liste geschlechtsneutraler Namen. Leider bekomme ich nie eine Rückmeldung. Die Lebensgeschichten bleiben für mich ohne Ausgang.
Manchmal jedoch werde ich auf Baby-Messen, auf denen ich oft die Namenberatung präsentiere und Vorträge zur Vornamengebung gehalten habe, auch überrascht. Eltern präsentieren mir ihre Kleinoder Schulkinder, denen ich vor Jahren den Vornamen bestätigt habe. Einmal bekam ich auch einen Brief von Jonael, der sich dafür bedankte, dass ich 2001 den Vornamen Jonael bestätigt habe.
Als Namenberaterin muss man eigentlich immer im Dienst sein. Ich bekomme oft Anfragen von Journalisten, die ganz schnell Informationen zu einem aktuellen Thema brauchen. Letztes Jahr kamen Leute vom Fernsehen sogar am Wochenende zu mir in den Garten, um ein Interview aufzunehmen, das noch am gleichen Tag gesendet werden sollte. Und auch im Urlaub hat man nicht immer Ruhe vor den Radio- und Fernsehleuten. 2008 rief mich ein Radiosender an, ich machte gerade einen Spaziergang durch Madrid. Oder im Juni 2015, als die Namen Sturmhart Siegbald Torsten, zuvor fälschlicherweise Sturmhorst, durch die Medien gingen, musste ich einige Anfragen zu diesen Namen beantworten. Es war der letzte Arbeitstag vor meinem Urlaub. Am nächsten Tag auf der Fahrt zum 200. Jubiläum der Schlacht von Waterloo in Belgien wollte ein privater Fernsehsender unbedingt noch eine Stellungnahme zu diesen Namen vor der Kamera. Ich sagte, dass dies leider nicht möglich ist, da ich mich auf dem Weg nach Belgien befinde. Sofort kam die Rückfrage: Wo sind Sie gerade? Ich antwortete: Auf der Autobahn kurz vor Kassel. Zu meinem Erstaunen kam sofort die Antwort: Da haben wir auch ein Studio und können ihnen ein Team schicken. Also gab ich ein Interview auf einem Rastplatz Nähe Autobahn bei Kassel. Was tut man nicht alles