Namen machen Leute. Gabriele Rodríguez
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Entscheidungskriterien zur Namenswahl
Interessant ist, dass sich Kinder und Eltern bei der Auswahl des Vornamens schon von Geburt an in einem Konflikt befinden. Die Eltern, das ist die Tendenz der letzten Jahre, wollen etwas Einzigartiges und Außergewöhnliches finden. Sie möchten, dass sich ihr Kind von anderen abhebt – mit einem besonderen, symbolischen, individuellen Vornamen.
Die Kinder aber, und das bedenken leider viele Eltern nicht, empfinden anders. Sie wollen sowohl im Kindergarten als auch in der Schule eigentlich so sein wie die anderen. Eben gerade nichts Besonderes. Für Kinder und Heranwachsende ist es wichtig, dazuzugehören und sich nicht von den Altersgenossen abzuheben. Und viele der ach so originellen und einzigartigen Vornamen stellen diese Verbindung zu anderen nicht her und sorgen im schlimmsten Fall sogar dafür, dass das Kind gehänselt oder ausgeschlossen wird. Auch daran sollten Eltern denken, bevor sie mit Vorschlägen kommen, wie sie beispielsweise im Anhang dieses Buches (siehe Seite 206 ff.) aufgelistet sind.
Ich mache meinen Beruf mittlerweile so lange, dass mich viele Standesämter kennen und sagen: »Wenn Leipzig das genehmigt, dann tragen wir das ein.« Entsprechend groß ist auch die Verantwortung, die ich habe. Letztendlich aber kann auch ich immer nur eine Einschätzung abgeben – und eine Empfehlung an das Standesamt. Entscheiden wird jedoch immer das Amt selbst. Oder wenn die Eltern so weit gehen wollen: das Gericht.
Wie sieht nun die Praxis bei den Standesämtern aus, wonach richten sie sich? Grundsätzlich gibt es in Deutschland eine freie Vornamenwahl. Diese wird von den Standesämtern kontrolliert, die allerdings angehalten sind, die gewünschten Vornamen nach drei Kriterien zu überprüfen:
1. Vornamencharakter: Der Name muss ein Vorname sein oder als solcher erkennbar sein. Dabei sind Neubildungen allerdings möglich.
2. Geschlechtseindeutigkeit: Bei nicht eindeutigen Vornamen muss ein weiterer eindeutiger Vorname dazugegeben werden. In den letzten Jahren weicht dieses Kriterium aber mehr und mehr auf. Geschlechtsneutrale Vornamen werden mittlerweile auch ohne Zweitnamen eingetragen.
3. Wohl des Kindes: Der Vorname darf das Kind nicht lächerlich machen. Weder jetzt noch in dessen weiterem Leben. Auch auf die Kombinationen muss dabei geachtet werden. Es können Vornamen abgelehnt werden, wenn diese im Zusammenspiel mit dem Familiennamen nicht passen. Zum Beispiel »Rosa Schlipfer/ Schlüpfer« (und diesen Fall hatte ich tatsächlich schon), »Claire Grube« oder »Axel Schweiss«. Auch bei der Kombination zweier Vornamen weisen wir zumindest darauf hin, dass es problematisch werden könnte: Marie-Johanna klingt eben schnell gesprochen wie »Marihuana«.
Das Klingelschild sollte niemand an seiner Tür haben müssen.
Das wichtigste Kriterium bei der Genehmigung von Vornamen ist mit Sicherheit das Kindeswohl. Denn das kann nachhaltig verletzt sein, wenn die gewählte Bezeichnung als Vorname sprachlich untauglich ist oder inhaltlich als Personenname ungeeignet erscheint. Dass als Vornamen benutzte Wörter über die Bezeichnung eines bestimmten Individuums hinaus einen allgemeinen Aussagegehalt haben, ist nicht nur üblich, sondern seit jeher geradezu Zweck der Namengebung (zum Beispiel bei Assoziationen zu Heiligen oder geschichtlichen Vorbildfiguren).
Die Ausstrahlungswirkung des Namens auf die Person kann sich je nach inhaltlicher Bedeutung und Durchschaubarkeit jedoch auch in ihr Gegenteil verkehren. Der Schutz des Kindes, das sich gegen belastende Namen nicht wehren kann, muss deshalb ein besonderes Anliegen des Rechts sein.
Es gibt aber kein festes Gesetz, sondern nur die oben genannten Regelungen, die allerdings auch interpretierbar und auslegbar sind. Und solche Auslegungen ändern sich im Laufe der Zeit. Früher einmal wurden Namen wie zum Beispiel Summer, Sunshine, Sky, Moon, Sonne, Brooklyn, Madison, Mackenzie, Tiger, Alaska, Woodstock, Junior, King, Prinz, Chelsea oder Emily-Extra abgelehnt. Mittlerweile werden sie aber als Vornamen eingetragen, dank entsprechender Gerichtsurteile. Oder dank unserer Gutachten.
Ebenfalls von Eltern schon gewünschte Vornamen wie Crazy Horse, Porsche, Rumpelstilzchen, Schnuckel, Kirsche, Schröder, Pfefferminze, Joghurt, Whisky, Borussia, Kaiserschmarrn, Superman, Keks oder Flauschi wurden aber abgelehnt.
Und das ist auch gut so.
EIN PHÄNOMEN – DER »KEVINISMUS«
Am 17. Januar 1991 lief der Film »Kevin allein zu Haus« in Deutschland an. Darin spielt ein zugegeben außerordentlich hübscher, niedlicher, smarter und extrem gewitzter Junge namens Kevin (dargestellt von Macaulay Culkin) die Hauptrolle. Vier Wochen später kam dann noch »Der mit dem Wolf tanzt« nach Deutschland – Regie und Hauptrolle: Kevin Costner. Ein Zufall, aber einer mit Folgen. Denn diese beiden Filme setzten etwas in Gang, das bis heute anhält. Und dessen Auswirkungen und Nachwehen gigantisch sind in der Welt der Vornamen.
Es begann ganz harmlos und langsam. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs gelangten immer mehr Namen aus dem englischen Sprachraum zu uns: anfangs durch die britischen und amerikanischen Besatzer, dann auch durch die Medien sowie durch die Verbreitung des Fernsehens und der Ausstrahlung vieler Spielfilme (und den darin auftretenden Schauspielern) – und natürlich durch populäre Musiker. Kevin ist im Ursprung ein irischer Name, der so viel bedeutet wie »schön von Geburt, hübsches Kind«. Die Schreibweise »Caoimhín« lautete in der anglisierten Fassung dann Kevin.
In Deutschland wurde der Vorname Kevin wohl zum ersten Mal im Jahr 1969 in Bökingharde in Schleswig-Holstein vergeben. In der DDR gab es 1966 die erste Anfrage zum Namen Kevin. In den folgenden Jahren blieb er zunächst noch extrem selten und war eher ein Name, den sehr gebildete Eltern ihren Kindern gaben. Menschen, die Freunde der keltischen Kultur waren oder im Urlaub nach Irland fuhren – was damals ein außergewöhnliches Reiseziel war –, brachten diesen damals noch sehr exotischen Namen mit. Meistens Akademiker. Vor 1975 wurde der Name in Berlin zum Beispiel nur neunmal vergeben, in den drei Jahren danach zehnmal.
Erst als der damals extrem bekannte und populäre englische Fußballer Kevin Keegan 1977 in die Bundesliga zum Hamburger SV wechselte, wurde Kevin in Deutschland geläufig, und immer mehr Eltern wählten diesen Vornamen. Ende der 1980er-Jahre wurde dann der Schauspieler Kevin Costner auch in Deutschland immer bekannter und beliebter. Er brachte den »Kevin« 1989 erstmals unter die Top 20 der beliebtesten Vornamen in Deutschland. Und dann noch weiter nach oben, als im Herbst 1990 sein Blockbuster »Der mit dem Wolf tanzt« in den USA ins Kino kam. Schon hier wurde der Name Kevin immer häufiger in den Medien genannt: ein wichtiger Grund für die Entstehung von Modenamen.
Aber so richtig verrückt wurde es dann mit »Kevin allein zu Haus«. Quasi aus dem Nichts wurde Kevin 1991 (und auch nur in diesem Jahr) mit Abstand zum beliebtesten Vornamen in Deutschland (vor den Dauersiegern Jan, Patrick, Philipp und Marcel).
Der Erfolg erklärt sich leicht. Neben der sympathischen Filmfigur, weshalb viele Eltern mit dem Namen Kevin ein Kind assoziierten, das man selbst gern hätte, hat Kevin alles, was ein schöner männlicher Vorname braucht. Da ist der Klang, der in Deutschland extrem wichtig ist. Die Deutschen vergeben Vornamen ja schon lange nicht mehr nach der Bedeutung oder der Tradition, sondern vor allem wegen der Lautstruktur. Ein Name muss angenehm klingen, griffig und stimmig sein. Es werden heute in Deutschland vor allem Vornamen mit den Anlauten M-, L- und J- gewählt. Die häufigsten männlichen Endungen sind -n (-ian, -in, -an, -on), -s (-ias, -as, -us, -ius, -es, -is) und -(e) 1, -(e)r. Die weiblichen Vornamen sind vor allem durch die Endungen -a, -ia, -e und -i, -ie, -y gekennzeichnet. Kevin hat zwar mit dem »K« einen harten Anlaut, wird aber durch die Vokale »e« und »i« sowie durch die Endung weicher und wohlklingender. Zudem besteht Kevin aus zwei Silben. Kürzere Vornamen liegen seit einigen Jahren voll im Trend. Dabei ist Kevin im Irischen