Namen machen Leute. Gabriele Rodríguez
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Von den Befragten in der Studie werden kurioserweise auch die Vornamen Maximilian, Leon, Lucas, Niklas, Philipp, Luca, Alexander, Celina, Robin, Tim und Mark teilweise als negativ angegeben. Diese Vornamen sind in den letzten Jahren regelmäßig in den Listen der am häufigsten vergebenen Vornamen enthalten. Und bei so häufigen Vornamen kommt es schon mal vor, dass auch verhaltensauffällige und leistungsschwache Kinder dabei sind. Zugegeben: Es ist schon etwas dran, dass englischsprachige Vornamen heute eher von bildungsärmeren Schichten bevorzugt werden. Befreundete Lehrerinnen haben mir das bestätigt. Allerdings ist es längst nicht mehr der Kevin, der im Unterricht negativ auffällt, sondern heute vor allem auch Jeremy, Justin, Jason, Lennox oder Maddox. Dass hier nur Jungennamen aufgelistet sind, liegt sicher auch daran, dass Jungen doch eher etwas lebhafter sind.
»Kevinismus« mit Fragezeichen
Das Phänomen des »Kevinismus« findet man aber auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Frankreich und Österreich. In einem Artikel über die französische Namengebung wird »Kevin« ebenso der bildungsfernen Schicht zugeschrieben2. Er hat in Frankreich eine ähnliche unerfreuliche Entwicklung erfahren wie in Deutschland. Auch in Österreich findet man bei der gebildeten Schicht eine traditionelle Namengebung. Da fallen die Vornamen Kevin, Marvin, Justin und Jennifer sofort als Unterschichtennamen auf.
Im Jahr 2006 schickte mir eine österreichische Freundin und Kollegin einen Artikel über das Unterschichtenproblem in Österreich. Ein Abschnitt war den sogenannten Unterschichtennamen gewidmet. Da tauchte für mich zum ersten Mal der Begriff »Kevinismus« auf, da Kevin hier ein beliebter Vorname war. Ich fand dies sehr amüsant. Einige Zeit später gab ich mal wieder ein Interview zu Vornamen für eine deutsche Zeitung und merkte nebenbei an, dass die österreichische Presse den Begriff »Kevinismus« geprägt hat. Der Journalist war verblüfft, denn er kannte diesen Begriff nicht. Und kurze Zeit später, im Jahr 2007, wurde der Begriff dann auch in Deutschland von den Medien verwendet. Womöglich bin ich also mitschuldig daran, dass er nach Deutschland kam. Für die Mädchen kam analog dazu der »Chantalismus« auf. Ich persönlich finde diese Bezeichnungen nicht sehr schön. Übrigens sagte mir letztens ein österreichischer Journalist, dass die Gegenbewegung zum »Kevinismus« in Österreich nun der »Emilismus« ist. So, wie sich gebildete Leute über englischsprachige Namen lustig machen, findet man auch weniger gebildete Menschen, die die Vornamen der Akademiker als sehr hochtrabend sowie die wiederkommenden altdeutschen Vornamen als altmodisch bezeichnen.
Und so griffig der »Kevinismus« auch mittlerweile ist, so falsch ist der Begriff letztlich auch. In einer Untersuchung von 2012 habe ich mir die Statistiken der Universität Leipzig vorgenommen und sie ausgewertet. Da ist der Zusammenhang zwischen Vornamen und Bildungsgrad nicht so ausgeprägt. Oder anders gesagt: Ich habe auch promovierte Akademiker mit Vornamen Kevin gefunden.
2013 habe ich einen Artikel veröffentlicht, als Reaktion auf die Oldenburger Studie von 2009 sowie die »Kevinismus«-Debatte im Internet. Untersucht habe ich dabei unter anderem die als leistungsschwach dargestellten Vornamen Kevin, Mandy, Chantal, Angelina, Jacqueline, Justin und Maurice auf Grundlage der Universitätsmatrikel der Universität Leipzig (Namen aller Studenten und Mitarbeiter bis 2000) und Vornamenstatistiken der DDR bis 1990. Es betrifft hier vor allem die Vornamen in der DDR. Die Vornamen Mandy, Nancy, Cindy, Sindy, Sandy und Peggy werden als sogenannte »DDR-Namen« bezeichnet. Sie sind alle in den Universitätsmatrikeln enthalten. Und tatsächlich waren diese Vornamen in der DDR insbesondere bei der Mittelschicht in den 1970er- bis 1990er-Jahren recht beliebt. Mandy gehörte zu dieser Zeit zu den beliebten weiblichen Vornamen in der DDR, vor allem aber in Ostmitteldeutschland. Mandy ist ein typischer Mittelschichtenname. Ein ähnliches Bild ergibt sich für Nancy, Cindy, Peggy und Sandy. Es sind Vornamen, die vom Bildungsbürgertum vergeben wurden.
Die als negativ eingeschätzten Vornamen Justin, Maurice, Chantal und Angelina erscheinen in den Universitätsmatrikeln noch recht wenig. Diese Namen sind erst in den 1990er-Jahren stärker aufgekommen – und wohl in den eher bildungsärmeren Schichten. Der Vorname Kevin erscheint auch nur 18-mal zwischen 1972 und 1985. Darunter befanden sich zwei Studenten aus den USA, einer aus Aschaffenburg und die übrigen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, die an der Universität Leipzig vor allem Betriebswirtschaft und naturwissenschaftliche Bereiche studierten. In der DDR gab es für den Namen Kevin Mitte der 1980er-Jahre einen Anstieg. In den 1990er-Jahren zählte Kevin zu den zehn beliebtesten männlichen Vornamen in den neuen Bundesländern. Damit wurde er für das Bildungsbürgertum eher uninteressant.
SANDY TRIFFT MANDY UND RANDY – VORNAMEN IN DER EHEMALIGEN DDR
Es ist ja ein sehr populärer Fun-Fact, dass man sagt, die Eltern in der DDR hätten ihren Kindern Namen gegeben, die englisch klingen, als Ausdruck von Fernweh und Sehnsucht nach diesen Ländern, in die sie nie reisen durften. Das klingt nachvollziehbar, ist aber falsch. Zumindest ist es nicht der Hauptgrund. Vielmehr ist es so, dass in der DDR natürlich Russisch erste Fremdsprache war, aber – was viele nicht mehr wissen –, Englisch war die zweite. Und so wurde es in den 1980er-Jahren unter den Bildungsbürgern in der DDR populär, sein Kind Sandy, Mandy oder Peggy zu nennen. Denn es war ein Privileg, Englisch zu können. Und wer es konnte, der hat es auch gezeigt. Zum Beispiel im Vornamen seines Kindes. Natürlich tauchten diese Namen auch in den Schulbüchern sowie im Bildungsfernsehen auf – vor allem Peggy und Tom. Und so wurden die beiden sehr beliebte Vornamen. Mit Fernweh oder gar Protest gegen das Eingesperrtsein hatte das wenig zu tun.
Andere englische Namen standen nicht in den Büchern, die kannte man oft nur vom Hören, zum Beispiel aus dem West-Fernsehen. So entstand wahrscheinlich die bekannteste ostdeutsche Abwandlung: Maik satt Mike. Zwar hat der Name Maik auch friesische Wurzeln, als Koseform von Meinhard, die man heute noch in der sehr beliebten Mädchenvariante Maike (oder Meike) findet. Aber man kann davon ausgehen, dass diese Form im Gebiet der DDR nicht geläufig war. Es ist eine klassische Eindeutschung eines Namens (siehe Kapitel S. 185ff.), den man eben nur gehört, aber nie aufgeschrieben gesehen hat.
Auch Madeleine wurde so in der DDR zu Madlen oder Yvonne zu Ivonne – oder Vivian zu Vivien. Sei es nun, weil die Eltern die wirkliche Schreibweise nicht kannten, oder auch, weil sie sie ganz bewusst »eindeutschten«, um damit größere Chancen zu haben, dass der Name genehmigt wird. Heute klingen manche Namen zwar ganz gängig, aber den Verdacht, dass ihre Eltern etwas einfältig waren und kein Englisch oder Französisch konnten, tragen die Kinder immer mit sich.
Auch den »Kevin« hatte man in der DDR sehr früh für sich entdeckt, hier wurde er sogar noch früher als im Westen eingetragen. Hier kannte man den Namen ebenfalls nur vom Hören, schließlich hat die Regierung dafür gesorgt, dass man nicht sieht, wie der Name geschrieben wird. Es gab deshalb also nur einige Anfragen für Kewin, Kevyn, Keven, Kewen oder auch Cevin, die dann abgelehnt wurden. Auch Kevin wurde zunächst abgelehnt, aber dann gewährte man auch hier den Bürgern diese kleine Extravaganz.
Ebenfalls eine Rolle spielt der regionale Einfluss. Im norddeutschen Raum, dessen Bewohner eher als mundfaul und kühl gelten, sind auch die Namen eher kurz und kantig: Ole, Jan, Finn, Lasse, Merle, Nele. Da spürt man schon beim Namen eine steife Nordseebrise. Im tiefsten Bayern, wo man den Menschen eher einen weichen, barocken und redseligen Charakter nachsagt, findet man ausladende, lange und warme, gemütliche Namen: Katharina, Veronika, Korbinian, Maximilian. In Sachsen wiederum kommt der Melodie des Dialektes die Endung auf »-i«, »-ie« oder »-y« entgegen. Also Ronny, Peggy, Mandy in den 1980er-Jahren. Und heute finden wir hier oft: Lilly, Leni, Emily, Hailey, Fibie, Tommy oder Harley.
Die Auswirkungen – nomen est omen
Die negativen Assoziationen, die allein der Name bei anderen auslöst, können frappierend sein. Ich kenne eine Untersuchung, für die einem Arbeitgeber zwei identische Bewerbungsmappen vorgelegt wurden. Die eine eingesandt von einem Kevin, die andere von einem Alexander. Das Ergebnis überrascht kaum: Der »Alexander« war durchweg der bevorzugte Kandidat.