Schöpfer der Wirklichkeit. Джо Диспенза
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Wie bei Abbildung 1.1 können wir die Welt und uns selbst in neuem Licht sehen, wenn wir unsere gewohnte Art des Denkens, Handelns, Fühlens, Wahrnehmens und Verhaltens hinter uns lassen. Und das Beste an diesem kleinen Experiment in Neuroplastizität ist, dass diese Veränderungen dauerhaft sind. Ihr Gehirn hat ein neues neurologisches Muster gebildet, das auf eine andere Art funktioniert. Sie haben neue Zellverbindungen geschaffen und damit sich selbst verändert. In unserem Zusammenhang haben die Begriffe »Veränderung«, »Neuroplastizität« und »Evolution« allesamt eine ganz ähnliche Bedeutung. Das Ziel dieses Buches besteht darin, Sie erkennen zu lassen, dass es bei Veränderung und Evolution immer darum geht, die Gewohnheit Ihres »Ich«-Seins hinter sich zu lassen.
Meine zwanzigjährigen Studien des Gehirns und seiner Auswirkungen auf das Verhalten haben mich im Hinblick auf die Menschen und unsere Fähigkeit zur Veränderung sehr hoffnungsfroh gestimmt. Das steht im Gegensatz zu dem, was wir lange Zeit geglaubt haben. Bis vor Kurzem wollte uns die wissenschaftliche Literatur weismachen, wir seien Opfer unserer Veranlagung und unserer Konditionierungen und uns bleibe nichts weiter übrig, als die Tatsache anzuerkennen, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist.
Ich meine damit Folgendes: Im Evolutionsprozess passen sich die meisten Arten, die schwierigen Umweltbedingungen ausgesetzt sind (wie Raubtieren, Klima, Verfügbarkeit von Nahrung, Hackordnung, sozialem Druck etc.) im Lauf von Jahrmillionen ihrer Situation an und finden einen Weg, die Schwierigkeiten zu überwinden. Vielleicht entwickeln sie eine gute Tarnung, vielleicht schnelle Beine, um den Fleischfressern zu entfliehen, oder andere Eigenschaften, die sich in ihrer physischen, genetischen Biologie niederschlagen. Unsere evolutionäre Entwicklung ist uns tief eingeprägt.
Sich verändernde Lebensumstände werden anpassungsfähigere Kreaturen dazu bringen, sich ihrer Umgebung entsprechend zu verändern und dadurch den Fortbestand ihrer Art zu sichern. Jahrhunderte von Versuch und Irrtum erlauben es den biologischen Organismen, die dabei nicht aussterben, sich den Umständen anzupassen und auch ihre Genetik entsprechend zu verändern. So verläuft der langsame, lineare Prozess der Evolution für alle Arten. Die Umwelt wandelt sich; das Verhalten sowie die Aktionen werden den neuen Umweltbedingungen angepasst; die Gene speichern die Veränderungen und die Evolution folgt, indem sie den Wandel für zukünftige Generationen aufzeichnet. Alle Nachfahren dieser Organismen werden ihrer Umwelt jetzt besser gewappnet entgegentreten können. Die jahrtausendelange Evolution der Arten hat dafür gesorgt, dass der körperliche Ausdruck eines Organismus in der Regel seinen Lebensbedingungen entspricht oder ihnen überlegen ist. In den Genen werden die Erinnerungen und die Weisheiten unzähliger Generationen gespeichert.
Der Preis dafür sind angeborene Verhaltensmuster wie Instinkte, natürliche Fähigkeiten, Triebe, Ritualverhalten, Temperamente und gesteigerte Sinneswahrnehmungen. Wir neigen zu der Ansicht, das, was in unseren Genen angelegt ist, entspräche einem automatischen Programm, dem wir nicht entrinnen können. Sobald es in unseren Genen aktiviert ist – sei es durch eine ihm innewohnende Zeitschaltung oder durch einen Auslöser in der Umgebung (Natur versus Erziehung/Bildung) –, sind wir so verschaltet, dass wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten. Es ist richtig, dass unsere Gene einen starken Einfluss darauf haben, wer wir sind – als lenkte uns eine unsichtbare Hand dahin, vorhersehbare Gewohnheiten anzunehmen und zu erwartende Neigungen zu entwickeln. Die Herausforderungen unserer Umwelt zu überwinden, bedeutet deswegen: Unsere Willenskraft muss uns über unsere Umstände hinausheben; Erinnerungen an vergangene Erfahrungen und die daraus entstandenen veralteten Gewohnheiten, die nicht mehr zu unseren jetzigen Lebensumständen passen, müssen wir loslassen. Eine evolutionäre Weiterentwicklung erfordert daher den Bruch mit genetisch veranlagten Gewohnheiten: Wir müssen das Erlernte als »Bahnsteig« benutzen, von dem aus die Reise weitergeht.
Veränderung und Entwicklung sind für keine Spezies angenehm. Unsere inneren Neigungen zu überwinden, unsere genetischen Programme zu verändern und uns an neue Umweltbedingungen anzupassen – das verlangt Willen und Entschlossenheit. Seien wir ehrlich: Keine Kreatur verändert sich gerne, es sei denn, sie erkennt es als Notwendigkeit. Das Alte loszulassen und das Neue anzunehmen, stellt immer ein großes Risiko dar.
Das Gehirn ist makroskopisch und mikroskopisch darauf ausgelegt, neue Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und dann routinemäßig darauf zurückzugreifen. Wenn wir nichts Neues mehr lernen oder aufhören, unsere Gewohnheiten zu ändern, leben wir nur noch die Routine. Doch unser Gehirn ist nicht dafür gebaut, das Lernen einzustellen. Wenn wir es nicht mehr mit neuen Informationen »upgraden«, wird es fest verdrahtet und spult nur noch automatisierte Programme ab, die keine Entwicklung mehr zulassen.
Anpassungsfähigkeit ist die Fähigkeit zur Veränderung. Wir sind so klug und fähig. Wir können in einem Leben Neues lernen, mit alten Gewohnheiten brechen, unsere Überzeugungen und Wahrnehmungen ändern, Schwierigkeiten überwinden, Fähigkeiten erwerben und auf geheimnisvolle Weise zu anderen Wesen werden. Unsere großen Gehirne sind die Instrumente, die es uns ermöglichen, mit solchen Riesenschritten vorwärtszueilen. Es erscheint uns lediglich als eine Frage der Entscheidung. Unsere Evolution ist unser Beitrag zur Zukunft, doch liegt es im Bereich unseres freien Willens, wie wir den Prozess einleiten.
Evolution beginnt jedoch mit der Veränderung des Individuums. Damit Sie sich mit der Idee anfreunden, bei sich selbst anzufangen, können Sie sich das erste Geschöpf vorstellen – sagen wir, ein Mitglied eines Rudels mit einem strukturierten Gruppenbewusstsein –, das sich entschloss, mit dem gewohnten Verhalten der Gruppe zu brechen. Auf irgendeiner Ebene muss dieses Wesen den Impuls gehabt haben, eine andersartige Aktion und eine Abweichung vom normalen Verhalten dieser Art könnte seinem eigenen Überleben und vielleicht auch dem seiner Art dienlich sein. Wer weiß, vielleicht sind auf diese Weise ganz neue Arten entstanden? Das sozial anerkannte Verhalten hinter sich zu lassen und etwas Neues auszuprobieren, erfordert eine gewisse Individualität – bei jeder Art. Sich kompromisslos für die eigene Vision eines neuen, verbesserten Selbst zu entscheiden und das eigene alte Verhalten zu überwinden – das kann sich dem lebendigen Gewebe aller nachfolgenden Generationen einprägen. Individuen, die dieses Maß an Kultiviertheit aufgebracht haben, werden von ihren Nachfahren oft hoch geehrt. Wahre Evolution besteht also darin, das genetische Wissen aus vergangenen Erfahrungen als Rohmaterial für den Umgang mit neuen Herausforderungen heranzuziehen.
Dieses Buch bietet Ihnen eine wissenschaftlich begründete Alternative zu der Annahme, unser Gehirn bestehe im Wesentlichen aus unveränderlichen Neuronenmustern; wir hätten in unseren Köpfen eine Art Neuro-Rigidität, die sich in dem unflexiblen, gewohnheitsmäßigen Verhalten äußert, das wir so oft erleben. Tatsächlich jedoch sind wir Meister der Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Neuroplastizität und hervorragend darauf eingerichtet, unsere neuronalen Verbindungen umzustrukturieren und das erwünschte Verhalten zu erzeugen. Wir verfügen über sehr viel mehr Macht, unser Gehirn, unser Verhalten, unsere Persönlichkeit und letztlich unsere Wirklichkeit zu verändern, als wir bislang angenommen haben. Ich weiß das, weil ich es selbst erfahren und weil ich davon gelesen habe, wie einzelne Menschen über ihre Situation hinauswuchsen, sich dem Angriff der jeweiligen Realität stellten und zu bedeuteten Veränderungen beitrugen.
Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung hätte zum Beispiel nie so weitreichende Auswirkungen gehabt, hätte nicht ein echtes Individuum wie Dr. Martin Luther King Jr. entgegen all seinen Lebensumständen an die Möglichkeit einer anderen Wirklichkeit geglaubt. Dr. King hat das in seiner berühmten Rede zwar als »Traum« bezeichnet, aber letztlich beschwor und lebte er eine bessere Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt sind. Wie war ihm das möglich? Er entschied sich dafür, die neue Idee der Freiheit für sich selbst und für die