Schöpfer der Wirklichkeit. Джо Диспенза
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Ohne emotional zu reagieren, fragte ich den Arzt, wie lang die Stäbe sein müssten. »Zwanzig bis dreißig Zentimeter, von oben bis unten«, meinte er. Dann erklärte er mir, die ganze Angelegenheit sei eigentlich völlig unbedenklich. Im Hinausgehen riet er mir noch, mir innerhalb der nächsten drei Tage einen Operationstermin geben zu lassen. Ich winkte ihm zum Abschied und bedankte mich.
Noch nicht zufrieden, bat ich den besten Neurologen der Gegend um seinen Besuch. Nach seiner Untersuchung und Begutachtung der Röntgenaufnahmen sagte er ohne Umschweife, meine Chancen, ohne Operation jemals wieder gehen zu können, lägen unter 50 Prozent. Der Th8 sei keilförmig komprimiert – auf der Vorderseite mehr, auf der Rückseite weniger. Bei einem Versuch mich hinzustellen, würde die Wirbelsäule das Gewicht meines Rumpfs nicht mehr tragen können und bräche durch. Der schräge Winkel des Th8 verändere die Gewichtsbelastung der anderen Wirbel, und dieses Ungleichgewicht würde seiner Meinung nach die Knochensplitter in den Wirbelsäulenkanal schieben – was eine sofortige Paralyse unterhalb des Th8 zur Folge hätte. Dann wäre ich brustabwärts gelähmt. Wie der Arzt noch hinzufügte, hatte er noch nie von einem Patienten in den USA gehört, der sich gegen diese Operation entschieden hätte. Zwar verfolgten einige Ärzte in Europa andere Ansätze, doch darüber wisse er kaum etwas und könne auch nichts empfehlen.
Am nächsten Morgen fand ich mich in einem Nebel aus Schmerzmitteln und Schlaflosigkeit wieder und stellte fest, dass ich immer noch im Krankenhaus war. Als ich die Augen aufschlug, saß Dr. Paul Burns an meinem Bett, mein alter Zimmergenosse aus dem Chiropraktik-College. Paul hatte eine Praxis in Honolulu, doch kaum hatte er von meinem Zustand erfahren, war er sofort nach San Diego geflogen, nach Palm Springs gedüst und für mich da, als ich an diesem Morgen erwachte.
Paul und ich entschieden, es wäre mir zuträglicher, mich ins Scripps Memorial Krankenhaus in La Jolla überführen zu lassen, um näher an meinem Zuhause in San Diego zu sein. Die Fahrt war lang und quälend. Ich lag festgezurrt auf einer Bahre; jede Straßenunebenheit teilte sich meinem Körper durch schmerzhafte Stöße mit. Ich fühlte mich hilflos. Wie sollte ich das bloß jemals durchstehen?
Als ich in meinem Krankenhauszimmer ankam, wurde ich sofort dem führenden orthopädischen Chirurgen Südkaliforniens vorgestellt. Er war mittleren Alters, erfolgreich, gut aussehend, sehr glaubwürdig und ernsthaft. Er gab mir die Hand und erklärte mir, es sei keine Zeit zu verlieren. Mit direktem Blick in meine Augen sagte er: »Sie haben eine Kyphose (eine unnatürliche Krümmung der Wirbelsäule) mit einem Winkel von 24 Grad. Die CTs zeigen, dass das Rückenmark verletzt ist und die Knochensplitter berührt, die von dem ursprünglich zylindrischen Wirbelsegment nach innen gedrückt worden sind. Die Knochenmasse musste dem Druck ja irgendwohin ausweichen. Ihre Wirbel gleichen Schottersteinen. Jede Minute kann eine Lähmung eintreten. Ich empfehle Ihnen, sich sofort nach der Harrington-Methode operieren zu lassen. Wenn wir länger als vier Tage warten, wird eine noch viel drastischere Operation notwenig sein, bei der wir den Körper von vorne öffnen, den Brustkorb aufschneiden und die Harrington-Stäbe von vorne und hinten einsetzen müssen. Diese Art von Operation hat nur eine Erfolgsquote von ungefähr 50 Prozent.«
Ich begriff, weshalb diese Entscheidung innerhalb von vier Tagen fallen musste. Die dem Körper innewohnende Intelligenz sorgt dafür, dass sich am Knochen Calciumstränge anlagern, um den Heilungsprozess möglichst schnell in Gang zu setzen. Nach vier Tagen müssen die Operateure durch diesen natürlichen Heilungsprozess hindurch und darum herum arbeiten. Wie der Arzt mir versicherte, würde ich in ein bis zwei Monaten wieder gehen und in meiner Praxis Patienten behandeln können, falls ich mich entschlösse, mich innerhalb von vier Tagen operieren zu lassen.
Aber irgendwie konnte ich mich nicht darauf einlassen, eine so wichtige Entscheidung über meine Zukunft so schnell zu fällen.
In der Zwischenzeit schlug ich mich fürchterlich mit diesem Konflikt herum und fühlte mich ziemlich überfordert. Der Arzt war sich seiner Sache so sicher, als gäbe es überhaupt keine zwei Meinungen dazu. Ich fragte ihn trotzdem: »Und was, wenn ich mich gegen die Operation entscheide?« Er antwortete ruhig: »Das würde ich Ihnen nicht empfehlen. Es wird drei bis sechs Monate dauern, bis Ihr Körper so weit geheilt ist, dass Sie wieder gehen können. Normalerweise müssen Sie diese ganze Zeit liegend, im Bett, verbringen. Danach würden wir Ihnen ein Ganzkörperkorsett anpassen, das Sie sechs bis zwölf Monate lang ununterbrochen tragen müssten. Wenn Sie meine professionelle Meinung hören wollen: In dem Moment, wo Sie versuchen, frei zu stehen, werden Sie gelähmt sein. Die Instabilität des Th8 wird eine Verstärkung der Vorwärtskrümmung und damit eine Durchtrennung des Rückenmarks bewirken. Wären Sie mein Sohn, lägen Sie jetzt schon auf dem OP-Tisch.«
Ich lag da, umringt von acht Chiropraktikern, alles meine engsten Freunde. Mein Vater war sogar von der Ostküste eingeflogen. Lange Zeit sprach niemand ein Wort. Alle warteten darauf, dass ich etwas sagen würde. Aber ich sagte nichts. Schließlich lächelten meine Freunde mich einer nach dem anderen an, klopften mir liebevoll auf den Arm oder auf die Schulter und verließen voller Respekt das Krankenzimmer. Als alle bis auf meinen Vater gegangen waren, wurde mir deutlich, wie erleichtert meine Freunde waren, nicht an meiner Stelle zu sein. Ihr Schweigen dröhnte in meinen Ohren, ich hätte es nicht überhören können.
Was ich während der nächsten drei Tage durchlitt, war die schlimmste Form menschlichen Leidens: die Unentschlossenheit. Immer wieder betrachtete ich die Diagnose-Bilder, beriet mich noch einmal mit allen und entschied schließlich, eine weitere Meinung könne nicht schaden.
Ungeduldig erwartete ich am nächsten Tag den letzten Fachmann unserer Gegend. Sowie er eintraf, wurde er von meinen Kollegen mit Fragen überschüttet. Sie zogen sich eine Dreiviertelstunde lang zur Beratung zurück und kamen dann mit den Röntgenaufnahmen wieder. Der Arzt meinte im Wesentlichen das Gleiche wie die anderen, riet aber zu einem etwas anderen operativen Vorgehen: Stäbe von 18 Zentimetern Länge sollten ein Jahr lang in meiner Wirbelsäule bleiben, dann entfernt und durch 12 Zentimeter lange Stäbe ersetzt werden, die ich dann mein Leben lang in mir tragen würde.
Jetzt hatte ich die Option auf zwei Operationen statt einer. Ich lag da wie in Trance und sah zu, wie sich die Lippen des Experten bewegten, aber meine Aufmerksamkeit war woanders. Ich wollte nicht so tun, als wäre ich an seiner Prognose interessiert; ich wollte nicht gedankenlos nicken, nur damit er sich besser fühlte. Nach und nach klang seine Stimme ferner und ferner. Meine Zeitwahrnehmung wurde immer diffuser. Im Geist war ich weit von diesem Krankenzimmer entfernt. Ich dachte darüber nach, wie es wäre, mit einer ständigen Behinderung und wahrscheinlich permanenten Schmerzen zu leben. Vor meinem inneren Auge zogen Bilder von Patienten vorüber, denen ich begegnet war und die sich für die Harrington-Prozedur entschieden hatten: Sie mussten jeden Tag suchtauslösende Medikamente nehmen, um ihre höllischen Schmerzen zu unterdrücken und konnten ihnen trotzdem nie ganz entrinnen.
Ich grübelte: Was würde ich einem Patienten raten, der eine ähnliche Diagnose hatte wie ich? Wahrscheinlich, sich operieren zu lassen, weil es das Sicherste war, um wieder gehen zu können. Aber hier ging es um mich. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, mit einer solchen Behinderung und in einer gewissen Abhängigkeit von anderen zu leben. Bei dem Gedanken drehte sich tief in mir alles um. Das natürliche Gefühl der Unsterblichkeit, das mit Jugend, guter Gesundheit und einer bestimmten Lebensphase einhergeht, verließ mich allmählich, so wie die Zimmerwärme, die aus einem offenen Fenster strömt.