ACT der Liebe. Russ Harris
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Was ist hier nun passiert? Claire hat es sich getraut, offen und verwundbar zu sein. Sie hat sich geöffnet und Juan einige ihrer schmerzhaften Gefühle mitgeteilt. Dieses Verhalten unterscheidet sich sehr von ihrer gewöhnlichen Reaktion. Normalerweise zeigt sie Juan lediglich ihr wütendes Äußeres. Im Gegenzug geht er in die Defensive und beginnt zu kritisieren. Das wiederum macht Claire noch wütender, und es entsteht ein Teufelskreis. Wenn Claire sich jedoch öffnet und Juan sehen lässt, wie sehr sie leidet, reagiert er ganz anders. Er empfindet Mitgefühl für sie: Er erkennt, wie sehr sie leidet, und möchte dieses Leiden lindern. Statt sie also herunterzuputzen oder sich zurückzuziehen, geht er auf sie zu, um sie zu trösten.
Gefangen in-Ihrem-Verstand vergessen Sie leicht, dass Ihr Partner ebenfalls leidet. Sie werden von Wut, Groll und Selbstgerechtigkeit festgehakt und von Gedanken wie diesen gefangen genommen: Das ist alles zu schwer. Es sollte einfach nicht so schwierig sein dürfen! Warum lässt er mich nicht in Ruhe? Sie konzentrieren sich so sehr auf das, was an Ihrem Partner nicht stimmt, oder regen sich so sehr darüber auf, wie er Sie behandelt hat, dass Sie vergessen,: er ist ein Mensch mit Gefühlen. Sie vergessen, dass er diese Beziehung aus denselben Gründen eingegangen ist wie Sie: um zu lieben und geliebt zu werden, um zu sorgen und umsorgt zu werden, um sein Leben dadurch, dass er es mit jemandem teilt, zu verbessern und zu bereichern. Keiner von Ihnen ist diese Beziehung eingegangen, weil er kämpfen und streiten und zanken und beschuldigen und urteilen und verletzen und zurückweisen wollte. Wenn Sie also leiden, leidet Ihr Partner garantiert ebenfalls. Und wenn Sie anfangen, zu erkennen, dass Sie beide im selben Boot sitzen, beide aufgrund einer Beziehung leiden, die sich ganz anders entwickelt hat, als Sie es sich gewünscht hätten, ergibt sich eine Möglichkeit, anders zu reagieren: mit Güte und Zuwendung statt mit Groll und Zurückweisung. Und man muss kein Nobelpreisträger sein, um zu wissen, was für Ihre Beziehung gesünder ist. Folgendes können Sie jetzt also tun:
1. Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um etwas über die wichtigsten Probleme in Ihrer Beziehung zu schreiben. Seien Sie bemüht, hierbei wertfrei zu beschreiben, statt harte Urteile zu fällen und scharfe Kritik zu üben. Schreiben Sie zum Beispiel: „Greg hilft nicht sehr oft bei der Hausarbeit“ statt „Greg ist ein fauler Dreckskerl“. Am Anfang fällt das schwer, zeigen Sie deshalb Nachsicht mit sich selbst. Und wann immer Sie bemerken, dass Ihnen ungewollt ein hartes Urteil entschlüpft ist, nehmen Sie einfach Notiz davon. Sagen Sie still so etwas zu sich wie: „Aha! Da ist ein Urteil!“ oder „Hier wird beurteilt!“ Streichen Sie es dann durch und schreiben Sie stattdessen etwas Wertfreies.
2. Schreiben Sie über die schmerzhaften Emotionen, die Sie infolge dieser Probleme empfunden haben. Mit welchen schmerzhaften Gedanken und Gefühlen haben Sie gekämpft? Wenn die hauptsächlichen Gefühle, die Sie wahrnehmen, Ärger, Wut, Groll, Zorn oder Frustration sind, schauen Sie, ob Sie „tiefer gehen“ können. Dies sind normalerweise oberflächliche Emotionen. Unter dem verärgerten Äußeren finden Sie gewöhnlich so etwas wie Leiden, Traurigkeit, Schuldgefühl, Scham, Furcht, Zurückweisung, Einsamkeit, Minderwertigkeitsgefühle, Hoffnungslosigkeit – oder das Gefühl, nicht geliebt, nicht gewollt, nicht geschätzt oder vernachlässigt zu werden.
3. Geben Sie offen und ehrlich zu, dass diese Beziehung schon länger schmerzhaft ist. Sie haben gelitten. Es ist nicht leicht gewesen. Sie sind diese Beziehung mit allen möglichen Erwartungen eingegangen, von denen sich viele nicht erfüllt haben. Sie hatten alle möglichen Zukunftsträume, von denen sich viele nicht verwirklicht haben. Sie haben sich alle möglichen Illusionen über Ihren Partner gemacht, und viele davon sind zerstört worden. Angesichts dessen, was Sie durchgemacht haben, ist es vollkommen normal, dass Sie sich so fühlen, wie Sie es tun.
4. Dieser Teil ist die größte Herausforderung: Denken Sie ein paar Minuten lang darüber nach, dass auch Ihr Partner gelitten hat. Vielleicht hat er niemals mit Ihnen darüber gesprochen. Viele Männer sind nicht besonders gut darin, über ihre Gefühle zu reden. (Das liegt nicht an einem biologischen Unterschied, sondern lediglich daran, dass sie in einer Kultur aufwachsen, in der ihnen dies nicht beigebracht wird.) Möglicherweise müssen Sie hier also Ihre Fantasie spielen lassen. Denken Sie darüber nach, wie es für Ihren Partner sein muss, derjenige zu sein, der Ihre Beschwerden und Ihre Kritik einsteckt. Falls er dazu neigt, das Gespräch zu unterbrechen, still zu werden und sich zurückzuziehen, wie ist es dann wohl für ihn – sich einzuigeln und dichtzumachen, um zu bewältigen? Falls er dazu neigt, zu grübeln, Gedanken nachzuhängen und Vergangenes wieder aufzuwärmen, wie schmerzhaft muss es dann für ihn sein – durch das Wiederabspielen alter Ereignisse, die sich nie ungeschehen machen lassen, wieder und wieder zu leiden? Falls er wütend wird und schreit, wie unangenehm muss es sich dann für ihn anfühlen, von Wut und Groll verzehrt zu werden? Gewiss sind hier keine Freude und kein Vergnügen im Spiel; wie sehr muss er leiden, verloren in seinem Zorn?
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Sie sich die Zeit nehmen, Schritt 4 auszuführen, auch wenn dies eine Konfrontation und eine Herausforderung darstellt. Es kann jedoch sein, dass Ihr Verstand versucht, diesen Prozess zu stören; möglicherweise erzählt er Ihnen ein paar sehr wenig hilfreiche Geschichten: Ist doch egal, wenn er leidet. Er verdient es. Er hat es sich selbst zuzuschreiben. Warum sollte es mir etwas ausmachen? Wenn Ihr Verstand so mit Ihnen spricht, haben Sie zwei Optionen. Die eine besteht darin, sich vollkommen in der Geschichte zu verfangen und es zuzulassen, dass sie Ihr Verhalten kontrolliert. Wenn Sie sich für diese Option entscheiden, haben Sie eine Garantie auf noch mehr Konflikt und Spannung.
Die andere Option besteht darin, die Geschichte wahrzunehmen, ohne sich in ihr zu verfangen – nehmen Sie sie wahr, als würden Sie auf der anderen Straßenseite einen alten Freund erblicken. Sagen Sie zu sich selbst:
„Aha! Ich kenne diese alte Geschichte. Die habe ich schon mal gehört.“ Überlegen Sie dann einen Moment: „Was passiert, wenn ich mich in diese Geschichte verbeiße, wenn ich es zulasse, dass sie mich verzehrt?“ Fragen Sie sich: „Wird es mir helfen, meine Beziehung neu aufzubauen oder zu vertiefen, wenn ich dieser Geschichte all meine Aufmerksamkeit schenke und es zulasse, dass sie mein Verhalten diktiert?“ Indem Sie dies tun, lernen Sie einen wichtigen Teil von Achtsamkeit: die Fähigkeit, zu bemerken, was Ihr Verstand sagt, und zu entscheiden, wie Sie darauf reagieren – ob Sie sich an diesen Gedanken festklammern oder ob Sie den Griff lösen und loslassen wollen.
Das Wahrnehmen Ihres gemeinsamen Schmerzes ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg vom Konflikt zur Lösung. Wenn Sie wahrhaft erkennen, dass Sie beide leiden, wird es Ihnen leichter fallen, sich Fürsorge und Mitgefühl zu widmen. Beide sind wesentliche Voraussetzungen für eine Wiederherstellung