Werde übernatürlich. Джо Диспенза

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Werde übernatürlich - Джо Диспенза

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und erlebte die damit zusammenhängenden Emotionen immer wieder. Ganz unabsichtlich verankerte sie durch das Erinnern ihr Gehirn und ihren Körper in der Vergangenheit.

      Emotionen sind die chemischen Konsequenzen (bzw. das Feedback) früherer Erfahrungen. Unsere Sinne zeichnen eingehende Informationen aus der Außenwelt auf, und Neuronencluster vernetzen sie. Wenn sie zu einem Muster einfrieren, erzeugt das Gehirn eine chemische Substanz – wir nennen das eine Emotion – und schickt sie durch den Körper. Erfahrungen werden besser erinnert, wenn wir uns auch an das dazugehörige Gefühl erinnern können. Je stärker der emotionale Quotient eines beliebigen Ereignisses – sei es nun gut oder schlecht – ist, desto stärker verändert sich unsere innere Chemie. Bemerken wir eine signifikante innerliche Veränderung, achtet das Gehirn darauf, wer oder was diese Veränderung im Außen bewirkt, und macht sozusagen einen Schnappschuss dieser äußeren Erfahrung; das nennen wir eine Erinnerung.

      Die Erinnerung an einen Vorfall kann also neurologisch dem Gehirn eingebrannt werden; die Szene wird in unserer grauen Substanz eingefroren, wie wenn die Zeit stillstünde, so wie es auch bei Anna der Fall war. All die Menschen und Objekte zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort, die an einer stressgeladenen Erfahrung beteiligt waren, werden unserer neuronalen Architektur als holografisches Abbild eingraviert. So erzeugen wir Langzeiterinnerungen. Die Erfahrung wird also dem neuronalen Schaltkreis eingeprägt, und die Emotion wird im Körper gespeichert – so wird unsere Vergangenheit zu unserer Biologie. Anders ausgedrückt: Erleben wir etwas Traumatisches, denken wir auf neurologischer Ebene leicht im Schaltkreis dieser Erfahrung und fühlen uns auf chemischer Ebene an die damit zusammenhängenden Emotionen gebunden; unsere gesamte Verfassung bzw. unser Seinszustand – wie wir denken und fühlen – steckt biologisch in der Vergangenheit fest.

      Auf Anna stürmten natürlich jede Menge negative Emotionen ein: ungeheure Traurigkeit, Schmerz, Opferrolle, Kummer, Schuld, Scham, Verzweiflung, Wut, Hass, Frust, Groll, Schock, Furcht, Angst, Sorge, Überforderung, Qual, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, Isolation, fassungsloser Unglaube und Verrat. Und nichts davon löste sich schnell wieder auf. Anna analysierte ihr Leben auf Basis der Emotionen der Vergangenheit, sie litt immer mehr. Da sie nicht über ihre ständigen Gefühle hinausdenken konnte und weil Emotionen eine Aufzeichnung der Vergangenheit sind, dachte sie in der Vergangenheit – und es ging ihr immer schlechter. Als Psychotherapeutin konnte sie rational und intellektuell verstehen, was mit ihr passierte, doch trotz aller Einsichten konnte sie nicht über das Leid hinauswachsen.

      Die Menschen, mit denen sie zu tun hatte, fingen an, sie als die Frau zu behandeln, die ihren Mann verloren hatte; das wurde zu ihrer neuen Identität. Den Grund für ihre derzeitige Verfassung sah sie in ihren Erinnerungen und Gefühlen. Fragte sie jemand, warum es ihr so schlecht ging, erzählte sie von dem Selbstmord – und durchlebte den Schmerz, die Angst und das Leid stets von Neuem, aktivierte dabei wiederholt dieselben Verschaltungen im Gehirn, erzeugte immer wieder dieselben Emotionen; damit konditionierte sie Gehirn und Körper mehr und mehr auf die Vergangenheit. Jeden Tag dachte, handelte und fühlte sie so, als wäre die Vergangenheit noch immer lebendig. Unser Denken, Handeln und Fühlen macht unsere Persönlichkeit aus; Annas Persönlichkeit war also komplett auf Basis der Vergangenheit entstanden. Anna erzählte die Geschichte vom Suizid ihres Mannes immer wieder und konnte dadurch das Geschehene nicht hinter sich lassen.

      Eine Abwärtsspirale setzt ein

      Anna konnte nicht mehr arbeiten und musste sich beurlauben lassen. Wie sie herausfand, hatte ihr Mann, obwohl er ein erfolgreicher Anwalt war, die Familie finanziell ruiniert. Sie musste erhebliche Schulden abzahlen, von denen sie vorher nichts gewusst hatte – und sie hatte nicht einmal genug Geld, um überhaupt damit anfangen zu können. Kein Wunder also, dass sich der emotionale, psychische und mentale Stress dadurch noch vergrößerte.

      Annas Gedanken drehten sich im Kreis; unzählige Male stürmten Fragen auf sie ein: »Wie soll ich mich bloß um unsere Kinder kümmern? Wie können wir künftig mit diesem Trauma umgehen und wie wird es sich auf unser Leben auswirken? Warum ist mein Mann weg, ohne sich von mir zu verabschieden? Wie konnte es mir entgehen, dass er so unglücklich war? Habe ich als Ehefrau versagt? Wie konnte er mich mit zwei Kindern im Stich lassen und wie schaffe ich es, sie alleine großzuziehen?«

      Dann begann sie zu werten und zu verurteilen: »Er hätte sich nicht umbringen und mich in diesem finanziellen Schlamassel sitzen lassen dürfen. Was für ein Feigling! Wie kann er nur seine Kinder vaterlos zurücklassen! Er hat mir und den Kindern nicht einmal einen Brief geschrieben. Ich hasse ihn, weil er mir nicht einmal eine Nachricht hinterlassen hat. Dieser Blödmann lässt mich einfach allein mit den Kindern zurück. Hatte er überhaupt eine Ahnung, was er uns damit antut?« All diese Gedanken waren emotional stark aufgeladen und beeinflussten ihren Körper.

      Neun Monate später, am 21. März 2008, wachte Anna auf und war von der Taille abwärts gelähmt. Nur wenige Stunden später lag sie in einem Krankhausbett, daneben ein Rollstuhl. »Neuritis«, so lautete die Diagnose: eine Entzündung des peripheren Nervensystems. Mehrere Tests ergaben keine strukturellen Ursachen für das Problem; man sagte Anna, es müsse sich um eine Autoimmun-erkrankung handeln. Ihr Immunsystem griff das Nervensystem im unteren Rücken an, zerstörte die Schutzschicht um die Nerven herum und war die Ursache für die Lähmung in beiden Beinen. Sie konnte den Urin nicht mehr halten, hatte Schwierigkeiten, ihren Stuhlgang zu kontrollieren, hatte kein Gefühl mehr in Beinen und Füßen und keine Kontrolle mehr über ihre Bewegungen.

      Wenn sich das Kampf-oder-Flucht-System, also das sympathische Nervensystem, einschaltet und wegen des chronischen Stresses eingeschaltet bleibt, nutzt der Körper sämtliche Energiereserven, um mit der beständigen Bedrohung fertigzuwerden, die er im Außen wahrnimmt. Damit ist keine Energie mehr für die innere Umgebung übrig, für Wachstum und Reparaturvorgänge, und das Immunsystem wird beeinträchtigt. Aufgrund des immer wieder auftretenden inneren Konflikts griff Annas Immunsystem ihren Körper an. Sie hatte die emotional im Kopf erlebten Schmerzen und Leiden physisch manifestiert. Anna konnte ihren Körper nicht mehr bewegen, weil sie sich im Leben nicht weiterbewegte – sie steckte in ihrer Vergangenheit fest.

      Im Lauf der nächsten sechs Wochen wurde Anna von ihren Ärzten mit Unmengen intravenös verabreichtem Dexamethason und anderen Kortikosteroiden zur Entzündungshemmung behandelt. Aufgrund des zusätzlichen Stresses und der Art dieser Medikamente, die das Immunsystem weiter schwächen, entwickelte sie zudem eine aggressive bakterielle Infektion; dagegen wurden ihr von den Ärzten Unmengen an Antibiotika verabreicht. Nach zwei Monaten wurde Anna aus dem Krankenhaus entlassen und konnte sich nur mithilfe eines Rollators und mit Krücken weiterbewegen. Nach wie vor hatte sie im linken Bein kein Gefühl, und Stehen war sehr schwierig für sie. Sie konnte nicht richtig gehen. Ihren Darm hatte sie wieder ein bisschen besser unter Kontrolle, aber nicht das Harnlassen. Und wie man sich denken kann, führte die neue Situation zu noch mehr Stress. Sie hatte ihren Mann durch Selbstmord verloren, sie konnte nicht viel arbeiten, um für sich und ihre Kinder Geld zu verdienen, sie hatte ernsthafte finanzielle Probleme und hatte über zwei Monate gelähmt in einem Krankenhaus gelegen. Ihre Mutter musste zu ihr ziehen, um ihr zu helfen.

      Anna war ein emotionales, mentales und körperliches Wrack, und obwohl sich die besten Ärzte eines angesehenen Krankenhauses um sie kümmerten und sie mit den neuesten Medikamenten behandelten, verbesserte sich ihr Zustand nicht.

      2009, zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes, wurde bei ihr eine klinische Depression diagnostiziert, und sie nahm noch mehr Medikamente ein. Daraufhin begann sie unter Stimmungstiefs zu leiden – von Kummer über Schmerz zu Leiden, von Hoffnungslosigkeit über Frust zu Furcht und zu Hass. Diese Emotionen wirkten sich auf ihr Verhalten aus, sie wurde irgendwie irrational. Zunächst fing sie mit praktisch allen außer ihren Kindern Streit an. Doch bald geriet sie auch in Konflikt mit ihrer jüngsten Tochter.

      Die dunkle Nacht der Seele

      Inzwischen

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