Arbeit im Wandel. Jeff Schwartz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Arbeit im Wandel - Jeff Schwartz страница 14
Unsere kulturelle Vorstellung von Arbeit hat sich auch früher schon öfter dramatisch verändert. In der vorindustriellen Wirtschaft war Arbeit gleichbedeutend mit Handwerk, mit einer Person, die ein Produkt von Anfang bis Ende selbst herstellte. Ein Schuster erledigte alle Aufgaben, vom Ausmessen der Füße seines Kunden bis hin zu letzten Korrekturen am fertigen Paar Schuhe. Die industrielle Revolution veränderte diese Auffassung von Arbeit, nachdem klar geworden war, dass sich Produkte schneller und billiger herstellen ließen, wenn der Vorgang in kleinere, wiederholbare Einzelschritte zerlegt wurde, auf die sich die verschiedenen Arbeiter spezialisieren konnten. Ein »Arbeitsplatz« umfasste von da an für viele Leute eine Reihe einzelner Aufgaben. Heute scheinen wir die Arbeit wieder neu zu definieren und die Veränderung geht erneut in die Gegenrichtung: Da Computer mehr einzelne Aufgaben erledigen können, gehen die Menschen wohl wieder zu eher umfassenden, menschlichen Tätigkeiten über – wie Problemlösung, Kommunikation, Interpretation, Bewältigung unerwarteter Herausforderungen, Fragenstellung und das Management der Beziehungen zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Maschine.
Es gibt viele Debatten, ob diesmal – in der sogenannten vierten industriellen Revolution – alles anders verlaufen wird. In der Vergangenheit haben die industriellen Revolutionen, die jeweils zur Mechanisierung, Elektrifizierung und Computerisierung der Arbeit führten, die Arbeitsplätze dramatisch umgestaltet, vor allem die der einfachen Arbeiter in Landwirtschaft und Produktion. Eine wichtige Besonderheit der heutigen Revolution ist die Tatsache, dass sich Fortschritte in den digitalen Technologien meist auf alle Sektoren der Wirtschaft auswirken. Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass die Maschinen, die wir heute bauen, mehr können als nur Routineaufgaben zu mechanisieren. Lernende Maschinen sind fähig, über festgeschriebene Algorithmen hinauszugehen und sich tatsächlich mithilfe von Mustererkennung selbst neue Aufgaben beizubringen. Daher sind Maschinen in der Lage, neue Lösungen für Probleme vorzuschlagen. Genau diese Art der Autonomie bereitet vielen Menschen Sorgen.
Arbeitskräfte sind viel anpassungsfähiger, als wir denken
Forscher der Harvard Business School untersuchten im Jahr 2019 in einer globalen Studie, ob Angestellte bereit wären, alles Notwendige zu unternehmen, um die Drehungen und Wendungen einer rasch veränderlichen Wirtschaft mitzumachen. Die Studie zeigte, dass die Arbeitskräfte anpassungsfähiger sind, als man es ihnen oft zutraut. Im Fokus standen Unternehmensleiter, aber auch diejenigen Personen, die in der veränderlichen Dynamik am verletzlichsten sind: Arbeitskräfte mit geringer bis mittlerer Bildung und niedrigem bis mittlerem Einkommen. Die Mehrheit dieser Arbeitskräfte hatte nach der Sekundarstufe der Schule nicht mehr als zwei Jahre Ausbildung.48
Es überrascht wohl kaum, dass sich die befragten Vorstände darum sorgten, ob sie genügend Mitarbeiter mit den Fähigkeiten finden würden, die ein Unternehmen benötigt, das in einem Klima ständiger Disruption betrieben werden muss. Die befragten Arbeitskräfte konzentrierten sich dagegen stärker auf die Chancen und Vorteile, die die Zukunft ihnen bieten kann. Sie waren viel begieriger auf die Veränderungen und den Erwerb neuer Fähigkeiten, als ihre Arbeitgeber vermutet hatten. Laut der Studie meinte die Mehrheit der Arbeitskräfte, dass Fortschritte wie Automatisierung und künstliche Intelligenz sich positiv auf ihre Zukunft auswirken würden. Ihre größte Sorge war, dass ihnen andere – Zeitarbeiter, Freelancer oder Outsourcing – ihre Arbeitsplätze streitig machen könnten. Auf die Frage, warum sie die Zukunft so positiv betrachten, nannten sie zwei Gründe: die Aussicht auf höhere Gehälter und die Aussicht auf interessantere und sinnvollere Tätigkeiten.49 Ihrer Ansicht nach eröffnen sowohl die Automatisierung als auch die Technologie an diesen Fronten neue Gelegenheiten – weil sie zu flexibleren und eigenverantwortlicheren Arbeitsformen führen, weil sie neue Möglichkeiten zur Erzielung eines guten Einkommens eröffnen und weil sie den Menschen von Aufgaben befreien, die »schmutzig, gefährlich oder ermüdend« sind.
Wachstum und Innovation
Aus vergangenen Technologietransitionen können wir viel lernen. Immer, wenn es keine dynamischen, reaktionsfähigen Richtlinien und auch nicht genug Ressourcen für das Management des Übergangs gab, sahen sich ausgemusterte Arbeitskräfte größerer Unsicherheit und größerem Leid gegenüber als nötig gewesen wäre. Wir können alle bei der Gestaltung des Wandels mitwirken. Wenn KI, Robotik und neue Beschäftigungsmodelle tatsächlich die meisten Arbeitsplätze so umkrempeln werden, dass die Beschäftigten neue Fähigkeiten benötigen, dann besteht unsere heutige Aufgabe darin, Wege nach vorn sowie Chancen zu eröffnen, die für alle zugänglich sind. Auf dem Spiel steht nicht nur unser wirtschaftliches Überleben, sondern auch unser psychisches Wohlergehen.
Arbeitslosigkeit bringt laut Amy Wrzesniewski, Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Yale School of Management, immer soziale und psychologische Probleme mit sich, zu denen auch persönliche Identitätskrisen gehören. »Unsere Identität ist eng mit der Berufstätigkeit verknüpft«, bemerkte sie in unserem Interview. »Unsere institutionellen Beziehungen sind für unsere geistige Gesundheit so zentral, weil die organisierte Arbeit während der letzten 100 Jahre eine wichtige soziologische Rolle spielte.«50
Der Ökonom John Maynard Keynes prophezeite 1930 in dem Essay »Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder«, dass noch innerhalb des kommenden Jahrhunderts die Durchschnittsperson 15 Stunden pro Woche arbeiten und es massive Probleme mit zu viel Freizeit geben werde.51 Keynes' Blick auf die Zukunft war »eingefroren«, da er die Möglichkeit nicht bedachte, dass sich in Volkswirtschaften, die auf völlig neuen Technologien beruhen, auch immer wieder neue Fachbereiche auftun können. Keynes sah all die neuen Fachbereiche und menschlichen Bestrebungen nicht vorher, die erst noch erfunden werden mussten – von der modernen Gesundheitsversorgung und Bildung bis hin zu der erstaunlichen Kreativität der Technologie-, Medien- und Dienstleistungsindustrien. In letzter Zeit waren es vor allem diese Bereiche, die die Beschäftigung und den Fortschritt sicherten, und sie sind auch der Grund dafür, dass viele von uns, die sich mit dem Wandel der Arbeitswelt beschäftigen, so optimistisch sind. Die Zukunft kann uns so viel mehr bieten als nur mechanisierte Arbeitsvorgänge, optimierte Workflows und immer höhere Effizienz – sie kann uns neue Schöpfungskraft sowie neue Level des Wachstums und der Innovation bieten.
Wegweiser in die Zukunft
Zwar ist die Zukunft unvorhersehbar, aber wir können dennoch schon sehr viel über die Entwicklungen sagen, die die Art und den Ort unserer Arbeitstätigkeit verändern werden. Das kommt daher, dass viele der Veränderungen bereits im Gang sind. Eine wichtige Navigationshilfe ist dabei die Art und Weise, wie wir selbst die Dinge betrachten, die vor uns liegen: Unsere traditionellen Denkmodelle und Herangehensweisen angesichts von Problemen sind ab jetzt nicht mehr verlässlich. Die nun folgenden Wegweiser können Personen, die Familien unterhalten und Kredite abbezahlen müssen und die in bezahlter Anstellung bleiben wollen, ganz egal, was die Zukunft bringt, praktische Hilfestellungen geben. Sie können dazu beitragen, dass die Leser eigenverantwortliche