Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung. Группа авторов

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Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung - Группа авторов

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Wahrung der Menschenwürde ist ganz sicher eine wichtige Lehre aus den erinnerten schlimmen Zeiten. Gilt sie noch heute? Haben wir noch andere Antworten auf die Frage: „Was hat das mit mir zu tun?“

      Literaturverzeichnis

      Friedländer, Saul: Wenn die Erinnerung kommt (München 1979).

      Ihrig, Stefan: Justifying Genocide. Germany and the Armenians from Bismarck to Hitler (Cambridge, Mass. 2016).

      Kieser, Hans Lukas / Dominik Schaller (Hrsg.): Der Völkermord an den Armeniern und die Shoah (Zürich 2002).

      LaCapra, Dominique: Writing History, Writing Trauma (Baltimore, London 2001).

      Meier, Christian: Das Gebot zu vergessen und die Unabweisbarkeit des Erinnerns. Vom öffentlichen Umgang mit schlimmer Vergangenheit (München 2010).

      Werfel, Franz: Die vierzig Tage des Musa Dagh (Berlin 1933).

      Good Man in Hell: General Romeo Dallaire and the Rwanda Genocide (Video-Interview United States Holocaust Memorial Museum 2003).

      „Ich fälle kein Urteil“. Interview mit Raul Hilberg, in: taz, 7.12.2002.

      Anmerkung

      1 Gedenkrede in Gleisdorf (Steiermark) anlässlich des Gedenktages gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, 5. Mai 2015. Die Rede wurde für die Publikation leicht überarbeitet.

      Peter Gautschi

      Holocaust und Historische Bildung – Wieso und wie der nationalsozialistische Völkermord im Geschichtsunterricht thematisiert werden soll

      Dass die Thematisierung des Holocaust in der Schule zum Pflichtprogramm gehört, ist mittlerweile unbestritten. Dies ist im deutschsprachigen Raum auch ein Verdienst von _erinnern.at_. Praxistaugliche Unterrichtsvorschläge, theoretische Erwägungen sowie ein Engagement in Lehrplanung und Schulpolitik haben dazu geführt, dass viele Schülerinnen und Schüler in der obligatorischen Schule in der einen oder anderen Weise dem nationalsozialistischen Völkermord begegnen und dabei neues Wissen erwerben, Können aufbauen und Einstellungen entwickeln. Während also ein großer Konsens besteht, dass das Lehren und Lernen über den Holocaust zum schulischen Alltag auf den Sekundarstufen gehört, ist weniger klar, mit welchen Zielen und wie der Holocaust im Geschichtsunterricht thematisiert werden soll. Ein Blick in die Unterrichtspraxis, in die Literatur und auch auf die Website von _erinnern.at_ zeigt eine große Vielfalt.

      Historische Bildung als orientierender Kompass im schulischen Umgang mit dem Thema Holocaust

      „Weshalb soll über den Holocaust unterrichtet werden?“ (IHRA, 2019, S. 12). Auf diese Frage gibt es eine Vielzahl von Antworten (vgl. z. B. Brüning, 2018; Eckmann, 2017; Fracapane, 2014). Die IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) formuliert dazu in ihren Empfehlungen für das Lehren und Lernen über den Holocaust, dass der schulische Umgang mit dem Holocaust eine wichtige Möglichkeit bietet, „kritisches Denken, gesellschaftliches Bewusstsein und die Entwicklung der Persönlichkeit zu fördern“ (IHRA, 2019, S. 13). Geschichtsvermittlung scheint in diesem Zusammenhang in erster Linie für die Wissensvermittlung zuständig: „Lehrende in Institutionen (wie z. B. in Schulen) und informellen Umfeldern (wie z. B. in Museen und vergleichbaren Einrichtungen) können Lernende durch interdisziplinäre Zugänge, die auf gesichertem historischen Wissen basieren, motivieren.“ (IHRA, 2019, S. 13).

      Zweifellos sind aus theoretischer Sicht interdisziplinäre Zugänge zum Thema Holocaust und fächerverbindende Vorgehensweisen angemessen, aber für die schulpraktische Vermittlung ergibt sich dadurch ein gravierendes Problem: Weil Schule heute nach wie vor und aus gutem Grunde nach Fächern gegliedert und mit dem Stundenplan rhythmisiert ist (Künzli, 2012; Schneuwly, 2018), haben es interdisziplinäre Vermittlungsanliegen schwer, ihren Platz im Schulalltag zu finden. Entweder fallen sie weg, oder sie finden einen Ort in einem disziplinär orientierten Lehrplan, was beim Thema Holocaust mit dem Fach Geschichte der Fall ist.

      Wer nun aber als Lehrerin oder Lehrer im Geschichtsunterricht Überlebende des Holocaust in die Schulklasse einlädt, mit den Schülerinnen und Schülern in eine KZ-Gedenkstätte fährt, videografierte Zeitzeuginnen oder Zeitzeugen zu Wort kommen lässt oder Quellen und Darstellungen zu den Verbrechen analysiert, will den Lernenden weder in erster Linie Wissen vermitteln, noch will er sie prioritär befähigen, ein Problem zu lösen. Hier stehen oft andere Anliegen im Zentrum, z. B. „die Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt“, wie das Wilhelm von Humboldt schon 1793 formulierte, als er „Bildung“ beschrieb (Humboldt, 1903, S. 283). Im Geschichtsunterricht im Allgemeinen und bei der Thematisierung des Holocaust im Besonderen geht es nicht um bloße Anpassung des Einzelnen an eine ihm vorgegebene Welt und deshalb nicht ausschließlich um das Lösen von bestimmten Problemen in dieser Welt. Vielmehr geht es um eine vielfältige Auseinandersetzung, „bei der der Einzelne seine je eigene Form des Menschseins in dieser Welt entwickeln kann – sich also selbst bildet“ (Sander, 2014, S. 11; Sander, 2018). Bildung – so lässt sich kurz und populär zusammenfassen – spiegelt einen reflektierten Umgang mit sich selber, mit anderen und mit der Welt (Wikipedia, 2020).

      Jetzt hat sich die Geschichtsdidaktik in den letzten Jahren kaum mehr explizit mit historischer Bildung im Humboldt’schen Sinne beschäftigt. Die einschlägigen Werke sind an einer Hand abzuzählen (Henke-Bockschatz, 2005; Mayer, 2005; Dressler, 2012; Mütter, 1995; Buschkühle, 2009), und nicht einmal im Wörterbuch Geschichtsdidaktik kommt „historische Bildung“ vor. Bildung bezeichnet sowohl eine Entwicklung (Bildungsprozess) als auch einen Zustand (gebildet sein) (Sander, 2018). Historisch gebildet sind Menschen mit ausdifferenzierten personalen und sozialen Identitäten, die offen und neugierig dem Universum des Historischen begegnen, die über gut entwickelte Kompetenzen im Umgang mit Vergangenheit, Geschichte und Erinnerung verfügen und die darauf aufbauend die eigenen Handlungsspielräume in Gegenwart und Zukunft sehen und nutzen sowie die Chancen historischer Bildung erkennen und sich weiterhin bilden wollen (Gautschi,

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