Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung. Группа авторов

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Nationalsozialismus und Holocaust – Materialien, Zeitzeugen und Orte der Erinnerung in der schulischen Bildung - Группа авторов

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gegen Schluss des Trailers, dass die Geschichte der Frau, Sophie Haber, eine von fünf Geschichten ist, die in der App erzählt werden.

      Auf dem Bildschirm werden danach die fünf Menschen kurz vorgestellt. Die Nutzerinnen und Nutzer, meist Schülerinnen und Schüler, erfahren durch Anklicken der Porträtaufnahmen den Namen der Person sowie eine Kürzestzusammenfassung der Geschichte, zum Beispiel: „Eva Koralnik, geb. 1936, flieht als Achtjährige aus Budapest in die Schweiz“. Nachdem man sich für einen Menschen und eine Geschichte entschieden hat, startet ein rund 20-minütiges Video. Es handelt sich um ein geschnittenes Zeitzeugeninterview, das in diesem Fall Eva Koralnik in Porträtaufnahme zeigt, während sie ihre Lebensgeschichte erzählt. Am Schluss des Videos werden den Schülerinnen und Schülern vier Aspekte präsentiert, von denen sie zwei für die Weiterarbeit auswählen können, z. B. „Leben in Budapest“ und „Lebensretter Harald Feller“.

      Jetzt folgen zu den gewählten Aspekten eine Reihe von Aufgaben, welche die Jugendlichen kognitiv aktivieren und sie zu einer intensiven Begegnung mit den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie dem Thema anregen. Sie müssen Kurzantworten schreiben, Zitate auswählen, Eindrücke festhalten, in Multiple-Choice-Fragen korrekte Antworten ankreuzen, Satzanfänge ergänzen, aus Textbausteinen einen Text zusammenfügen und selbst kurze Texte schreiben. Durch einen Epochenwechsel beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler gegen Schluss des rund 45-minütigen Studiums des Themas „Fliehen vor dem Holocaust“ schließlich auch mit dem Phänomen „Flucht“ in unserer heutigen Zeit.

Illustration

       Standbild aus dem Trailer zur App „Fliehen vor dem Holocaust. Meine Begegnung mit Geflüchteten“. Der Trailer findet sich auf https://vimeo.com/251810470 (aufgerufen am 31.10.2020). Mit der App werden die Geschichten von fünf Menschen erzählt, die vor den Nazis flüchten mussten. Die Nutzerinnen und Nutzer können die Geschichte auswählen, die sie am meisten interessiert oder betrifft.

      Diejenigen Materialien aus der App, mit welchen sich die Schülerinnen und Schüler beschäftigen, sowie ihre formulierten Überlegungen, werden in einem individuellen Album im PDF-Format mit dem Titel „Mein Zeitzeugnis“ gesammelt. Die Jugendlichen mailen dieses „Zeitzeugnis“ an Personen ihrer Wahl, in schulischen Zusammenhängen auch an die Lehrperson, und sie selbst erhalten ihre Arbeit ebenfalls zugeschickt, um damit weiter zu studieren oder sie allenfalls ins Portfolio abzulegen. Weil die Schülerinnen und Schüler selbst ein Dokument herstellen und eine Geschichte – ihr eigenes Zeitzeugnis – erzählen, wird wirkungsvolles historisches Lernen ermöglicht.

      Vier Kernideen leiteten die Entwicklungsarbeit:

      1. Im Zentrum der App stehen videografierte Zeitzeugeninterviews mit Menschen, die über ihre Erlebnisse berichten. Schülerinnen und Schüler sollen diesen Fliehenden begegnen, ihre Namen kennen, ihre Gesichter sehen, ihre Geschichten hören und verstehen.

      2. Die App ist ein variables Lehrangebot für die schulische Vermittlung. Für den Einsatz der App bieten sich drei Unterrichtsmöglichkeiten an: Einzel- oder Kleingruppenarbeiten im Klassenzimmer am je eigenen Gerät; Präsentation via Beamer oder interaktivem Whiteboard durch die Lehrperson; oder die Lernenden nutzen die App zu Hause und die von ihnen erstellten Alben werden danach im Klassenzimmer verglichen und diskutiert.

      3. Die Lernenden werden durch einen vollständigen Prozess historischen Lernens – von der Wahrnehmung über die Erschließung und Interpretation zur Orientierung (Gautschi, 2015, S. 51) – zum Erzählen gebracht: Während der Arbeit mit der App erstellen die Schülerinnen und Schüler ein Album, in dem sie Materialien sammeln, ordnen und kommentieren. Diese Dokumentation wird in einem PDF-File zusammengestellt und gespeichert.

      4. Schließlich sollen die Jugendlichen zu den ausgewählten Menschen einen direkten Bezug herstellen können, sei es, weil die Geschichten in ihrer Lebenswelt spielen, sei es, weil große Fragen der Jugendlichen wie Liebe, Vertrauen, Schule, Familie oder Freizeit thematisiert werden.

      Die App fordert und fördert also die Jugendlichen in drei Dimensionen: im Umgang mit Geschichte, mit Gesellschaft und mit sich selbst.

      Die Schülerinnen und Schüler begegnen der Lebensgeschichte eines Menschen und erzählen diese Geschichte weiter (Narrativität). Sie bearbeiten einen Zeitstrahl (Temporalität) und achten auf Kontinuität und Veränderungen (Historizität). Die Zuverlässigkeit von Zeitzeugen-Erzählungen wird thematisiert (Faktizität/Fiktionalität), und die Jugendlichen beschäftigen sich mit den Erinnerungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie mit referierter Geschichte, z. B. zu den Geschehnissen in Budapest. Dank der unterschiedlichen Geschichten der fünf porträtierten Menschen entsteht Multiperspektivität, in Teilen auch Kontroversität.

      Die in der App erzählten Geschichten spiegeln Schlüsselprobleme der gegenwärtigen Gesellschaft, z. B. Flucht und Krieg; es geht um gesellschaftliche Grundbedürfnisse sowie um Inklusion und Exklusion. Schließlich berühren die Geschichten die Identitäten der Schülerinnen und Schüler und erlauben auch die Begegnung mit anderen. Durch die Filme und die Aufgaben ergeben sich Angebote für die Immersion und die Reflexion, für Emotion und Kognition. Moralische Fragen spielen in der App eine zentrale Rolle, auch weil Fragen der je eigenen Lebenswelt gestellt werden.

      Empfehlungen für künftige Inszenierungen für das Lehren und Lernen über den Holocaust

      Historische Bildung kann auch in Zukunft als orientierender Kompass im schulischen Umgang mit dem Thema Holocaust dienen. Wie oben erläutert bedeutet dies, dass bei Inszenierungen drei Zieldimensionen spezifisch in den Blick genommen werden: die Förderung von Jugendlichen im Umgang (a) mit Geschichte, (b) mit Gesellschaft und (c) mit sich selber.

      Dass sich Geschichtsdidaktik schwertut mit der Festlegung der Basisnarrative, hat natürlich mit schlechten Erfahrungen zu tun. Üblicherweise wird nämlich viel zu viel verlangt, weshalb die Forderung von Bodo von Borries aus dem Jahre 2004 immer noch gilt: „vorsichtiger, aber wirklichkeitsgerechter“, „weniger, aber gründlicher“, „einfacher, aber anregender“ und „bescheidener, aber bewusster“ (Borries, 2004, S. 423). Jugendliche im Alter von 15 Jahren sollten im deutschsprachigen Raum mindestens auf folgende fünf Fragen Antworten geben können (vgl. dazu auch IHRA 2019, S. 16–23):

      – Warum und wie kam es zum Holocaust?

      –

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