Fokus SEIDENPLANTAGE. Paul Fenzl

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Fokus SEIDENPLANTAGE - Paul Fenzl

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      »Die Kripo war bei mir«, informierte Frau Herrmann wenige Minuten, nachdem Kommissar Pirzer und Kommissarin Dirmeier die SEIDENPLANTAGE verlassen hatten, telefonisch ihre Freundin, die Richterin.

      »Ich weiß. Simone hat mich bereits angerufen. Sie hatten es eilig, weil ihr ab Montag wegen des Lockdowns euren Betrieb einstellen müsst, und der Kommissar Köstlbacher befürchtet, er könnte dann vor verschlossenen Türen stehen«, antwortete die Richterin. »Unter uns: Hast du etwas zu verbergen? Du klingst so aufgeregt. So kenne ich dich gar nicht.«

      »Nein! Nein, nein! Es ist zurzeit nur alles etwas viel auf einmal. Kaum, dass ich den Laden hier übernommen habe, und er endlich zu laufen anfing, zwingt uns dieser Lockdown in die Knie. Und obendrein noch diese Tote mehr oder weniger vor meiner Haustüre. Nicht gut fürs Geschäft!«, antwortete Petra Herrmann.

      »Simone und ich, wir haben auf deine Bitte hin unser Möglichstes getan, um wenigstens seitens der Presse den Mord so darstellen zu lassen, dass ihr trotz der räumlichen Nähe zum Tatort außen vor bleibt. Was Corona und den Lockdown betrifft, da bin selbst ich machtlos!«, bedauerte Monika Kranz.

      »Ich habe irgendwie ein komisches Gefühl. Keine Ahnung wieso! Vielleicht, weil ich die Ermordete schon öfter gesehen habe. Ich fühle mich in gewisser Weise involviert!«

      »Mach‘ dir keinen Kopf! Der Kollege Köstlbacher klärt bestimmt alles schnell auf. Er ist dafür bekannt, in selbst unlösbar erscheinende Fälle Licht zu bringen. Ich muss jetzt leider abbrechen. Auf der Dienstleitung kommt soeben ein Anruf rein. Wir hören uns! Ich halte dich auf dem Laufenden!«

      »Man sieht sich!«, antwortete Frau Herrmann, ein klein wenig beruhigter. Trotzdem wurde sie ihre Befürchtungen nicht los, was da noch alles auf sie zukommen könnte.

      Kapitel 13

      Es war an einem dieser häufig nebelverhangenen Tage im November 2020. Lina Herwig saß mit einem Glas Wein vor dem Fernseher und lenkte sich mit einer Quizz-Show ab. ›Gefragt – Gejagt‹. Die Sendung lief in diesem Jahr zum letzten Mal. Eventuell sollte es 2021 eine Neuauflage geben.

      Frau Herwig war Sportlehrerin. Ehemalige Sportlehrerin. Als ihr Mann von Berlin an die Uni Regensburg berufen wurde, um dort einen vakanten Philosophie-Lehrstuhl zu übernehmen, blieb ihr nichts anderes über, als ihren eigenen beruflichen Werdegang abzubrechen. In Bayern gehen die Uhren anders. Um hier an staatlichen Regelschulen unterrichten zu dürfen, ist das bayerische Staatsexamen vonnöten. Zum Glück gab es noch andere Betätigungsfelder für eine Sportlehrerin. An der Uni Regensburg wurden traditionell diverse Kampfsportarten angeboten. Da der Kursleiter dafür kurzfristig für längere Zeit ausfiel, nutzte Frau Herwig die Chance und bewarb sich erfolgreich um den befristeten Job. Kampfsport hatte sie während ihres Studiums in Berlin als Kernfach belegt. Selber unterrichtet hatte sie ihn bislang noch nicht. Allerdings beherrschte sie den einen oder anderen asiatischen Kampfsport besser, als so manches erfolgreiche Mitglied einschlägiger privater Kampfschulen.

      Als sie ihren Mann noch nicht kannte, zog sie sogar ernsthaft in Erwägung, sich zu einer Agentin ausbilden zu lassen. Allerdings erschien ihr dieser Gedanke dann doch zu absurd und vor allem zu unvereinbar mit dem, was sie sich vom Leben erwartete: eine Familie, drei Kinder mindestens, gerne auch mehr. Wenn Ursula von der Leyen 7 Kinder haben konnte und trotzdem beruflich nie zurückstecken musste, warum dann nicht auch sie? ›Gefragt – Gejagt‹ war längst vorüber. Die Flasche Wein fast leer. Lina war auf dem Sofa eingeschlafen. Gegen 22:00 Uhr wurde sie wieder wach. Ein Rundumblick und erst ein leiser, dann ein lauter Ruf nach ihrem Mann Klaus machte klar, dass er immer noch nicht zu Hause war. Am Handy war Klaus nicht erreichbar. Ein Anruf in der Uni, wo natürlich um diese Zeit längst keiner mehr vor Ort war, und dementsprechend niemand ran ging, machte klar, dass er eigentlich längst zu Hause sein müsste. Lina war nicht wirklich beunruhigt, da Klaus nach Vorlesungen, Seminaren oder auch nur langen Stunden in seinem Büro oft noch mit Kollegen auf einen Absacker ging, dann sein Auto stehen ließ und ein Taxi nahm. Wobei das mit den Kollegen vermutlich nur ein Vorwand war.

      Lina entschloss sich, nicht weiter auf Klaus zu warten. Sie war müde und ging zu Bett. Sie schliefen schon länger in getrennten Schlafzimmern. Nicht zuletzt deswegen, weil es im Bett ohnehin nicht mehr klappte. Morgen früh würde er wieder da sein. Wie immer. Oder zumindest fast immer.

      Irgendwann in der Nacht schreckte Lina hoch. War da etwas? War Klaus endlich nach Hause gekommen?

      Aber das Schlafbedürfnis war stärker. Sie schlief wieder ein und träumte weiter diesen seltsamen Traum, den sie inzwischen fast jede Nacht hatte und nach dem sie jedes Mal nicht mehr wusste, was nun Realität war, der Traum oder die Wirklichkeit. Am nächsten Morgen, Klaus war wieder zugegen, kam es zwischen ihr und ihm zu einem heftigen Streit. Wie üblich war Linas Eifersucht der Auslöser.

      Kapitel 14

      Am Donnerstag, 12. November, dem vierten Tag des zweiten Lockdowns, war im Präsidium beim Köstlbacher die Hölle los. Mit Corona hatte das nichts zu tun, auch wenn im Moment sich alles nur um diese Pandemie zu drehen schien. Nicht zu vergessen die Präsidentenwahl in den vereinigten Staaten, die Corona zumindest stundenweise den Rang ablief. Das Telefon schien nicht zur Ruhe zu kommen. Unter anderem wurde ein Professor von der Uni als vermisst gemeldet. Allerdings erregte das die Gemüter kaum, zumal diese Meldung seine Ehefrau machte. Egal ob Uniprofessor oder Baggerführer, Männer verschwinden ab einem gewissen Alter gerne einmal für einige Tage und tauchen dann reumütig irgendwann mit einem Blumenstrauß wieder auf.

      Jedenfalls ging diese Meldung spätestens dann völlig unter, als die Forensische Psychiaterin, die im Normalfall im Präsidium als Beraterin und Gutachterin arbeitete, auf die Idee kam, eine weitere Tote, zumindest aber einen Mordversuch, ins Spiel und damit Bewegung in den Fall SEIDENPLANTAGE zu bringen. Gemäß ihres nach neuesten psychologischen Erkenntnissen ausgeklügelten Plans, hatte alles erneut oben gegenüber der SEIDENPLANTAGE zu passieren. Und wieder sollte es eine junge Frau sein, diesmal eine, die ihren Gutschein für diverse Anwendungen in der ›Dayspa‹ einlösen wollte und ganz vergessen hatte, dass wegen des Lockdowns die Tore geschlossen waren.

      Um alles so echt wie nur irgend möglich aussehen zu lassen, weihte man zunächst nur einen sehr kleinen Kreis in diese Inszenierung ein. Darunter fielen vor allem alle die, die nach außen hin sichtbar für jeden Beobachter agieren mussten, wie zum Beispiel die Spusi und einen Notarzt.

      Warum erneut dort oben? Warum wieder exakt auf der Höhe der SEIDENPLANTAGE, nur wenige Meter vom Haupttor entfernt? Zufall? Oder wollte jemand ein Zeichen setzen? Und welches Zeichen? – Fragen über Fragen, die Helge Martinsons Mörder durch den Kopf gehen und ihn nervös machen sollten. Die Forensische Psychiaterin Dr. Karin Unger hätte so eine Maßnahme kaum vorgeschlagen, wenn sie nicht gerade eine Fortbildung hinter sich gehabt hätte, die sich mit der Frage befasst hatte, was in Menschen vor sich geht, die einen Mord detailliert planen und ihn anschließend auch erfolgreich durchführen. Die Quintessenz der Fortbildung war vor allem, dass derartige Täter von sich sehr überzeugt sind. Natürlich rechnen sie mit einer effizienten Ermittlung seitens der Mordkommission. Aber sie rechnen nicht mit etwas, das sie aus ihrer Sicht lächerlich zu machen droht. Sie rechnen nicht um alles in der Welt damit, kopiert zu werden. Ein ›Trittbrettmord‹ war, laut Dr. Karin Unger, bestens dazu geeignet, den Mörder zu Reaktionen aufzustacheln. Mögliche Reaktionen der beschriebenen Mörder wären vielfältig und teilweise recht außergewöhnlich. Keine Reaktion wäre eher die Ausnahme.

      Der Köstlbacher hielt nicht allzu viel von diesem Plan, wurde aber von der Staatsanwältin, der Richterin und sogar von seinem Abteilungsleiter überstimmt. Man müsse mit der Zeit gehen und moderne Ansätze berücksichtigen.

      Stunden

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