Fokus SEIDENPLANTAGE. Paul Fenzl
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Kapitel 15
»Das ergibt alles keinen Sinn«, lamentierte der Köstlbacher, der zusammen mit dem Baldauf nun genau dort stand, wo er vor wenigen Tagen bereits gestanden hatte, als die erste Leiche gefunden worden war. Er versuchte dabei authentisch zu wirken. »Wenn’s wieder eine Joggerin gewesen wäre, dann hätten wir einen Anhaltspunkt. Aber diese Frau wollte eindeutig in die SEIDENPLANTAGE.«
»Und das, obwohl wir geschlossen haben. Lockdown! Oder Shutdown, wie sie diese andersgearteten Einschränkungen neuerdings nennen. Vorläufig mindestens bis zum Dezember. Aber wenn Sie mich fragen, dauert das noch viel länger. Natürlich haben wir all unsere Kunden über die Schließung informiert. Falls es sich tatsächlich um eine Kundin handelt, dann kam die Info bei ihr nicht an. Oder sie ist eine von denen, die nur hin und wieder online gehen, um ihre Mails zu checken«, sagte Frau Herrmann, die sich wegen Renovierungsarbeiten am Pool in der Nähe aufhielt und inzwischen zu den beiden Kriminalbeamten getreten war.
Kommissarin Koch, diesmal ohne die Polizeihündin Mina vor Ort, stand ganz in der Nähe. Im Moment war sie damit beschäftigt, eine fingierte Spaziergängerin, die die mutmaßliche Leiche angeblich entdeckt hatte, zu befragen. Frau Koch konnte gerade noch zwei schnelle Schritte machen und Frau Herrmann auffangen, als diese plötzlich zu wanken begann und in den nächsten Sekunden umzufallen drohte.
Die Leiche war zwar nicht echt, und es sollte laut Plan sogar nur eine schwere Verletzung festgestellt werden, aber das wusste Frau Herrmann schließlich nicht. Sie sah nur diese am Boden liegende Frau, den Notarzt und das vermeintliche Blut.
»Bei Film und Fernsehen kann gar nicht genug Blut fließen. Nur echt darf das Blut nicht sein. Erinnert mich an unseren verstorbenen Kollegen Liebknecht. Hart wie ein Hundeknochen, aber kaum hat er Blut gesehen, wurde ihm schlecht«, kommentierte der Köstlbacher die Szene mit einem Schmunzeln.
»Hast eine Minute?«, fragte in dem Moment der Kollege Jung, dessen Team emsig an der vorgetäuschten Spurensicherung zu arbeiten schien.
»Was gefunden?«, fragte der Köstlbacher laut und deutlich, damit ihn auch andere hören sollten. Üblicherweise wandte sich der Jung nur an ihn, wenn er irgendeine Entdeckung gemacht hatte, die ihn überraschte. Nun aber spielte er mit Vergnügen Köstlbachers Krimikomödie mit und antwortete so, dass auch entferntere Personen es hören konnten und sollten:
»Sagen wir’s mal so, die Vermutung lag von Anfang an nahe, dass wir es mit demselben Täter zu tun haben. Gleicher Tatort, gleicher Typ Frau. Selbst der versuchte Stich ins Herz, dürfte auf dieselbe Art und Weise erfolgt sein, wenngleich zum Glück nicht perfekt ausgeführt. Das Opfer hat vielleicht noch einmal Glück gehabt. Sagt zumindest unser Notarzt. Übrigens, das hier wurde gefunden! Damit dürfte kein Zweifel mehr bestehen. Kein Trittbrettfahrer kann alle Details kopieren!« Damit reichte er dem Köstlbacher ein Messer in einem Asservatenbeutel. »Ähnelt dem beim ersten Mord verwendeten wie ein Ei dem anderen«, fügte er seinen Ausführungen noch hinzu. »Nachdem wir nirgends in der näheren Umgebung eine Mordwaffe fanden, kam deine Kollegin Cuscunà auf die Idee, dort nachzusehen, wo die erste Tatwaffe gefunden worden war. Et voilà! Volltreffer!« Das Blinzeln in Jungs Augen bemerkte außer dem Köstlbacher niemand.
Der Köstlbacher nahm den Fund in die Hand, wog das Messer prüfend darin, als ob er den Wert der Waffe bestimmen wollte, schaute zur Martina Cuscunà hinüber und meinte, erneut etwas lauter, damit nicht nur sie es hören sollte: »Respekt Kollegin Cuscunà! Haben Sie sich das Messer schon näher angesehen?«
»Nicht wirklich! Ich weiß ja, dass diesbezüglich die Spurensicherung Vorrang hat«, antwortete sie und kam näher.
»Sehen Sie!«, der Köstlbacher war zu diesem Zeitpunkt immer noch per Sie mit der neuen Kollegin, gedachte das aber baldmöglichst zu ändern. Im engeren Team war es ohnehin üblich, sich zu duzen. »Fällt Ihnen was auf?«
Die Cuscunà beugte sich vor und warf einen prüfenden Blick auf die blutverschmierte Waffe im Asservatenbeutel. »Sie spielen auf die Gravur an? Scheint ein Name zu sein. Das verkrustete Blut ist an der Stelle zu dick, um ihn lesen zu können. Mit etwas Fantasie könnte es ESTHER heißen.«
»Gebens Sie’s dem Kollegen Jung! Er wird sich drum kümmern.«
Die Kollegen vom Polizeirevier, die in den Plan eingeweiht waren, zeigten sich bewusst nachlässig, Passanten und Schaulustigen den Weg zu versperren. Je mehr sie mitbekamen, desto besser.
Da die ganze Show nur einen Sinn haben konnte, wenn auch die Presse vor Ort war, hatte jemand dem Kamarek einen Tipp gegeben. Plötzlich stand er vor dem Köstlbacher, wedelte mit seinem Presseausweis vor dem Gesicht des Kommissars herum und fragte:
»War’s erneut eine Einzeltat? Oder tippen Sie auf einen Serienmörder?«
»Wer hat Ihnen den Zutritt erlaubt?«, fragte der Köstlbacher mit gespielter Verärgerung im Tonfall.
»Rudolf Kamarek. ›Unabhängige Presse‹. Es hat mich niemand gehindert! Übrigens haben wir schon einmal miteinander telefoniert«, antwortete der Pressefuzzi und lachte dabei hämisch. Zumindest empfand es der Köstlbacher so.
Irgendetwas an diesem Typen war dem Köstlbacher zuwider. Auch wenn sein Erscheinen im Moment goldrichtig war. Warum in aller Welt hatte man keinem von der Mittelbayerischen Zeitung einen Tipp gegeben?
»Von einer ›Unabhängigen Presse Regensburg‹ habe ich noch nie etwas gehört«, grantelte daher der Köstlbacher, tat, als erinnere er sich an kein Telefonat, und beäugte bewusst misstrauisch den Ausweis dieses Kamarek.
»Kann ich verstehen. Ich bin sozusagen das öffentliche Sprachrohr der ›Querdenker‹. Von denen haben Sie doch sicher schon etwas gehört.«
Jetzt wusste der Köstlbacher schlagartig, warum er diesen Typen nicht ausstehen konnte. Wegen dieser ›Querdenker‹ mussten in letzter Zeit Tausende von Kollegen deutschlandweit Sonderschichten schieben, weil die anscheinend nichts anderes zu tun hatten, als medienwirksam gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Dabei verunglimpften und provozierten sie die Polizei, wo immer es ihnen möglich war. Als ob es seinen armen Kollegen Spaß macht, dafür zu sorgen, dass diese Demos den Auflagen entsprechend abliefen. Ein Polizist hat zu tun, was man ihm befiehlt. Ansonsten kann er gehen.
»Das hier«, und dabei machte er eine Handbewegung zu der Stelle hin, von der man die Frau soeben abtransportiert hatte, »hat mit ›Querdenken‹ nichts zu tun!«
»Die Leiche vor ein paar Tagen war eine von uns. Eine ›Querdenkerin‹. Vielleicht richtet sich diese Tat ja auch gegen uns?« Natürlich horchte der Köstlbacher kurz auf, als er dies erfuhr, aber sympathischer wurde ihm aufgrund dieser Info der Pressefuzzi deswegen auch nicht. Daher drehte er sich zum Kollegen Baldauf um, der mit Herrn Müller redend in Reichweite stand, und gab Anweisung, den Reporter Kamarek entfernen zu lassen. Was er gesehen hatte, musste reichen. Den Rest würde er sich sowieso aus den Fingern saugen.
»Es wird sicherlich bald wieder eine Pressekonferenz geben. Bis dahin werden Sie sich gedulden müssen!«, gab er dem Journalisten mit auf den Weg.
Das Zwischenspiel bewirkte, dass dem Köstlbacher seine Laune in den tiefsten Keller fiel. Mit der Presse war er noch nie besonders gut Freund gewesen. Und mit so einer ›Querdenker-Presse‹ würde er es schon dreimal nicht sein oder werden. Und das hatte nicht einmal politische Gründe. Eigentlich ganz pragmatische. Sein Berufsstand war immer