Wunschleben. Vera Nentwich

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Wunschleben - Vera Nentwich

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ist immerhin Joghurt da, denkt sie und muss lachen.

      Es ist so weit. Beherzt öffnet sie die Wohnungstür und geht auf den Flur zur Nachbarwohnung. Einmal tief durchatmen, dann klingelt sie. Schritte. Die Tür öffnet sich.

      »Kommst du jetzt immer zum Frühstück?« Bettina lacht.

      Wieso lacht sie denn? Verdammt! Die Szene im Kopf hatte anders ausgesehen.

      »Komm herein. Kaffee steht bereit.«

      Anja will nicht in die Wohnung. Sie will ganz bestimmt und nüchtern sagen, dass sie nicht mitkommen will. Sie will sich umdrehen und gehen und kein Lachen sehen, keinen Kaffee trinken und auch nicht in die Küche gehen. Aber nun macht sie es doch. Es bleibt ihr nichts anderes übrig, als Bettina unsicher zu folgen.

      »Gestern im Supermarkt habe ich gehört, wie sich zwei Frauen über das Schützenfest unterhalten haben. Es soll sehr schön sein. Ich freue mich schon auf morgen. Es wird wirklich Zeit, dass ich mal wieder unter Leute komme.«

      Anja lässt sich auf einen Stuhl fallen.

      »Deswegen komme ich eigentlich vorbei«, beginnt sie zögerlich und nippt an dem Kaffee.

      »Jetzt sag nicht, du kommst nicht mit?«

      Bettina schaut sie herausfordernd an. »Das kannst du mir nicht antun!«

      Anjas Mut ist völlig verraucht.

      »Die Frauen haben gesagt, dass man vor zehn Uhr nicht dort sein muss. Wir können doch vorher noch etwas essen gehen. Ich habe in der Nebenstraße diesen kleinen Italiener gesehen. Sieht nett aus. Warst du da schon mal?«

      »Nein, ich gehe selten aus.«

      So sehr Anja mit sich ringt, sie findet keinen Ausweg. Es gibt kein Entrinnen. Sie muss morgen auf das Schützenfest.

      »Dann lass uns den morgen mal ausprobieren. Nach leckerer Pasta und einem Prosecco können wir dann schwungvoll den Abend in Angriff nehmen. Was meinst du?«

      Bettina strahlt, doch Anja kann nur nicken. Wenn man weiß, dass es keinen anderen Weg mehr gibt, sollte man langsam entdecken, welche guten Seiten oder gar Chancen dieser Weg bietet. Das hat Anja in ihrem Leben gelernt. Es gibt immer Chancen. Also auch die Chance, dass sie den morgigen Abend überlebt.

      III

      Manchmal kommt man an einem Ort an und kann sich nicht mehr an den Weg dorthin erinnern. Man fragt sich: Habe ich die Kreuzung dort hinten bei Rot überquert? Und kann sich nicht entsinnen, überhaupt über diese Kreuzung gefahren zu sein. Anja steht vor ihrem Spiegel und hat keine Ahnung, was gestern und heute geschehen war. Sie weiß nur, dass in etwa einer Stunde Bettina klingeln wird, sich auf einen schönen Abend freut und erwartet, dass Anja genauso freudestrahlend mitkommt. Bis dahin muss Anja entscheiden, was sie anzieht. Den schwarzen Rock, das ist klar. Aber welches Oberteil? Anja sucht ihre Blusen durch, ohne eine Ahnung zu haben, was für ein Schützenfest geeignet ist. Schließlich entscheidet sie sich für eine Bluse mit hellem Blumenmuster, die sie locker über den Rock fallen lässt. Das kaschiert ihre nicht vorhandene Taille und erweckt den Eindruck, es sei eine weibliche Hüfte vorhanden.

      Für das Make-up und die Frisur nimmt sie sich extra viel Zeit und auch eine abendliche Extra-Rasur musste sein. Anschließend packt sie akribisch ihre Handtasche, damit sie nichts vergisst. Der Lippenstift, den sie bereits sorgfältig in zwei Schichten aufgetragen hat, muss mit, genauso wie das Haarspray, um den Pony zu fixieren, sollten die Haare drohen, die hohen Geheimratsecken freizugeben.

      Ein abschließender Blick auf die Uhr zeigt, dass sie noch Zeit hat, bis Bettina vorbeikommt. Viel zu früh fertig geht Anja nervös in ihrer Wohnung auf und ab und versucht, sich den weiteren Ablauf auszumalen, aber es fehlt ihr die Vorstellung. Sie begibt sich auf neues, unbekanntes Terrain. Das Herz pocht und doch ist da dieses Kribbeln. Etwas in ihr meldet sich. Wacht auf.

      Endlich klingelt es an der Tür. Anja öffnet.

      »Hi. Bereit für den Abend?«

      Bettina strahlt. Sie trägt eine enge Jeans, ein Shirt mit tiefem Ausschnitt und eine leichte Jacke. Toll sieht sie aus. Anja bewundert solche Frauen. Einmal so zu sein, war und ist ihr Traum. Manchmal, wenn sie vor ihrem Spiegel steht, zurechtgemacht und in ihrem schwarzen Rock, dreht sie sich leicht zur Seite, dann hat sie das Gefühl, diese Frau zu sein, die sie sein will. Es ist ein besonderes Gefühl. Eines, das sie nicht loslassen will. Wenn man Gefühle doch speichern könnte … »Ich bin soweit.«

      Anja greift nach der Handtasche und schließt die Wohnungstür hinter sich. Nun geht es los. Das Herz pocht heftiger.

      Während sie zum Italiener spazieren, erzählt Bettina von ihrem Tag. Gebannt hört Anja zu. Gleichermaßen erstaunt, dass man so ausdauernd erzählen kann, und konzentriert, nur ja kein Detail zu verpassen.

      Sie betreten das kleine Restaurant und schauen sich um. Es gibt nur sechs Tische. Alle sind mit karierten Tischdecken bedeckt, die in den Augen der Gäste so italienischer wirken sollen. Die großen Korbflaschen, die zu Kerzenhaltern umfunktioniert wurden und nun in den Nischen verstauben, fehlen ebenso wenig wie die Schwarz-Weiß-Fotografien an den Wänden. Selbst der Wirt, es muss der Wirt sein, könnte typischer nicht sein. Die doch recht stattliche Leibesfülle wird durch die mit Tomatenflecken dekorierte Schürze nur mühsam gebändigt. Er begrüßt Bettina und Anja überschwänglich, als ob sie jeden Tag kämen, und Anja rechnet jeden Moment damit, dass er eine Arie von Caruso anstimmt. Stattdessen sagt er »Buonasera Signoras!« und weist ihnen den Weg zu einem der wenigen Tische. Er hält sogar den Stuhl für Anja bereit. Ein Hochgefühl macht sich in ihr breit. Signoras hat er gesagt. Nachdem sie Rotwein und Wasser bestellt haben, lässt er sie allein.

      »Ist doch nett hier«, meint Bettina.

      »Ja, ist echt nett.« Und das meint Anja wirklich ernst. Sie wählen zwei Gerichte aus und Bettina bringt das Gespräch in Gang. Der Wein schmeckt gut und der Wirt, der immer mit einem »Prego Signora« nachschenkt, tut sein Übriges. Anja fühlt sich überraschend wohl. Eine ungewohnte Leichtigkeit ergreift sie. Selbst das Gespräch macht ihr keine Angst. Schon lange hat sie ihre Lebensgeschichte abgeschliffen, offensichtliche Hinweise auf ihre männliche Vergangenheit eliminiert und die Wortwahl möglichst neutral gestaltet. Sie hatte sich geschworen, nie zu lügen. Aber sie musste ihre Vergangenheit auch nicht gleich hinausschreien. So bereitet es ihr keine Mühe, auf entsprechende Fragen mit den vorbereiteten Sätzen zu antworten. Dennoch prüft sie jedes Mal, ob Bettina Zeichen von Irritation zeigt, aber davon ist nichts zu sehen. Anjas Antworten sind überzeugend. Nur einmal, es muss am Wein liegen, wird Anja übermütig. Als Bettina fragt, ob sie schon mal verheiratet war, antwortet Anja wahrheitsgemäß mit Ja. Dann aber fragt Bettina nach dem Hochzeitskleid und ob es weiß gewesen sei, da antwortet Anja ebenso wahrheitsgemäß, dass sie in dunkelblau geheiratet hat. In diesem Moment ist ein leichtes Stirnrunzeln bei Bettina zu bemerken. Frauen, die in Dunkelblau heiraten, sind eher selten. Aber sie fragt glücklicherweise nicht nach.

      Das Essen schmeckt köstlich und der Wirt versucht, die Signoras zu einem hausgemachten Tiramisu zu überreden. Anja genießt die Aufmerksamkeit und würde dem Wirt, Piero heißt er, alles abkaufen. Anja ist sich sicher; er weiß genau, dass die Gäste gerade deshalb in sein Lokal kommen, weil er so schön alle italienischen Klischees bedient und so den Gästen einen Hauch von Urlaub herbeizaubert. So nehmen auch Bettina und Anja das Angebot gerne an und schwelgen in der süßen Verführung. Nach den obligatorischen Espressi und den zwei Grappa, die Piero sich nicht nehmen lässt auszugeben, machen sie sich auf den Weg ins

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