Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland
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»Um was geht es denn?«
Ohne dieses erschrockene Zucken hätte Rogge die höfliche Platte mit dem Immobilienfonds aufgelegt, aber dieses Augenflackern verkündete etwas, das ihn interessierte. Angst?
»Müssen wir das im Treppenhaus klären?«
»Ich habe - Besuch.«
»Na und?«
Fuhrmann zögerte, drehte unruhig den Kopf in die Wohnung, willigte endlich kleinlaut ein: »Meinetwegen.«
Der Flur musste dringend gestrichen werden und der Kokosläufer wies Löcher auf. Fuhrmann ging eilig voran, um eine Zimmertür zu schließen, und Rogge nölte breit: »Netter Besuch?«
»Es geht«, presste Fuhrmann heraus. Das Wohnzimmer verstärkte den ersten Eindruck, die Möbel waren zu alt, um noch als passabel durchzugehen, und noch nicht alt genug, um antiquarischen Wert zu beanspruchen. Nein, hier regierte die leere Brieftasche.
»Was wollen Sie?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Sie waren gestern Abend in Onkel Toms Hütte, nicht wahr?«
»Ja, bis zu der Schlägerei.«
»Spionieren Sie mir nach?«
»Was heißt schon spionieren. Ich weiß gerne, mit wem ich’s zu tun habe.« Dabei lächelte Rogge in sich hinein, das war nicht gelogen.
Fuhrmann wich einen Schritt zurück. »Ich hab doch schon gesagt, dass ich nicht alles auf einmal zurückzahlen kann.«
Rogge musterte ihn stumm. Gelobt sei Opa Vorwerk, man sollte viel mehr alte Männer bei der Polizei anstellen. Oder als Hausmeister und Informanten engagieren, zwecks Kontrolle der Mieter. Endlich gähnte er: »Sie haben ein sehr großes Auto.«
»Das brauche ich doch.«
»Ein kleineres tät's auch. Überlegen Sie sich das mal.« Damit machte Rogge auf dem Absatz kehrt, er hörte, dass Fuhrmann ihm folgte, trotzdem klinkte er die Tür auf.
Im Bett hatte sich eine junge Frau mit verquollenen Augen aufgerichtet, die erschrocken aufgickste und das Deckbett vor den üppigen Busen presste. Die Wurzeln ihrer blonden Haare schimmerten dunkel.
Rogge drehte sich um, Fuhrmann zitterte vor Wut, wagte aber nicht, etwas zu sagen.
»Dafür ist offenbar immer noch Geld da!«, grummelte Rogge. »Na, wie Sie wollen, jede Geduld hat mal ein Ende.«
Auf halber Treppe hörte er, wie eine Sperrkette ausgehängt wurde, und deshalb beschleunigte Rogge. Nichts gegen Opa Vorwerk, aber man sollte von Neugier profitieren, sie nicht füttern.
Im Grunde passte nichts zusammen. Der eine hatte viel Geld und war ein ordinärer Zuhälter. Der zweite schien ein ordentlicher Kerl zu sein und gluckte um Frau und Nachwuchs herum. Der dritte riss in billigen Schuppen Frauen auf und fürchtete den Schuldeneintreiber. Zu wem wäre eine Inge Weber freiwillig ins Auto gestiegen? Wenn eine Amnesie nicht auch Geschmack und Prinzipien völlig veränderte - zu keinem.
Da hatte er sich wohl in eine Sackgasse verrannt. Sein Verstand befahl Stopp, das Auto fuhr automatisch weiter, und als er auf den Tacho schaute, zitterte die Nadel über der Zahl 150. Diesen Ausflug hätte er sich sparen können!
Zum Ausgleich klappte es jetzt wie am Schnürchen. Rogge bog in Stockau in die Brückenstraße ein und hielt vor dem zweistöckigen Haus mit dem Arztschild. Als er seinen Wagen abschloss, kam ein Paar auf ihn zu, den Mann hatte er schon einmal gesehen.
Der Mann war breitschultrig und hatte ein freundliches, zerfurchtes Gesicht mit einem Paar zuverlässiger Augen. Er strahlte Gelassenheit und Humor aus. Die Frau neben ihm war höchstens einen Zentimeter kleiner und kaum schmaler als er und das enge, völlig schmucklose dunkelgraue Kleid enthüllte eine eckige, fast männliche Figur. Ihre Haare trug sie extrem kurz geschnitten, wie eine knapp sitzende Kappe, was ihr nicht stand und ihre scharfen Züge betonte. Ein reizloses Gesicht voller Unzufriedenheit.
»Wollen Sie zu uns?«, fragte der Mann gemütlich.
»Wenn Sie Dr. Fuhrmann sind - ja.«
»Der bin ich. Meine Frau. Sie sind Herr Rogge, nicht wahr, der Kriminalbeamte aus dem Bären?«
»Es hat sich wohl herumgesprochen«, seufzte Rogge und gab der Frau die Hand. »Guten Tag, gnädige Frau.«
»Guten Tag«, erwiderte sie hart und er begriff, dass sie ihn mit einem Blick taxiert und für unsympathisch befunden hatte. Ihre Augen waren klein und ihr Blick stechend. Warum fixierte sie ihn so böse? Ihr Händedruck fiel verboten kräftig aus.
»Was können wir für Sie tun?«
»Ich würde gerne mit Ihnen sprechen, Herr Doktor.«
»Über was? Über Olli?«
»Indirekt, ja. Sie haben gehört, was ...?«
»Natürlich. Sogar der Pfarrer hat eben darüber gepredigt.« Dabei schüttelte der Arzt den Kopf, als könne er es immer noch nicht glauben. »Lene, macht es dir etwas aus, wenn Herr Rogge und ich in die Praxis gehen?«
»Nein«, fauchte sie. Natürlich machte es ihr etwas aus und an jeder anderen Stelle als auf der offenen Straße hätte sie ihm seinen Wunsch glatt abgeschlagen. Ohne ein weiteres Wort an Rogge zu verschwenden, schwenkte sie zur Seite und marschierte auf die Haustür zu. Sie ging ruckartig, als versage sie sich jede Form von Verbindlichkeit oder Weiblichkeit, und diese Bewegung kam ihm bekannt vor.
»Kommen Sie, Herr Rogge.«
In der Praxis zerrte Fuhrmann die Jalousien hoch, und nachdem er im Sprechzimmer hinter seinem Schreibtisch umständlich Platz genommen hatte, schien er sich wohler zu fühlen.
»Was wollen Sie wissen?«
»Herr Doktor Fuhrmann, haben Sie einen Bruder Eberhard, der in Hannover wohnt?«
Dem Arzt blieb der Mund offen stehen, mit allen möglichen Fragen hatte er gerechnet, doch nicht damit. Nach einer Weile schluckte er heftig, als müsse er zu sich kommen, und stammelte: »Ja, den habe ... Ja, Eberhard.« Mühsam riss er sich zusammen; »Warum fragen Sie mich das?«
»Haben Sie bitte noch etwas Geduld? Ich will's Ihnen nachher gerne erklären.«
»Ja ... ja ...« Er hatte sich von seiner Überraschung noch nicht erholt.
Rogge musterte ihn scharf: »Wann haben Sie Ihren Bruder das letzte Mal getroffen?«
»Wann? - Wann war - im vorigen Jahr.«
»Hier in Stockau?«
»Ja, hier im Haus. Er kam - das war im Mai. Oder Juni.«
Zeitlich stimmte es, die erste Hürde war genommen. Deshalb griente Rogge verlegen: »Ich weiß, was Ärzte übers Rauchen denken, aber würden Sie mir gestatten ...?«
»Sicher.«