Postsowjetische Identität? - Постсоветская идентичность?. Wolfgang Krieger

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Postsowjetische Identität?  - Постсоветская идентичность? - Wolfgang Krieger

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es den Menschen wiederum ermöglicht, in die neue globale Kultur einzutreten und dabei seine frühere kulturelle Identität zu bewahren. Auf dieser Grundlage können die Gefahren des Totalitarismus vermieden werden, wie z. B. der Aufstieg des Fundamentalismus, der weit-gehend auf die Überkultivierung der Vergangenheit und auf das Misstrauen gegenüber einer gemeinsamen Zukunft zurückzuführen ist. Gleichzeitig spielen natürlich auch die erfolglosen Versuche der Entwicklungsländer, jenes westliche Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung zu erreichen, das zum Wertewandel führte, eine wichtige Rolle. Infolgedessen begannen einige, statt nach neuen Werten in der gemeinsamen Zukunft der Weltgesellschaft zu suchen, diese in ihrer eigenen Vergangenheit zu suchen, d. h. sie konnten das Problem der kreativen Synthese ihrer eigenen Vergangenheit und der gemeinsamen Zukunft nicht lösen.

      Es versteht sich von selbst, dass die Ungewissheit dieser Zukunft, und oft auch der Gegenwart, ihre Ziellosigkeit, eine solche Synthese stark behindert. Und hier müssen wir zugeben, dass diese Unsicherheit auch im gesamten postsowjetischen Raum vorhanden ist. Daher sollten die Erfahrungen mit dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft in Armenien einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen werden, deren Ergebnisse zur Untersuchung der Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen der demokratischen Transformation kleiner post-totalitärer Länder beitragen und es ihnen ermöglichen würden, praktische Empfehlungen für die Steuerung der Tendenzen von Transformationsprozessen zu entwickeln.

      "De-Sovietisierung" ist nicht unbedingt Europäisierung

      Die sowjetische Gesellschaft war stabil, weil unter totalitären Gesellschaftsordnungen die menschlichen Bedürfnisse relativ leicht zu befriedigen waren, da die individuelle Zielstrebigkeit dem Ganzen untergeordnet war. Sie beschränkte sich auf das universelle Ziel des Aufbaus des Kommunismus und das Prinzip des Ausgleichs, und ein entsprechend manipuliertes kollektives Bewusstsein hielt diese Bedürfnisse gering, verhinderte die Entwicklung des "Individualismus", die Emanzipation des "Individuums" und setzte strenge Grenzen für das, was ein Individuum in einer bestimmten sozialen Stellung legitimerweise erreichen konnte. Dabei schöpften alle den Sinn ihres Lebens aus dem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer "großen" gemeinsamen Sache. Doch der allmähliche Zusammenbruch des totalitären Systems verursachte eine "Individuation" und verwischte die moralischen Grenzen, die durch die frühere Ethik des Kollektivismus und die Macht der totalitären Kontrolle gezogen wurden. So haben viele alte Traditionen und Kommuni-kationsstereotypen ihre Wirksamkeit und Macht über die postsowjetische Persönlichkeit verloren.

      Es ist jedoch wichtig, dass die soziale Ordnung die Verfahrensregeln der Kommunikation befolgt, durch die das Unregulierte geregelt und ein soziales Risikomanagement durchgeführt wird. Es sind tradierte Verfahren (z. B. politische Wahlen), die die Komplexität reduzieren und die Beherrschbarkeit systemischer Abweichungen und aller Arten von Konflikten garantieren, die sich aus dem Wirken positiver Rückkopplungen in der Gesellschaft ergeben. Vor allem ist es notwendig, soziale und kulturelle Erwartungen miteinander in Einklang zu bringen, indem das Individuum durch seine Beziehung zu bestimmten Rollen, Programmen und Werten identifiziert wird.

      In Armenien wurden die Schwierigkeiten der Übergangszeit durch die extremen Lebensbedingungen, die durch den Karabach-Krieg und die Blockade durch Aserbaidschan und die Türkei verursacht wurden, noch verschärft. Die Gesellschaft befand sich in einem "weder Krieg noch Frieden”-Zustand.55 Diese Lage macht den offiziell verkündeten Kurs der Europäisierung des Landes, der nicht nur die Angleichung der nationalen Gesetzgebung an die europäischen Normen, sondern auch die tatsächliche Umsetzung dieser Normen im öffentlichen Leben bedeutet, zum bloßen Mythos. Die Aufgabe befindet sich vielmehr im Übergang von einer rein mythologischen zu einer tatsächlichen Gesellschaftsordnung, die nach europäischen Modellen und Normen aufgebaut ist. Und um dieses Problem zu lösen, ist es vor allem notwendig, die staatliche Politik im Bereich der Schulbildung und der öffentlichen Verwaltung (die ein konkreter Mechanismus zur Umsetzung dieser Politik ist) zu ändern.

      Echte Europäisierung bedeutet Bildung einer zivilen Kultur, Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen. Die europäische Integration impliziert die Möglichkeit der Bildung einer gemeinsamen zivilen Kultur als Konzept institutioneller Kulturen. Das Problem wird durch die Schulbildung gelöst, denn Kultur entsteht in der Tat durch den Transfer von Wissen (Informationen) und Werten (allgemein anerkannte gesellschaftliche Erwartungen) durch Bildung und Ausbildung von Generation zu Generation. Unter modernen Bedingungen ist die Bildung kultureller Einheit weitgehend das Ergebnis der homogenisierenden Wirkung eines einheitlichen Schulsystems mit der entsprechenden Logik der Identitätsbildung.

      In der Tat wird die Ordnung und kulturelle Ausrichtung von Identifikationsprozessen weitgehend durch die Schulbildung umgesetzt, die für die Typisierung, Massenvereinheitlichung und weite Verbreitung von Kultur- und Bildungsstandards sorgt. Deshalb ist im System unserer Schulbildung eine radikale strukturelle Neuordnung der Ausrichtung der Bildungsarbeit notwendig, um die Bildung einer neuen, den Bedingungen der postsowjetischen Realität angemessenen Identität zu fördern. Diese Entwicklung wird u. a. häufig durch das inhärent autoritäre Schulsystem behindert, dessen Versuche der "De-Sovietisierung" auf Ethnisierung abzielen und nicht auf die Förderung einer aktiven Bürgerschaftsposition, die für die jüngere Generation unter den Bedingungen der staatlichen Unabhängigkeit notwendig ist.56

      Der allgemeine Pessimismus als Weg zur "autoritären Demokratie"

      Die Untersuchung der in Armenien stattfindenden Prozesse offenbart eine Reihe von Problemen, die allen postsowjetischen Gesellschaften eigen sind, was bedeutet, dass die Entwicklung von Mechanismen zur Lösung dieser Probleme von allgemeinem Interesse ist.

      Schon die anfängliche Betrachtung der Probleme der Transformation erlaubt es, sie auf drei Haupttypen zu reduzieren: Probleme der Wirtschaftsplanung, Probleme der Institutionalisierung und kulturpsychologische Probleme. Viele Forscher messen den wirtschaftlichen Problemen eine vorrangige Bedeutung bei, aber unserer Meinung nach ist es die letztere Art von Problemen, die die ersten beiden Arten weitgehend bestimmt. Und die Unterschätzung dessen hat in vielen postsozialistischen Ländern zu der vom rumänischen Philosophen Andrei Marga beschriebenen Situation geführt, in der "die Wirtschaft in Stagnation verharrt, die öffentliche Verwaltung lahmgelegt ist, das politische Leben völlig durcheinander ist und von der Kultur nichts anderes erwartet wird als der Ruf nach Freiheit".57 Daher liegt der Schwerpunkt unserer Aufmerksamkeit auf der philosophischen Analyse der Probleme der kulturellen und psychologischen Transformation der postsowjetischen Identität.

      Die Etablierung demokratischer Ordnungen im postsowjetischen Raum ist untrennbar mit der Herausbildung einer demokratischen Denkweise verbunden. Der Wandel des öffentlichen Bewusstseins ist durch das Aufeinanderprallen von alten Stereotypen und innovativen Ideen, konservativen Ideologien und haltlosen Utopien gekennzeichnet, er ist instabil und fällt leicht in die Extreme von Masseneuphorie und allgemeiner Verzweiflung. Unter solchen Bedingungen wird das Wertesystem des Individuums widersprüchlich, und diese Widersprüche manifestieren sich unweigerlich in seinen Ansichten und seinem Verhalten. Die in Armenien durchge-führten soziologischen Untersuchungen bezeugen auch die Existenz ernsthafter Probleme sozialpsychologischer Natur in der postsowjetischen armenischen Gesellschaft.58 Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass die Erwartungen der Mehrheit von Befragten bezüglich der Zukunft in vielerlei Hinsicht pessimistisch sind. Und die Gründe für diesen Pessimismus sollten in den Lebensbedingungen der Menschen gesucht werden.

      Der allgemeine Pessimismus als soziales Phänomen wird durch bestimmte Umstände des öffentlichen Lebens bedingt, die sicherlich verändert werden können. Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts analysierte der armenische Soziologe und Absolvent der Berliner Universität Jervand Frangian diese Gründe und offenbarte ihren vergänglichen Charakter. Sobald individueller Pessimismus in den sozio-ökonomischen und politischen Bedingungen auftaucht, die seine Entwicklung begleiten, manifestiert er sich sofort in der Sphäre der öffentlichen Psychologie. Frangian schrieb: "In der Geschichte, im Leben der Nationen gibt es Epochen, in denen die vorherrschenden sozio-politischen und moralisch-ökonomischen

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