Drehschluss. Claudia Rossbacher
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»Was soll das?«, fragte Jackie wütend, während Reimann mit den Fingerkuppen zuerst über das eine, dann über ihr anderes Bein strich.
»Es fühlt sich an, als ob du gerade rasiert worden wärst. Guck mal, da ist noch Seife dran«, sagte er verwundert und rieb etwas zwischen seinen Fingern.
»Zeig her«, meinte Clara und inspizierte zuerst seine feuchten Finger, bevor sie sich über Jackies Bein beugte. »Darf ich mal?«, fragte sie.
»Aber sicher doch. Lasst euch ruhig Zeit, ihr beiden. Ich laufe euch schon nicht davon«, meinte Jackie süffisant und beobachtete, wie Claras Finger langsam über ihre Beine glitten.
Das Rechte war glatt wie ein Kinderpopo, beim Linken war der Täter wohl durch ihren Schrei gestört worden, denn das Schienbein war nur zum Teil spiegelglatt. »Verdammt, Jackie, da hat dir wirklich jemand die Beine rasiert«, bestätigte Clara.
»Was? Wozu das denn?« Jackie versuchte, sich aufzusetzen, um selbst nachzusehen. »Hilf mir mal«, befahl sie Clara und streckte ihr die Arme entgegen, um sich von ihr hochziehen zu lassen.
»Das ist voll pervers«, murmelte Reimann und sah zu, wie Jackie ihre gespreizten Beine, die noch immer an die Pfosten gefesselt waren, mit Claras Unterstützung begutachtete. Es war ein Bild für die Götter, wie sich die pudelnackte Benz in mühsamen Verrenkungen wie ein Walross im Bett wälzte. Reimann fiel es sichtlich schwer, sich zurückhalten, um nicht lauthals loszulachen.
»Perverses Schwein«, stellte Jackie fest und ließ ihren Oberkörper zurück in die Laken plumpsen. »Mach weiter mit den Fesseln, Reimann. Aber pass gefälligst auf«, ordnete sie an.
»Also, was ist passiert?«, wiederholte Clara ihre Frage und bedeckte Jackies nackten Körper mit dem Morgenmantel, der zuvor auf der Truhe am Fußende ihres Bettes gelegen hatte.
»Woher soll ich das denn wissen? Ich wurde plötzlich wach und bemerkte, dass ich gefesselt war. Durch meine Schlafmaske konnte ich ja nichts sehen. Also habe ich geschrien, und dann wurde mir etwas in den Mund gesteckt. Fast wäre ich daran erstickt.«
»An dem sexy Ding da.« Reimann zeigte mit seinem Messer auf Jackies Höschen, das nun neben ihren Schlaftabletten auf dem Nachtkästchen lag.
»Klappe, Reimann! Schneid lieber weiter!«
»Und dann?«, fragte Clara.
»Dann seid ihr aufgetaucht. Mehr weiß ich auch nicht.«
»Und was ist das?« Clara deutete zu der emaillierten Schüssel, die neben dem Bett umgestürzt in einer Pfütze auf den Holzdielen lag.
Jackie beugte sich hinunter. »Die Schüssel stand vorher auf der Kommode. Ich hab das olle Teil noch nie angerührt.«
»Dann hat er sie wohl für die Rasur benutzt«, meinte Clara nachdenklich.
Reimann klappte sein Messer zu.
»Na endlich.« Jackie setzte sich auf, um ihre rot gescheuerten Fußknöchel zu untersuchen.
»Brauchst du einen Arzt?«, fragte Reimann.
»Wofür denn? Du kannst dich verziehen, Reimann. Bitte«, fügte sie hinzu und schlüpfte in ihren Morgenmantel, ohne das Bett zu verlassen.
»Nur, wenn ihr mir versprecht, dass ihr nichts anrührt, bis die Polizei kommt. Schon gar nicht diese Schüssel.« Reimann verließ das Schlafzimmer.
»Scheiße. Wer war das, Clara?«, fragte Jackie, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war.
»Derselbe, der dir die SMS geschickt hat?«, vermutete Clara.
Jackie nickte nachdenklich. »Anzunehmen.«
»Vielleicht sollten wir deine Biografie doch lieber ad acta legen«, schlug Clara vor.
»Kommt gar nicht in Frage.«
»Er hat dich ausgezogen, Jackie. Und rasiert.« Clara setzte sich auf die Truhe.
»Ich muss ziemlich tief geschlafen haben«, stellte Jackie fest.
Clara fröstelte, während Jackie weitererzählte.
»Er hat mir über die Wange gestreichelt und mich beim Namen genannt«, erinnerte sie sich mit geschlossenen Augen. »Es klang zärtlich.«
»War er ein Deutscher oder ein Spanier? Ist dir ein Akzent aufgefallen?«
Jackie schüttelte den Kopf. »Er hat ja nur meinen Namen genannt … warte mal … nein, ich weiß es nicht.«
»Kam dir seine Stimme bekannt vor?«
»Nein, aber jetzt erinnere ich mich an ein Scheppern.« Jackie öffnete die Augen und sah Clara an. »Er muss über die Schüssel gestolpert sein, als er floh«, fuhr sie fort.
»Das ist ziemlich beängstigend, Jackie. Der Typ spaziert mitten in der Nacht in dein Zimmer, zieht dich aus, fesselt dich und rasiert dir die Beine. Wer weiß, was er sonst noch alles mit dir angestellt hätte, wenn du nicht aufgewacht wärst?«
»Nur gut, dass ich heute keine Schlaftablette genommen habe.«
»Ja, das war wohl dein großes Glück. Lass uns die Biografie lieber vergessen, bevor er wiederkommt und dir was Schlimmeres antut.«
»Kommt gar nicht infrage. Der wollte mir doch nur einen Schrecken einjagen.«
»Was mich anbelangt, so ist ihm das gelungen. Der meint es ernst, Jackie. Das ist ein Irrer. Ehrlich gesagt, habe ich Angst.«
»Du hast Angst? Und ich habe dich für eine taffe Frau gehalten.«
»Denk doch an das Ultimatum. Ich glaube, dieser Wahnsinnige ist mitten unter uns und beobachtet dich.«
»Möglich«, räumte Jackie ein.
»Es muss einer von der Filmcrew sein.«
»Oder eine.«
»Du meinst, es steckt eine Frau dahinter? Na ja, warum nicht?«, meinte Clara nachdenklich. »Eve de Angeli zum Beispiel … Die hätte doch ein Motiv, deine Biografie zu verhindern«, fuhr sie fort. Vielleicht hatte sie einen männlichen Handlanger.
»Eve?« Jackie lachte und schüttelte energisch den Kopf. »Niemals. Das war nicht Eve.«
»Und warum bist du dir da so sicher?«
»Die hätte sich nicht mit meinen Beinen aufgehalten, sondern mir gleich die Kehle aufgeschlitzt.« Jackie lachte herzlich über den eigenen Galgenhumor.
Clara war überhaupt nicht zum Lachen zumute.
Als es plötzlich an der Tür klopfte, fuhren beide Frauen erschrocken zusammen.
Eine uniformierte Polizistin steckte den Kopf herein und bat sie zur Zeugeneinvernahme in die Halle. In der Zwischenzeit wollte sich die Spurensicherung dem Tatort widmen.
Kurz