Dillinger tritt ab. Rudi Kost
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Sie taxierte mich, als sei ich ein Preisbulle, dann richtete sie den Blick nirgendwohin und sagte: »Mein Mann ist vor drei Wochen gestorben.«
»Mein Beileid«, murmelte ich.
Sie reagierte nicht darauf und fuhr fort: »Ums Leben gekommen, um genau zu sein. Er war Bauunternehmer und ist von einem Gerüst gestürzt. Vielleicht hast du davon gelesen. Frieder Schindel.«
Hatte ich in der Tat. Er war in der Branche eine kleine Größe gewesen, und entsprechend war der Nachruf ausgefallen. Wenn ich mich richtig erinnerte, hatte ihn mein alter Kumpel Helmar Haag geschrieben. Mit der Meldung des Absturzes vom Gerüst, die ich ebenfalls gelesen hatte, hatte ich ihn allerdings nicht in Verbindung gebracht.
»Ein tragischer Arbeitsunfall, hat es geheißen«, sagte ich.
Sie nickte. »So hat es geheißen, ja.«
»Und nun lass mich raten: Du glaubst das nicht.«
In gespieltem Erstaunen riss sie Augen auf. »Wie kommst du bloß darauf? Ah, ich verstehe, messerscharfe Deduktion, weil ich bei dir aufgekreuzt bin. Es stimmt also, was man so sagt. Du sollst gut sein als Privatdetektiv.«
Oh nein, so nicht! Es war zu offensichtlich, dass sie mir Honig ums Maul schmieren wollte.
Ich schüttelte den Kopf.
Der Zwerg hatte bis dahin friedlich auf ihrem Schoß geschlummert und hin und wieder undefinierbare Laute von sich gegeben, was mich darüber grübeln ließ, wovon er wohl träumte. Nun begann er sich zu regen, riss den Mund und dann die Augen auf, sah mich an und krähte los.
Nun ja, ich konnte es ihm nicht verdenken.
Elisabeth steckte ihm einen Finger in den Mund. Der Zwerg nuckelte und gluckste zufrieden.
»Früher hat die Mama den Finger in Wein oder Schnaps getaucht«, sagte ich.
»Es geht auch ohne. Kurze Zeit wenigstens. Dann geht das Geschrei los. Also, was ist?«
»Dein jüngstes Kind?«, fragte ich.
»Lina. Meine erste Enkelin. Heute ist Oma-Tag.«
Ich war irritiert. In ihrem Alter bekamen die Frauen heutzutage ihr erstes Kind, wenn sie nicht ohnehin bis 67 warteten. Aber schon Oma? Dann wäre ich ja auch schon Opa, wenn …
»Du denkst also, es war kein Unfall«, nahm ich den Faden wieder auf, bevor die Zwergin auf die Idee kam, tief Luft zu holen.
»Ich weiß es nicht, aber es wäre möglich.«
»Hast du einen Verdacht?«
»Nein.«
Hatte sie doch, so schnell, wie dieses »Nein« kam. Allmählich fing diese Geschichte an, mich zu interessieren.
»Es muss doch einen Grund geben, warum du mich mit Nachforschungen beauftragen willst.«
»Ich möchte einfach Gewissheit haben, nichts weiter. Es ist so ein Bauchgefühl.«
Bauchgefühl! Damit hatte ich meine Erfahrungen. Und nicht die besten.
»Wir sollten das in Ruhe bereden«, sagte sie. »Morgen. Bei einem Abendessen. Bei mir. Ich bin eine gute Köchin, sagt man. Und der Wein ist auch exzellent. Ich muss jetzt gehen, gleich geht es los, die Kleine hat Hunger.«
Wie aufs Stichwort legte die Enkelin los, und Elisabeth verabschiedete sich schnell, ohne meine Antwort abzuwarten.
Nachdenklich sah ich den beiden nach.
Überrumpelt!
Nachdem ich meinen, sagen wir, kleinen Unfall halbwegs überstanden hatte, kam ich in der langen Zeit des Nachdenkens zu dem Schluss, dass ich mein Leben ändern musste. Radikal ändern.
Ich hatte mir vor allem zwei Dinge hoch und heilig geschworen. Das Wichtigste: Du ignorierst jedwede Leiche, die an dir vorüberhuscht.
Wenn ich mich ernst nahm, hatte Elisabeth also schon mal schlechte Karten.
Und zweitens, du ignorierst jedwede rätselhafte Frau, die vor dir mit dem Hintern wackelt.
Und rätselhaft war Elisabeth auf alle Fälle. Hinter der Geschichte steckte mehr, als sie mir weismachen wollte. Sie hatte sich über mich erkundigt, bevor sie zu mir kam. Sie wusste über meine Vorlieben Bescheid, und dazu gehörten nach wie vor schönes Essen und guter Wein. Sie nahm ein völlig unbedeutendes Techtelmechtel aus der Vergangenheit als Aufhänger, um nostalgische Gefühle in mir zu wecken und mich zu überzeugen.
Aber sie hatte nicht mit dem Hintern gewackelt.
Und die Leiche hatte auch nicht, wie sonst immer, in natura vor mir gelegen, sie war schon Futter für die Würmer.
Also war diesmal alles anders. Das war beruhigend. Oder?
Aber sie hatte den Mantel schon abgelegt, bevor sie mein Büro betrat, und das dürfte einiger akrobatischer Verrenkungen bedurft haben, wenn man gleichzeitig ein Kleinkind auf dem Arm hatte. Und sie es trotzdem bewerkstelligt, damit ich unter einem kurzen Rock ein Paar wohlgeformte Beine betrachten konnte, die durch schwindelerregende High Heels ihren zauberhaften Schwung bekamen.
Mal abgesehen davon, dass Stöckelschuhe auf dem alten Kopfsteinpflaster von Schwäbisch Hall sowieso eine besondere Herausforderung sind – welcher halbwegs vernunftbegabte Mensch geht mit solchen Dingern bei diesem Schmuddelwetter auf die Straße? Die Erklärung, dass bei Frauen und Schuhen jede Vernunft aussetzt, war mir jetzt doch zu billig.
*
Nachdem im Zimmer nebenan niemand war, der streng über mein Wohl und Wehe wachte (ein Lob den kleinen Auszeiten), gab ich mir für ein paar Stunden frei. Wenn die Hoffnung auch sehr gering war, dass sich während meiner Abwesenheit die Heinzelmännchen über den Papierstapel auf meinem Schreibtisch hermachen und ihn säuberlich abarbeiten würden, so setzte er doch weder Staub noch Schimmel an und würde geduldig der Dinge harren, die ich nach meiner Rückkehr mit ihm anstellen würde. Kein Grund also, im Büro zu versauern.
Natürlich gab ich mir nicht wirklich frei. Ich gab meiner Lebenszeit nur einen anderen Inhalt.
Während meiner langen Rekonvaleszenz hatte ich gelernt, den Analysen, Befürchtungen und Ratschlägen der Ärzte zutiefst zu misstrauen. In einigen Punkten freilich musste ich ihnen recht geben.
Zuallererst gelte es, auf ein gesundes Leben zu achten: keine Zigaretten (ich rauchte nicht), kein Alkohol (trank ich nicht, nur Wein, und der zählt bekanntermaßen zu den Grundnahrungsmitteln), bekömmliches Essen (sowieso, was denn sonst).
Soweit waren wir uns also einig. Und außerdem sollte ich auf ausreichend Bewegung achten.
Aha.
Dieser Ratschlag, ach was, dieser Befehl der Autoritäten in Weiß war gar nicht mal so schlecht, wie ich feststellen musste. Eine Sache war es, von Termin zu Termin zu hetzen, von einem Kunden zum nächsten, immer die nächsten Verträge, die nächsten Beschwichtigungen, die nächsten Ausreden im Kopf. Doch wenn man einfach ohne Ziel durch die Stadt flaniert, sich treiben, sich überraschen lässt, wohin