Dillinger tritt ab. Rudi Kost
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Dillinger tritt ab - Rudi Kost страница 4
![Dillinger tritt ab - Rudi Kost Dillinger tritt ab - Rudi Kost](/cover_pre979663.jpg)
Das waren Binsenweisheiten, zugegeben. Aber man ist nie zu alt, um auch Binsenweisheiten für sich zu entdecken.
Wohin diesmal? Egal, einfach aus dem Haus hinaus und die Gelbinger Gasse vor Richtung Friedhofsdreieck. Wohin die Füße tragen.
Sie trugen mich am Friedhof vorbei hinein in die Wettbachklinge.
Diese Klingen sind typisch für unsere Region, und sie haben ihren Ursprung in der letzten Eiszeit. Damals nämlich, so hatte man es uns in der Schule beigebracht, war Hohenlohe nicht von den Eismassen bedeckt und deshalb nicht eingeebnet worden. Deshalb konnten sich die Bäche, die im Normalzustand nur harmlose Rinnsale waren, bei Dauerregen aber zu reißenden Fluten anschwollen, tief in die Muschelkalkfelsen graben und die schroffen, tiefen Klingen erschaffen. Legendär war die Schmerachklinge bei Oberscheffach, Herrin der Klingen genannt, in der man sich schon auch mal nasse Füße holen konnte.
Nun aber die Wettbachklinge in Schwäbisch Hall.
Zunächst ging es unter einem alten Aquädukt hindurch, dann keuchte ich auf dem asphaltierten Weg den Berg hinauf. Meine Kondition besserte sich allmählich, wenn sie auch noch nicht optimal war.
Aber nicht deshalb blieb ich des Öfteren stehen, sondern natürlich nur, um die feuchte Luft tief einzuatmen und die wilde Romantik der Bäume und der moosbewachsenen alten Mauern auf mich wirken zu lassen. Waldbaden nannte man das heute, und das war ja so gesund.
Der Wettbach gurgelte trotz des vielen Regens der letzten Zeit gemächlich vor sich hin, hüpfte über Steine und sprang kühn über Felsplatten einen halben Meter bergab. Umgestürzte Bäume lagen über dem Flussbett, manche schon seit langer Zeit und moosbewachsen, andere neueren Datums. Von den Haller Klingen war die des Wettbachs eine der zivilisierteren.
Wann war ich zum letzten Mal hier gewesen? Wahrscheinlich bei einem Schulausflug, eine Ewigkeit her also.
Und dann fiel mir ein, dass ich mir von den vielen Klingen, die es hier in der Umgebung gab, als Nächstes die Badersklinge vornehmen könnte. Die, so ein Zufall aber auch, hinauf zur Ruine Limpurg führte.
Es war wohl unvermeidlich, dass mir immer wieder Elisabeth in den Sinn kam. Lizzy.
An unser kurzes Techtelmechtel seinerzeit hatte ich nur noch verschwommene Erinnerungen. Es hatte nichts zu bedeuten gehabt, es war nur eine kurzzeitige Aufwallung von Hormonen gewesen. Lange her. Und das sah sie wohl genauso. Oder doch nicht? Kenn sich einer aus mit den Frauen! Man konnte es nur falsch machen. Insofern war es egal, was man tat.
Sonja behauptet immer, sobald eine schöne Frau mit den Augen klimpert, würde mein Verstand aussetzen, vielmehr in eine bestimmte Körpergegend rutschen. Da hatte sie gar nicht mal so unrecht, wie ich zugeben musste.
Doch diesmal nicht! Nie wieder!
Ich lief nicht mehr blind jedem Rock hinterher.
Höchstens sehenden Auges.
Nun bin ich, daran hatte sich nichts geändert, der Letzte, der sich darüber beschwert, wenn eine Frau sich so aufbrezelt, dass die weiblichen Reize bestens zur Geltung kommen. Aber so ein Aufzug mitten im Matschewinter?
Und warum am Oma-Tag, wo doch jeder andere Tag ungestörter gewesen wäre?
Aber dann hätte die Kleine nicht im richtigen Moment losbrüllen und für einen unvermittelten Abgang der Oma sorgen können. War sie gezwickt worden?
Eines wenigstens hatte Elisabeth erreicht mit ihrem kalkulierten Auftritt: Sie hatte mich neugierig gemacht.
Ich sah das nicht als Rückfall in alte Verhaltensmuster an, sondern eher als Test.
Plötzlich hatte ich es eilig.
Ich hastete weiter, nicht bis zum Ende des Weges, der mich fast direkt zu einem unserer Sterne-Restaurants geführt hätte, nein, ich widerstand der Verlockung eines gemütlichen Mittagessens, bog schon vorher ab und ging auf dem schnellsten Weg hinab zu meinem Büro.
So war das mit dem Flanieren. Ab und an kamen einem komische Gedanken dazwischen.
Ich musste mich auf meinen Besuch bei Elisabeth gründlich vorbereiten. Da waren Disziplin und Fingerspitzengefühl gefordert, was beides nach der fiesen Meinung Sonjas nicht zu meinen Kernkompetenzen gehört.
*
Über das Bauunternehmen Schindel wusste ich nur, was ich im Nachruf des Lokalblatts gelesen hatte. Und das war nicht unbedingt die ergiebigste Quelle. Weil man ja über Tote nichts Schlechtes sagen soll, höchstens hinter vorgehaltener Hand, würde man beispielsweise nie lesen können, dass es sich bei dem teuren Verblichenen um einen Erzlumpen gehandelt hatte, über dessen Ableben alle heilfroh waren.
Vielleicht nicht alle. Nur einer. Wenn man Elisabeths unausgesprochene Vermutung zugrunde legte, dass der Tod Frieder Schindels kein Unfall war.
Was macht man als Erstes heutzutage, wenn man Informationen sucht? Man schaut im Internet nach.
Seinen Webauftritt hatte sich das Bauunternehmen Schindel zweifelsohne etwas kosten lassen. Bilder von gut gelaunten Menschen poppten auf, Schlagzeilen huschten über den Monitor, die Texte brachten werbemäßig auf den Punkt, wofür die Firma stand: Wir sind nicht nur gut, wir sind die Besten, vertrauen Sie uns.
Alles sehr professionell gemacht. Ich musste das mal meinem Haus- und Hofprogrammierer Rolf zeigen, vielleicht konnte er sich davon inspirieren lassen und meine eigene Webseite etwas aufmöbeln.
Ich konnte mir vorstellen, wie er darauf reagieren würde. Kein Problem, würde er sagen, wenn du mir genauso viel zahlst wie die ihrer Agentur. Oder noch besser, würde er sagen, du engagierst gleich diese Agentur, dann müssen die sich mit dir rumärgern und nicht ich.
Zugegeben, das Leistungsspektrum eines Versicherungsvertreters ist übersichtlich und bei jeder Spezies meiner Zunft ungefähr gleich, weshalb wir uns bei den Internetauftritten nur optisch unterscheiden. Das Bauunternehmen Schindel hatte da schon mehr zu bieten. Es betätigte sich im Hoch- und Tiefbau, lieferte schlüsselfertige Gebäude jedweder Art, vornehmlich im Industriebau, wie es schien, bot sich aber auch jedem Häuslebauer an, der Wert auf Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit legte.
Und außerdem engagierte sich die Firma als Bauherr. Sie errichtete Häuser auf eigene Rechnung und verkaufte die Wohnungen dann als Eigentum. Ein einträgliches Geschäft, wenn es lief und wenn die Wohnungen, wie es die Absicht war, bereits vor Baubeginn an den Mann oder die Frau gebracht wurden. Und offensichtlich gab es genug Menschen, die sich nur nach Plänen und schönen 3D-Modellen für den Rest ihres Lebens zu verschulden bereit waren, denn bei den meisten Projekten, die derzeit in Planung oder im Bau waren, hieß es, dass nur noch wenige Wohnungen frei waren.
Sollte ich mir auch mal überlegen: »Greifen Sie schnell zu, nur noch wenige Autoversicherungen verfügbar.«
Wollte man den Hochglanzseiten glauben, war das Bauunternehmen Schindel ungemein erfolgreich, hatte tolle Referenzen, nur zufriedene Kunden und weitreichende Pläne. Aber das war ja nicht anders zu erwarten. Reine Public Relation.
Wie bei solchen Werbepräsentationen