Dillinger tritt ab. Rudi Kost
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Читать онлайн книгу Dillinger tritt ab - Rudi Kost страница 7
»In der Zeitung stand aber nicht, wo das passiert ist«, knurrte er.
Ich lächelte ihn freundlich an. »Man hat eben seine Quellen. Sie wissen doch, wie das so ist in einer kleinen Stadt. Einer weiß etwas, das nicht in der Zeitung steht, und bald wissen es alle.«
»Oder einer glaubt, etwas zu wissen.« Sein Gesicht wurde nicht freundlicher.
Ich zuckte mit den Schultern. »So läuft’s halt. Gerüchte setzen ihre eigene Wahrheit.«
»Hä? Kapier ich nicht, aber egal. Verschwinden Sie, sonst packen Sie meine Kollegen am Schlafittchen. Und glauben Sie mir, mit ein paar kräftigen Bauarbeitern möchten Sie sich nicht anlegen.«
Er sah mir böse in die Augen, und plötzlich änderte sich sein Gesichtsausdruck.
»Moment mal«, sagte er, »ich kenne Sie doch.«
Tja, das ist der Nachteil einer kleinen Stadt, wenn man einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Undercover geht da gar nichts.
»Haben Sie nicht damals beim Siedersfest für ziemlichen Wirbel gesorgt?«, fuhr er fort. »Ich bin nämlich auch Sieder.«
»In aller Bescheidenheit, ich habe den Wirbel aufgeklärt.«
»Sind Sie nicht tot? So was Ähnliches habe ich doch gehört.«
»Da sehen Sie mal, man soll nicht alles glauben, was man so hört. Tut mir leid, dass ich Sie enttäuschen muss. Hat diesmal nicht ganz geklappt. Das nächste Mal mache ich es besser, ich verspreche es.«
Er zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Mir ist das egal, und Ihnen wird’s wohl recht sein. Totgesagte leben länger, was?«
Er lachte meckernd und klopfte mir auf den Rücken. Es war ein Bauarbeiterschlag, der mich etwas aus dem Gleichgewicht brachte.
»Rein so aus Neugier, was?«
»Ein alter Charakterfehler von mir. Ich krieg ihn nicht los.«
»Red keinen Schmarrn, Dillinger. Jeder kennt dein Hobby. Wo eine Leiche ist, ist Dillinger nicht weit. Du hast einen Ruf.«
Waren wir also beim Du, wir Siedersknechte. Auch recht. Machte manches einfacher.
Er streckte mir die Hand entgegen. »Stefan Kubitz. Ich bin hier der Polier und auch so etwas wie die Bauleitung.«
Nach dem Bauarbeiterschlag auf den Rücken konnte mich der Bauarbeiterhändedruck nicht überraschen. Ich überstand ihn, ohne allzu sehr mit der Wimper zu zucken.
»Nichts für ungut«, sagte Kubitz. »Aber Katastrophentourismus ist das Letzte, was wir hier brauchen können.«
»Wie viel Katastrophentouristen waren denn schon hier?«
»Einer. Du.«
Ich sah ihn an und zog die Augenbrauen hoch.
»Ja, gut, ich habe etwas harsch reagiert«, räumte er ein. »Aber man weiß ja nie, was den Leuten so einfällt. Wenn sie schon den Rettungswagen stürmen, nur damit sie ein tolles Foto von einem Unfallopfer machen können …«
Da konnte ich ihm nur zustimmen. So etwas war pervers. Aber so einer war ich nicht, ich hatte andere Gründe.
»Hier ist es also passiert«, sagte ich.
»Auf der anderen Seite. Willst du’s sehen?«
Ich nickte. »Ich verspreche auch, kein Foto zu machen.«
»Dir würde ich das sogar nachsehen. Du hast ja bestimmt deine Gründe.«
Wenn das so einfach wäre! Hatte ich meine Gründe, mich um eine Angelegenheit zu kümmern, die mich in keiner Weise betraf? Ich war nicht über eine Leiche gestolpert, Frieder Schindel war nicht bei mir versichert gewesen, ich hatte ihn nicht gekannt, ich hatte nur mal mit seiner Frau, als sie noch nicht seine Frau war, ein bisschen herumgemacht. Was waren also meine Gründe?
»Komm mit«, sagte der Polier. »Aber vorher besorge ich dir einen Helm. Wenn dir etwas auf den Kopf fällt, bekomme ich Riesenärger. Die Berufsgenossenschaft, verstehst du?«
Mit dem gelben Helm auf dem Kopf fühlte ich mich natürlich gleich viel sicherer.
Stefan Kubitz führte mich um den Bau herum und deutete nach oben. »Da ist es passiert. Willst du hinauf?«
Ich zögerte. Große Höhen waren nicht so mein Ding, und große Höhe war für mich alles, was über eine Vorhangstange hinausging.
Aber ich wollte mir keine Blöße geben und nickte.
»Sei vorsichtig, könnte etwas rutschig sein, hat ja geregnet«, sagte er.
Dann begannen wir den Aufstieg zum dritten Geschoss, er leichtfüßig und unbekümmert vorneweg, ich hasenfüßig und verkrampft hinterdrein. Nur nicht nach unten schauen! Ich fixierte die Leitersprossen vor mir, setzte zaghaft einen Fuß vor den andern und versuchte, an nichts zu denken.
Ein Bauarbeiter tat sich leicht, er kletterte jeden Tag hinauf und herunter, er war das gewohnt.
Endlich waren wir oben, und ich atmete tief durch. Es hatte schon seinen Grund, weshalb sämtliche Türme dieser Welt vor mir sicher waren. Auch bei einem Parisbesuch hatte ich mich nur mit dem Aufzug auf die zweite Plattform ins Spitzenrestaurant Jules Verne tragen lassen und dabei die Augen fest geschlossen gehalten.
Andererseits, von oben sah die Welt ganz anders aus, und ein dreigeschossiges Wohnhaus war ja noch nicht wirklich hoch. Ich hatte nichts gegen schöne Aussichten, wenn ich auf festem Boden stand statt auf einem wackligen Baugerüst, das, wie ich mir einbildete, jeden Moment zusammenbrechen konnte. Ich hatte es lieber, wenn ich von einer Glasfront umgeben war und vor mir ein wohlgefüllter Teller duftete wie seinerzeit im Eiffelturmrestaurant.
Stefan Kubitz hatte mein Unbehagen bemerkt.
»Höhenangst?«, fragte er.
Ich nickte und sagte: »Wie ihr das aushaltet jeden Tag!«
»Schwindelfrei solltest du schon sein in diesem Job. Und der Rest ist Routine. Wenn du tagaus, tagein hier herumkletterst und arbeitest, machst du dir keine Gedanken mehr. Du fühlst dich auf sicherem Boden.«
»Umso unbegreiflicher ist für mich, dass jemand mit dieser Routine doch abstürzen kann.«
Er lehnte sich lässig an das Geländer, an dem ich mich so krampfhaft festhielt, dass meine Fingerknöchel weiß wurden, und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Vielleicht gerade deswegen«, sagte er. »Was ich unseren Stiften immer predige: Auch wenn das für dich normal ist, auch wenn du dich so sicher fühlst wie in Abrahams Schoß, sei trotzdem vorsichtig. Übervorsichtig. Warum sägt sich ein Schreiner die Finger ab? Warum zerquetscht sich ein Schlosser die Hand? Warum stürzt ein Dachdecker vom Dach oder ein gelernter Maurer vom Gerüst? Einen Moment unachtsam, und das war’s dann. Die ganzen Sicherheitsmaßnahmen sind gut und schön, aber wenn du eine Sekunde mit den Gedanken woanders bist, dann hast du vielleicht ein Problem.«
»Hatte