Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs. Marcel Rothmund

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Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs - Marcel Rothmund

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Daneben war der Treppenabgang in den Keller, doch auch dort waren keine Körbe zu finden.

      »Wo hat er sie bloß wieder versteckt«, murmelte Elisabeth vor sich hin und ging wieder hinaus. Draußen im Hof, umgeben von Wohnhaus und Speicher, lag zum Waldweg hin ihr großer Garten. Dort pflanzte sie nicht nur Gemüse, sondern auch alle möglichen Kräuter an. Der Garten war von einem Zaun mit dünnen angespitzten Holzpalisaden umgeben, damit keine wilden Tiere darin fressen oder im Boden umherwühlen konnten. Elisabeth lief am Garten vorbei und suchte im alten Speicher nach den Körben. Komplett aus Holz gebaut, war er zweistöckig angelegt. In seinem unteren Stock lagerten Sensen, Rechen und allerlei Gerätschaften für den Garten. In der Raummitte stand ein Hackstock, auf dem Adam gelegentlich das Holz spaltete, das er an der Wand nebenan aufstapelte. Der obere Stock des Speichers wurde fast nicht mehr genutzt. Hier hatte man früher das Getreide aufbewahrt. Links und rechts waren große kastenförmige Fächer, in denen das Korn einst gelagert worden war, denn hier oben war es vor Feuchtigkeit und Mäusen gut geschützt. Doch die Getreidekästen waren seit Jahrzehnten leer und dienten nur noch als Abstellraum für alte Krüge, Flaschen und anderes Gerümpel. Einen Teil der Kästen hatte Adam mit Brennholz gefüllt. Im Giebel über den Getreidekästen war früher der Speck zum Lagern aufgehängt worden. Jetzt hingen dort verschiedene Kräuterbüschel, die Elisabeth trocknete. Von ihrer Tante Ottilie hatte Elisabeth schon als Kind von der kleinen geheimen Kammer im Inneren des alten Speichers erfahren. Die Kammer verbarg sich in der doppelten Rückwand des Speichers im oberen Stock. Zwischen den beiden Wänden befand sich ein Hohlraum von etwa einem Meter Tiefe. Den Zugang zu diesem nicht sichtbaren Raum bildete ein kleines Türchen im hintersten Getreidekasten auf der linken Seite. Wenn der Kasten mit Getreide gefüllt war, konnte man das kleine Türchen nicht mehr erkennen. Derart gut verborgen, war der Geheimraum im Speicher früher ein ideales Versteck für die Barschaft und für wichtige Schriftstücke der Hofbesitzer gewesen. Ob die schwedischen Soldaten bei der Brandschatzung während des Dreißigjährigen Krieges den geheimen Raum entdeckt hatten, konnte Tante Ottilie aus den Erzählungen der Vorbesitzer nicht mehr sagen. Möglicherweise hatten die Schweden das Geheimfach entdeckt und alles darin Befindliche geraubt, andererseits war es genauso möglich, dass sie es in der Dunkelheit des Speichers übersehen hatten und die Verwalter der Ordensgemeinschaft nach der Ermordung des Pächters die Wertsachen an sich nahmen. Jedenfalls war der Geheimraum leer gewesen, als Ottilies Schwiegervater den Vrenenhof übernommen hatte. In den ersten Jahren, nachdem Elisabeth und Adam den Hof von Tante Ottilie weitergeführt hatten, war Elisabeth der Geheimraum wieder in Erinnerung gekommen. Sie hatte Adam davon erzählt und eine Zeit lang übte der geheime Raum eine Faszination auf sie beide aus. Sie überlegten ebenfalls, dort ihr wertvolles Hab und Gut zu verstecken. Doch aus Angst, der Speicher könnte eines Tages vom Blitz getroffen werden und in Flammen aufgehen, verwarfen sie den Gedanken. Das Haupthaus schien ihnen für ihre Wertsachen sicherer. In einem der Getreidekästen entdeckte Elisabeth schließlich die gesuchten Körbe.

      »Natürlich im hintersten Eck. Dort, wo niemand sie sucht. Oh, du, mein Eselpeter!«, redete sie vor sich hin und schüttelte den Kopf.

      Es waren bereits zwei Stunden vergangen, als Elisabeth drei Körbe mit Trauben gefüllt hatte. Ein Großteil der südlichen Hauswand war abgeerntet. Während sie die Holzleiter nach rechts rückte und wieder nach oben stieg, lief Adam unten auf den Hof. Er war am frühen Morgen in den Wald gegangen, um für sie eine Fledermaus zu fangen. Sofie Villinger aus dem Dorf war vor ein paar Tagen bei Elisabeth vorstellig geworden und hatte über starke Kopfschmerzen geklagt, die sie schon längere Zeit plagten, meistens gegen Abend. Elisabeth hatte der recht korpulenten Sofie gesagt, sie solle sich in der Stube auf das Sofa legen. Dann hatte sie ihre rechte Hand auf Sofies Kopf gelegt und die linke auf ihren Bauch. In dieser Haltung hielt Elisabeth inne und horchte durch das Auflegen in den Körper der Frau. Anschließend verschwand sie hinter dem Vorhang im Nebenzimmer. Nach kurzer Zeit kehrte sie wieder zurück und schickte Sofie Villinger nach Hause. Am späteren Abend desselben Tages hatte Elisabeth Adam erzählt, dass sie ein passendes Rezept für ein Mittel gegen die starken Kopfschmerzen gefunden hatte. Da Sofie im mittleren Lebensalter war und von gesunder Physis, hatte Elisabeth eine besonders starke Mixtur gewählt, welche die Bäuerin sicher vertragen würde. Sie hatte fast alle notwendigen Zutaten dafür beieinandergehabt, doch eine ganz spezielle Ingredienz hatte ihr noch gefehlt: die Asche einer Fledermaus, genauer gesagt die Asche eines Abendseglers. Da Elisabeth nicht wusste, wie sie eine Fledermaus hätte fangen sollen, musste Adam das für sie erledigen. Deshalb hatte er in den vergangenen Tagen kleine Holzkästen als Unterschlupf für die Fledermäuse in den Wäldern aufgehängt. Wenn ein paar Abendsegler tagsüber darin ruhten, konnte er ohne großen Aufwand eines der Tiere herausholen.

      Oben auf der Leiter wandte sich Elisabeth zu Adam um. »Und? Waren welche im Kasten drin?«, fragte sie ihn erwartungsvoll.

      »Eben nicht! Die Viecher wissen wohl, was ihnen blüht, wenn sie hineingehen«, antwortete Adam launisch.

      Über seiner rechten Schulter trug er einen leeren Leinensack, in dem er seinen Fang nach Hause transportiert hätte, wenn er erfolgreich gewesen wäre.

      Für sein Alter war Adam Krämer noch recht rüstig und von kräftiger Statur. Im vergangenen Jahr war er sechzig Jahre alt geworden. Seine Haare wurden in letzter Zeit immer grauer und die Länge seines Bartes nahm beträchtlich zu. Er trug meist seine alte Zimmermannsweste und darüber seine braune Waldjacke. Auf seine Mitmenschen wirkte er in seiner Art zurückgezogen und nicht besonders gesprächig. Die Dorfbewohner nannten ihn deshalb den »komischen Adam«, doch das störte ihn nicht weiter. Adam konnte stundenlang im Wald unterwegs sein. Er genoss die Ruhe in der Natur und fühlte sich in diesen Momenten dem Schöpfer besonders nahe, und Elisabeth war das gewohnt. Sie schätzte an ihm seine Ausgeglichenheit. Adam war in Ostrach als Sohn eines Zimmermanns geboren worden. Nach der Lehrzeit bei seinem Vater war er jahrelang auf der Walz gewesen. Als junger Zimmermann hatte er die Freiheit genossen und dort gelebt, wohin die Arbeit ihn geführt hatte. An Orten, an denen es ihm besonders gefiel, blieb er länger. In den über zehn Jahren auf der Walz lernte er Orte wie Ulm, Regensburg, Eisenach und sogar Weimar kennen. Nach den Jahren der Ungebundenheit zog es Adam wieder in seine alte Heimat um Ostrach zurück. Als er auf dem großen Wangenhof in der Nähe von Pfullendorf beim Bau der neuen Scheune tätig war, lernte er Elisabeth kennen. Sie lebte damals auf dem Hof ihrer jüngeren Schwester bei Otterswang und kam auf den Wangenhof, um der Bäuerin zu helfen, die sich seit längerer Zeit mit einer schweren Hautkrankheit herumplagte. Elisabeth war damals bei den Leuten bekannt für ihr Wissen in der Kräuterheilkunde. Adam hatte sich während der Walz nicht viel aus Frauen gemacht und oft nur flüchtige Liebschaften geführt. Doch Elisabeth mit ihrer ruhigen und liebevollen Art hatte ihn vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen. Etwa zwei Jahre nach ihrem Kennenlernen war Elisabeths Tante Ottilie verstorben. Die kinderlose Witwe hatte ihrer Nichte den Vrenenhof vererbt und so kam es, dass Elisabeth und Adam zusammen dort hinzogen. Geheiratet hatten sie einander nicht, denn der kirchliche Segen war den beiden für ihr Zusammenleben nicht wichtig. Bei den Dorfbewohnern war diese Tatsache allerdings immer wieder ein Stein des Anstoßes. Doch Elisabeth und Adam kümmerten sich nicht weiter um das Geschwätz der Leute. Sie lebten zufrieden und abgeschieden auf ihrem Vrenenhof und das war ihnen am wichtigsten.

      »Wie geht es ihm?«, fragte Adam und deutete mit dem Kopf Richtung Stubenfenster.

      »Er schläft immer noch«, antwortete sie. »Meine Kräutermischung hat ihm wohl gutgetan.«

      Adam nickte zufrieden und griff in den gefüllten Korb vor seinen Füßen. Er nahm sich ein Büschel der geernteten Traubenzweige heraus und aß genüsslich von den Beeren.

      Elisabeth stieg währenddessen von der Leiter herab und steckte das Messer in die Tasche ihrer Schürze.

      »Aber mittlerweile hat er sehr hohes Fieber. Wenn es in den nächsten Stunden nicht runtergeht, werde ich ihm wohl kalte Wadenwickel machen müssen.«

      »Hat er irgendetwas gesagt?«

      »Nein. Wenn,

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