Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs. Marcel Rothmund
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Читать онлайн книгу Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs - Marcel Rothmund страница 7
»Deinen Hof solltest du am besten in den ›Mädlehof‹ umtaufen!«, hatte Werner schadenfroh zu ihm gesagt und die anderen Bauern am Stammtisch hatten lauthals gelacht. Andreas ließ die Witze auf seine Kosten immer ohne große Regung über sich ergehen. Im Wirtshaus zeigte er sich stark und zuversichtlich, doch tief in seinem Inneren nagte die Angst zu versagen unaufhörlich an ihm wie ein hungriger Hund an einem Knochen. Auf seinem Heimweg vom »Adler« bis zum Haldenhof hing er immer nur diesem einen Gedanken nach. Das ging schon seit Wochen so. Wenn er abends nach Hause kam, sah Johanna ihm von Weitem an, dass ihn etwas bedrückte. Im Bett nahm sie oft seine Hand und sprach ihm zu, dass es sicher gut gehen würde. Andreas nickte dann schwermütig, streichelte ihr liebevoll über das Gesicht und drehte sich schließlich zum Schlafen auf die Seite.
Ludovica
In den vergangenen Wochen hatte Johanna ihrem Andreas oft Mut gemacht, doch auch sie selbst befürchtete insgeheim, dass sie wieder ein Mädchen zur Welt bringen würde. Mittlerweile war sie in der dreißigsten Woche schwanger. Ihr Ansehen als gute Hausmutter wäre in Zweifel gezogen, sollte auch diesmal ein Erbe ausbleiben. Hinzu kam, dass ihre Schwiegermutter, die Altbäuerin Ludovica, ihr Tag für Tag vorschreiben wollte, was sie zu tun und zu lassen hatte, damit der Hof endlich seinen männlichen Erben bekam.
Diese Gedanken gingen Johanna durch den Kopf, als sie nach dem Mittagessen den Abwasch machte. Ludovica warf draußen die Küchenabfälle auf den Misthaufen und kam wieder in die Küche zurück. Die Altbäuerin war kurz vor dem sechzigsten Lebensjahr, doch für ihr Alter noch äußerst rüstig. Sie war von kleiner, aufrechter Statur und band ihre langen grauen Haare tagsüber immer zu einem Dutt zusammen. Ihre grüngrauen Augen schienen alles in ihrem Umfeld zu durchdringen. Ludovica redete immerzu und die Sätze schienen von frühmorgens bis spätabends nur so aus ihrem Mund zu sprudeln. Die Altbäuerin hatte an allem und jedem etwas auszusetzen. Mit einem vorwurfsvollen Blick sah sie Johanna an, die sich ein Glas mit frischer Milch eingeschenkt hatte. »Bei unserem Herrgott!«, wetterte sie. »Ich glaube, du willst einfach nicht auf mich hören! Jetzt habe ich dir schon ein paarmal gesagt, du sollst keine frische Milch trinken. Die muss zuerst abgekocht werden. Das tut dem Kind nicht gut!«
»Aber, Ludovica, das macht doch nichts. Meine Mutter hat auch immer frische Milch vor der Niederkunft getrunken.«
»Dann hat sie es besser vertragen als du!«, schnaubte Ludovica und warf sich die Stallschürze über das dunkle Trägerkleid. »Schließlich sollst du deinem Mann ein gesundes Kind zur Welt bringen! Schlimm genug, dass es bis jetzt nur Mädchen waren! Mein armer Bub braucht doch unbedingt einen Hoferben! Und dann trinkst du auch noch aus Trotz die frische Milch, dass das Kind womöglich schon von Geburt an schlecht dran ist!«
Johanna hatte sich daran gewöhnt, dass ihre Schwiegermutter immer recht behalten wollte. Die junge Bäuerin ließ sich deswegen nicht aus der Ruhe bringen. »Ludovica, die frische Milch schadet dem Kind sicher nicht. Das hat auch die Liesl zu mir gesagt. Und dass der Andreas …«
Mit einem Aufschrei krächzte Ludovica dazwischen. »Die Kräuterliesl?!« Vorwurfsvoll und ungläubig zugleich sah sie Johanna an. »Du wirst doch bei Gott nicht dem alten Heidenweib glauben?! Oder hast du jemals gesehen, dass sie eigene Kinder hat?«
»Nein. Aber …«
Johanna konnte nicht einmal recht antworten, denn Ludovica riss das Wort sofort wieder an sich. »Da hast du es! Glaub lieber deiner guten Schwiegermutter. Ich habe fünf gesunde Kinder auf die Welt gebracht, darunter drei Buben! Und der Hoferbe davon hat dich geheiratet und auf unseren Haldenhof geholt. Glaub mir und nicht dem komischen Kräuterweib im Wald!«
Johanna atmete tief ein und wollte Ludovica von den vielen Heilungen der Liesl erzählen, doch sie hielt inne. Sie mochte ihre Schwiegermutter, auch wenn der Umgang mit ihr nicht immer einfach war. Manchmal waren ihre Ratschläge tatsächlich hilfreich. Nach mancher Diskussion waren sich die beiden Frauen einig geworden, doch wenn es um die Kräuterliesl ging, zischte die Altbäuerin wie eine angriffslustige Schlange. Ludovica hielt nichts von der Kräuterliesl, Johanna