Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs. Marcel Rothmund

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Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs - Marcel Rothmund

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ihre eigene Jagdtaktik zunutze. Zuerst sah er sich nach Gräsern und Sträuchern in der näheren Umgebung um. Was er brauchte, war ein Insekt, ein Köder, mit dem er eine Kreuzspinne aus ihrem Versteck locken konnte. Nach ein paar Minuten der aufmerksamen Suche fing Adam einen gelben Schmetterling, der über der Schafgarbe am Wegesrand flatterte. Den Schmetterling zwischen seinen Handflächen, lief er zu einer der Felsspalten mit einem Spinnennetz am Eingang, um ihn dort fliegen zu lassen. Dazu steckte er seine Hände in die Tiefe des Spalts hinein, bevor er sie öffnete. Im Halbdunkel des Felsgesteins flog der freigelassene Schmetterling instinktiv in Richtung Sonnenlicht. Kurz bevor er die ersehnte Freiheit wiedererlangt hätte, verfing er sich in den hauchdünnen Fäden des Spinnennetzes, das am Eingang der Felsspalte aufgespannt war. Vom zappelnden Schmetterling im Netz angelockt, kam flink eine Kreuzspinne angekrochen, die sich wohl seit Tagen auf die Lauer gelegt hatte. Zielstrebig krabbelte die Spinne auf den Schmetterling zu, dabei ahnte sie nicht, dass eine weitaus größere Kreatur auf sie selbst wartete. Als die Spinne in der Mitte des Netzes angelangt war und sich über ihre Beute hermachen wollte, zog Adam ein Einmachglas aus seiner Tasche, das er von zu Hause mitgenommen hatte. Den Deckel in der einen Hand und das Glas in der anderen, nahm er die Spinne auf dem Netz dazwischen ins Visier und schloss das Glas mit einer schnellen Bewegung. Er hatte die Spinne lebend gefangen. Immerhin musste sie nicht hungern, denn der Schmetterling wurde ebenfalls im Glas eingeschlossen. Zufrieden packte er die Beute in seine Leinentasche und nahm das Schmalzbrot heraus. Nach der kleinen Stärkung machte er sich auf den Weg zu den Fledermauskästen. Bis zum Nachmittag suchte er in den umliegenden Wäldern alle Fallen für die Abendsegler ab. Der erste Kasten war leer. Der zweite Kasten – ein paar Gehminuten weiter entfernt – enthielt Fledermäuse, doch es waren keine Abendsegler, sondern Langohren, wie er unschwer an den großen Ohren der schlafenden Tiere erkennen konnte. Der dritte Kasten war ebenfalls leer. Im Glauben, dass er nur mit einer Beute im Sack nach Hause kommen würde, machte sich Adam auf den Weg zum vierten Kasten. Zu seinem Erstaunen enthielt dieser zwei Abendsegler, die sich zum Ruhen an die Innenwände des Holzkastens klammerten. Die schlafenden Tiere waren ein leichtes Opfer für ihren Jäger. Adam nahm das Glas mit der Spinne, seinen restlichen Proviant und alles andere aus dem Leinenbündel, damit er eine Fledermaus dort hineinpacken konnte. Um sich vor Bissen zu schützen, zog er einen Stoffhandschuh an. Vorsichtig öffnete er den Deckel des Holzkastens, packte eine der beiden Fledermäuse und steckte sie in das Bündel. Mit der Beute in der Hand suchte er auf dem Waldboden nach einem dicken Stock. Er drückte das Leinenbündel so fest zusammen, dass die Konturen der Fledermaus im Stoff erkennbar wurden. Mit dem Stock holte er aus und gab zwei feste Schläge auf das Tier im Stoffbündel, das sofort tot war. Danach verschloss er den Holzkasten wieder, in dem der andere Abendsegler verblieb. Es hätte genauso gut ihn treffen können, dachte Adam sich, doch die Fledermaus im Kasten hatte überlebt und würde nun weiter im nächtlichen Wald umhergeistern. Adam verstaute den toten Abendsegler und die Spinne im Leinenbündel, setzte sich auf einen Baumstumpf und aß genüsslich die süßen Weintrauben. Währenddessen lauschte er einige Zeit den Geräuschen des Waldes und machte sich später auf den Rückweg zum Vrenenhof.

      Der seltsame Vorhang

      Als Elisabeth morgens mit der weißen Teekanne in die Stube eintrat, lag Kilian mit offenen Augen auf dem Sofa und drehte den Kopf nach ihr um. Das Fieber schien ein bisschen zurückgegangen zu sein, denn er atmete nicht mehr so kurz und stoßartig wie in der vergangenen Nacht. Während Elisabeth zu ihm sprach, goss sie eine Tasse Tee ein und reichte sie ihm. Ihr Gesicht war schmal und ihre braunen Augen strahlten eine große Herzenswärme aus. Auf ihrem Kinn war ein kleines Grübchen, und wenn sie lächelte, zeichneten sich feine Falten um ihre Mundwinkel ab.

      »Geht es dir ein bisschen besser?«, fragte sie.

      Kilian nahm einen kleinen Schluck und nickte. »Ja, aber mein Kopf schmerzt immer noch. Mein Körper fühlt sich heiß an und ich schwitze fest.«

      »Du hattest gestern Abend hohes Fieber. Das ist der Grund dafür. Mittlerweile ist es wohl gesunken, aber es dauert noch, bis es ganz verschwunden sein wird. Deshalb musst du viel trinken.«

      Er atmete schwer und strich sich die Haare von seiner verschwitzten Stirn.

      »Das tue ich ja gern, aber alles scheint mein Körper nicht auszuschwitzen«, sagte er verlegen. »Ich müsste mal dringend auf den Abort.«

      Elisabeth lächelte. »Ach so, daran habe ich gar nicht gedacht. Aber nach draußen gehen solltest du nicht in deinem Zustand. Dein Körper ist sehr geschwächt. Warte, ich bin gleich zurück.«

      Daraufhin verschwand sie und Kilian konnte kurz danach ihre Schritte auf dem knarrenden Holzboden im oberen Stock hören. Schließlich kehrte sie mit einem Nachttopf zurück.

      »Ich stell ihn dir hier neben das Sofa. Dann kannst du dich erleichtern.«

      Anschließend ging Elisabeth wieder hinaus. Eigentlich hatte Kilian bisher in seinem Leben fast ausschließlich im Stehen gepinkelt, wenn man von seinen ersten Lebensjahren als Säugling absah. Das Pinkeln in einen Nachttopf war etwas für alte Greise, die es nicht mehr rechtzeitig aus dem Bett schafften. Doch der Drang ließ ihm keine Wahl. Er drehte sich kurzerhand auf dem Sofa zur Seite und zog seine Hose ein Stück nach unten. Dann nahm er den Deckel vom Nachttopf, hob ihn mit der linken Hand auf Höhe des Sofas und pinkelte hinein. Elisabeth ließ ihm genügend Zeit für sein Geschäft. Eine gute Viertelstunde später kam sie in die Stube zurück. Kilian hatte den Nachttopf mit dem Deckel zugedeckt, aber den süßlichen Geruch seines Urins konnte sie sicher riechen.

      »Fertig?«, fragte sie.

      »Ja«, antwortete er leicht beschämt.

      »Dann trink gleich noch mal eine Tasse Tee. Ich leer die Schüssel derweil aus und stell sie dir unter das Sofa, falls es wieder notwendig wird.«

      Während Elisabeth mit dem vollen Nachttopf nach draußen ging, trank Kilian den restlichen Tee. Hinter ihm tickte die große Standuhr an der Wand, deren Geräusch er jetzt zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Ihr Uhrenkasten war kastanienrot und mit einem grün-gold verzierten Ziffernblatt bemalt. Eine Weile lauschte er dem beruhigenden Tick-Tack und sein Blick schweifte durch die Stube. In der Zimmerecke hinter der Tür standen ein gusseiserner Kanonenofen und daneben eine Holztruhe, die gleichzeitig als Sitzbank dienen konnte. Außerdem schmückten eine kleine Kommode, ein Tisch mit Stühlen und ein Schrank die Stube. Der Vorhang zum Hinterzimmer war geschlossen und bei dessen Anblick gingen ihm trotz der dumpfen Kopfschmerzen, die ihn immer noch quälten, viele Gedanken durch den Kopf. Was sich dahinter wohl verbergen mochte? War es eine gewöhnliche Vorratskammer? Nein, das konnte nicht sein. Diese würde man nicht durch die Stube, sondern durch die Küche betreten. Konnte man vom Hinterzimmer direkt in die Küche gelangen? Aber warum hatte Elisabeth den Tee dann nicht auf diesem Wege geholt? Auch das machte keinen Sinn. Er grübelte weiter. War es einfach eine gewöhnliche Rumpelkammer, deren Zugang von der Stube aus mit einem Vorhang zugedeckt war, damit man das wilde Durcheinander nicht sehen konnte? Aber warum sollte Elisabeth den Raum neben der Stube als Rumpelkammer nutzen? Dafür war in einem Haus der Dachboden da. Bei seinen Überlegungen beschäftigte ihn ein Gedanke besonders stark. Elisabeth hatte sich gestern Abend eine Zeit lang hinter dem Vorhang aufgehalten und war anschließend mit dem Kräuterverband zurückgekehrt. Demnach musste sich eine Küche oder etwas Ähnliches dahinter verbergen. Die Tatsache, dass der Blick in den Raum durch einen Vorhang verschlossen wurde, machte ihn neugierig. Zu gerne wäre er sofort aufgestanden und hätte hinter den Vorhang geschaut. Seine Neugier war sehr groß, dennoch konnte er nicht nachsehen, was sich dahinter verbarg. Elisabeth würde gleich zurück sein und er wollte nicht als Schnüffler vor ihr dastehen. Zumal sie ihm bis jetzt jede denkbare Art von Hilfe hatte zukommen lassen und diese Zuwendung wollte er nicht mit Misstrauen vergelten. Als Elisabeth wieder in die Stube kam, war Kilians Blick immer noch auf den Vorhang gerichtet. Sie konnte ihm die Neugier wahrscheinlich ansehen.

      »Möchtest du etwas essen? Hast du Hunger?«, fragte sie.

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