Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs. Marcel Rothmund

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs - Marcel Rothmund страница 8

Das Vermächtnis des Konstanzer Kräuterbuchs - Marcel Rothmund

Скачать книгу

Johanna hatte sie bei diesen Besuchen begleiten dürfen. Als Kind war es für sie immer ein Abenteuer gewesen, bei dem sie zu Fuß durch den Wald bis zum Hof der Kräuterliesl gelaufen waren. Erst Jahre später hatte Johanna erfahren, dass die gute Frau, die ihrer Mutter und der Familie bei Krankheiten so oft geholfen hatte, mit richtigem Namen Elisabeth Freistetter hieß. Ihren Mann hatte sie damals fast nie zu Gesicht bekommen, aber er war für die kleine Johanna auch nicht von Bedeutung gewesen. Viel interessanter war, was die Kräuterliesl bei den Besuchen zu ihrer Mutter gesagt und ihr mitgegeben hatte. Einmal hatten sie die Kräuterliesl wegen den Warzen auf Johannas Handrücken aufgesucht. Ihre Mutter hatte zuerst eine rote Schnecke genommen und mit deren Schleim die Warzen bestrichen. Eine Maßnahme, zu der ihr die Kräuterliesl geraten hatte, als die Mutter selbst eine Warze gehabt hatte. Nach ein paar Tagen waren die Warzen aber immer noch nicht verschwunden gewesen, woraufhin Johannas Mutter ihre kleine Tochter zur Kräuterliesl mitgenommen hatte. Die Heilkundige sah sich die Warzen in ihrer Stube genau an und murmelte ein paar unverständliche Worte vor sich hin. Dann stand sie auf und verschwand hinter einem Vorhang. Das Warten kam der kleinen Johanna wie eine Ewigkeit vor, doch schließlich kam die Kräuterliesl wieder zurück und hielt ein kleines Fläschchen in der Hand. Sie erklärte der Mutter, dass der Schleim von roten Schnecken bei Kindern nicht immer wirke. Daher habe sie nach einer anderen Möglichkeit nachgeschlagen und ein Mittel zusammengemischt, das sicher helfen würde. Die kleine Johanna starrte während des Gesprächs mit ängstlichem Blick auf das Fläschchen mit der grünbraunen Flüssigkeit, das die Kräuterliesl in der Hand hielt. Deswegen hatte sich die Liesl zur ihr nach unten gebeugt und auf das Fläschchen gedeutet.

      »Da ist Wasser drin, das ich vom Stock einer abgehauenen Eiche gesammelt habe«, hatte sie erklärt. »Dazu habe ich besondere Kräuter gemischt. Deshalb sieht es so komisch aus. Aber davor brauchst du keine Angst zu haben. Deine Mutter muss dir nur jeden Abend ein bisschen davon auf die Warzen streichen und dann verschwinden sie.«

      Die kleine Johanna hatte die Kräuterliesl damals ungläubig angesehen, doch ein paar Tage später waren die scheußlichen Warzen tatsächlich weg gewesen. Seither war Johanna von der Heilkunst der Kräuterliesl überzeugt und suchte sie stets um Hilfe auf, wenn es nötig war. Die Geschichte der Warzenheilung hatte Johanna bereits vor Jahren ihrer Schwiegermutter erzählt, doch Ludovica hatte nur süffisant gelacht, als ob Johanna ein kleines dummes Mädchen wäre. »Du Zwetschgenbäs, die Warzen sind einfach von selbst abgefallen«, hatte sie damals amüsiert gesagt. »Oder glaubst du etwa, das Wässerle von dem Heidenweib hat dir geholfen? Im Leben nicht! Und wahrscheinlich hat deine Mutter ihr dafür auch noch was gegeben. Das hätte sie sich sparen können.«

      Auch an diesem Nachmittag, Jahre später, erklangen Ludovicas Worte von damals in Johannas Kopf. Deshalb verkniff sie sich jede weitere Bemerkung zur Kräuterliesl.

      Der Fremde

      Während Elisabeth die Trauben erntete, sah sie zwischendurch nach dem jungen Burschen in der Stube. Er hatte tatsächlich den ganzen Vormittag durchgeschlafen. Nach dem Mittagessen goss sie einen frischen Apfelschalentee auf und sah noch einmal nach ihm. Als sie eintrat, öffnete der junge Mann seine Augen und schaute sich nach ihr um. Sie stellte die Teekanne auf den Tisch und lächelte den Burschen an. Er atmete immer noch sehr kurz und schubartig, das Fieber war wohl nicht gesunken. Mit seinen glasigen blauen Augen sah er sie an und wirkte dabei leicht verwirrt. »Haben Sie mir geholfen?«, fragte er mit geschwächter Stimme.

      »Ja. Du bist gestern Nacht schwer verletzt zu unserem Haus gekommen, deshalb haben wir dir geholfen.«

      »Wer ist wir?«

      »Adam und ich. Er ist mein Mann und ich bin die Elisabeth.«

      Panisch blickte der junge Mann um sich und sprach im Flüsterton weiter. Sein Gesicht war von Furcht verzerrt. »Ist Adam der Mann mit dem Schäferwagen? Ist er hier? Er versteckt sich hinter dem Vorhang, stimmt’s?«

      Elisabeth war im ersten Moment sprachlos und wusste nicht, wovon der junge Kerl redete. »Nein«, beruhigte sie ihn. »Adam ist mein Mann und er ist draußen im Wald unterwegs. Und er hat auch keinen Schäferwagen. Aber von wem sprichst du überhaupt?«

      Der junge Mann schien ihre Frage gar nicht mehr wahrgenommen zu haben. Der plötzliche Anflug von Angst war wieder aus seinem Gesicht verschwunden und er schloss seine müden Augen.

      Elisabeth schaute den Fremden erstaunt an und viele Fragen gingen ihr währenddessen durch den Kopf: Woher war er gekommen? Wo wollte er hin? Und wen meinte er mit dem Schäferwagen? Sie wollte sich schon von ihm abwenden, als er nochmals für einen kurzen Moment die Augen öffnete und ihr seine Hand entgegenstreckte. Er kämpfte sichtlich mit dem Fieber in seinem Körper, wodurch ihm das Sprechen sehr schwer fiel. »Danke, Elisabeth! Ich heiße Kilian.«

      Elisabeth drückte seine Hand und nickte. »Du musst etwas trinken«, sagte sie und hob ihm fürsorglich die Tasse an den Mund.

      Kilian nippte vom Tee und lächelte sie danach zufrieden an, dann schlief er wieder ein. Besorgt musterte Elisabeth den jungen Mann, von dem sie nun wenigstens den Namen wusste. Wenn das Fieber bis morgen nicht abklingen würde, musste sie für ihn ein Mittel zur Heilung finden. Einen Schwerkranken hatte sie lange nicht mehr bei sich gehabt. Aber für solche Fälle hatte sie das Kräuterbuch der Hildegard, auf das sie voll und ganz vertraute. Ihre Vorfahren hatten mit dessen Hilfe seit Jahrhunderten Kranke geheilt, doch viele von ihnen hatten deshalb selbst ihr Leben lassen müssen.

      Fiebertraum

      Als Kilian seine Augen wieder öffnete, war es draußen bereits dunkel geworden. Blauweißes Mondlicht fiel gespenstisch durch die Fenster in der Stube. Doch der Mond schien nicht die einzige Lichtquelle zu sein, denn in dessen Licht mischte sich ein intensives rötliches Leuchten. Kilian sah sich in der Stube um und bemerkte, dass der Vorhang zum Hinterzimmer zur Seite geschoben war und der rote Schein von dort herrührte. Sofort packte ihn die Neugier. Langsam richtete er sich vom Sofa auf und schaute in Richtung des geheimnisvollen Leuchtens. Von einer Petroleumlampe konnte es nicht sein, dachte er sich. Dafür war das Licht viel zu rötlich und zu hell. Ein Kaminfeuer war es auch nicht, da er kein brennendes Holz knacken hörte. Das Fieber schien nicht ganz weg zu sein und ihm war deswegen immer noch sehr unwohl. Doch Kilian wollte unbedingt wissen, woher dieses Licht kam. Als er aufstand, spürte er, wie schwach seine Beine waren. Ihm war schwindelig und er musste besonders achtgeben, dass er nicht umkippte. Nicht nur die Beine, sondern auch seine Augen und sein Denkvermögen schienen unter dem Fieber zu leiden. Entschlossen fixierte er das Ziel und nahm all seine Kräfte zusammen. Doch das Licht aus dem Nebenzimmer begann nun, sich in wilden Kreisen zu drehen und zu pulsieren. Kilian ließ sich von der körperlichen Schwäche nicht abhalten und trat näher an den Durchgang zum Hinterzimmer heran. Das rötliche Licht wurde stärker und strahlte ihm mächtig entgegen, sodass er eine Hand schützend vor die Augen halten musste. Als er mit dem linken Fuß über die Türschwelle trat, wurde das Licht mit einem Mal schwächer. Er senkte seine Hand und sah sich um. Im Zimmer war es deutlich wärmer als in der Stube. Die Fensterläden waren geschlossen und die Lichtquelle stand in der Mitte des Raumes auf einem kleinen Tisch. Es war ein Mörser aus Ton, von dem das rötliche Licht ausging. Kilian schien es, als würde im Mörser ein kräftiges Feuer lodern. Doch er konnte weder Rauch noch flackernde Flammen erkennen. Erst bei genauerem Hinsehen war es ihm, als ob eine glühend rote Flüssigkeit im Mörser die Wärme und das Licht erzeugen würde. Eine Flüssigkeit wie geschmolzenes Metall, dachte er. Da entdeckte er im Schein der Lichtquelle hinter dem Mörser das Gesicht einer alten Frau. Bei ihrem Anblick schreckte er zurück. Sie saß in sich zusammengesunken am Tisch, ihre Augen waren geschlossen. Ein paar weiße Haare hingen ihr bis zur Schulter vom Kopf herab wie Fransen eines Teppichs. Ansonsten war sie kahl. Ihre Gesichtshaut durchzogen tiefe Falten, die Knochen ihres Schädels drückten an allen Stellen durch die dünne graue Haut. Die Frau trug eine schwarze Bluse mit weißen Rüschen am Kragen. Bei ihrem Anblick spürte Kilian einen

Скачать книгу