MordsSchweiz. Christof Gasser
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Читать онлайн книгу MordsSchweiz - Christof Gasser страница 10
Marc kam um halb neun. Ich stellte ihm ein Bier hin. Er war von der Polizei befragt worden. Verschiedenes erschien ihnen ungereimt. Warum war die Frau erschlagen worden, fragten sie sich. Es war kein Raubmord, und auch für ein Sexualdelikt gab es keine Anhaltspunkte. Wo er denn an jenem Abend gewesen sei, hatten sie Marc gefragt. Und warum er erst so spät gemeldet habe, dass seine Frau nicht heimgekommen sei.
Es dauerte eine Stunde, bis die Geschichte draußen war. Marc betrog Madeleine, er hatte eine Freundin. Das hörte ich, ich gebe es zu, mit heimlicher Genugtuung, auch wenn es mich leicht verwunderte. Marc war alles andere als der Typ Herzensbrecher, dem die Frauen zu Füßen lagen. Die Freundin wollte er der Polizei unbedingt verheimlichen, denn sie war von ihm schwanger und drängte ihn zur Heirat. Marc aber wollte sich keinesfalls wieder scheiden lassen, denn seine Frau hatte ein hübsches kleines Vermögen (Sieh an, dachte ich, das hatte er mir verschwiegen), und das wollte er nur ungern gegen ein lärmiges Baby eintauschen, das Geld kostete. Marc war realistisch, ihm war rasch klar, welche Schlüsse die Ermittlungsbehörde aus dieser unkomfortablen Konstellation ziehen würde: untreuer Ehemann, seiner Frau überdrüssig, erschlägt sie, erbt und beginnt ein neues Leben mit einer Jüngeren. An dem Abend hing er in ein paar Spielsalons und Bars herum und ertränkte seine Probleme. Allein. Dass die Freundin schwanger war, wusste er erst seit einer Woche.
Marc rutschte unbehaglich auf meinem Sofa hin und her. Ich ahnte, was kommen würde: Ein Alibi wollte er von mir. Ausgerechnet von mir. Gut, wenn ich es ihm geben würde, wäre das auch ein Alibi für mich. Aber gleichzeitig könnte es mich auch verdächtig machen. Was, wenn es aufflog? Wie sollte ich meine Motivation, ihn zu decken, begründen? Mitleid? Nicht bei einem Mordfall, nicht für einen Mann, der mich drei Jahre zuvor verlassen hatte. Für eben diese Frau. Nein, das war mir zu riskant. Das war nie Bestandteil meines Plans gewesen.
Ich sah Marc in die bittenden Augen und schüttelte langsam den Kopf.
»Edith, nimmst du denn wirklich an, ich hätte es getan?«, fragte er mit erstickter Stimme.
»Ich kann keinen Meineid auf mich nehmen«, sagte ich tugendhaft. »Wie kann sich die Wahrheit herausstellen, wenn eine Lüge am Anfang steht?«
»Ich habe mit diesem Mord überhaupt nichts zu tun«, begehrte er auf. »Ob ich hier lüge oder nicht, spielt nicht die geringste Rolle.«
Ich schwieg.
»Ich weiß, es war gemein, wie ich mich dir gegenüber vor drei Jahren benommen habe«, begann er sich selbst anzuklagen, »ich war eben verliebt. Das war vielleicht ein Fehler. Aber Edith, du kannst doch deswegen nicht wollen, dass ich wegen Mordes verurteilt werde.«
»Wieso gibt deine Freundin dir kein Alibi?«, fragte ich.
Leider hatte sie an dem Abend Besuch gehabt von ihrer Schwester. Wirklich Pech. Da war als letzter Rettungsanker ich ihm eingefallen, und dass wir uns doch immer so gut verstanden hatten. Außer dass er mich verlassen hatte. Wegen dem Geld, das er erben würde, stotterte er, er würde sich natürlich erkenntlich …
»Das Beste ist, du gehst jetzt nach Hause«, unterbrach ich ihn freundlich, aber bestimmt.
Hinterher saß ich ein Weilchen allein im Wohnzimmer, genehmigte mir ein Gläschen Weißen – ich hatte vorher nur Orangensaft getrunken – und ließ mir durch den Kopf gehen, wie wunderbar sich alles fügte.
Marc wurde verhaftet. In den Bars konnte sich niemand an ihn erinnern. Er ist, wie gesagt, von unauffälligem Äußeren, ein Typ, der gern übersehen wird. Dass er die Geschichte mit seiner schwangeren Freundin verheimlichte, bis die Polizei sie selbst entdeckte, machte ihn verdächtig.
Auch ich als seine »Ex« (wie ich diesen Ausdruck hasste) wurde befragt. Was er für eine Persönlichkeit gewesen sei? Ob ich gelegentlich Angst vor ihm gehabt hätte? Ich sprach nicht schlecht über Marc, musste aber, der Wahrheit verpflichtet, doch jenen Abend erwähnen, an dem er mich hatte dazu bewegen wollen, ihm ein falsches Alibi zu geben und mich dafür zu bezahlen. »Aus Verzweiflung natürlich«, wie ich begütigend anmerkte. Auch das sprach gegen Marc.
Nach dieser Befragung, bei der ich glaubwürdig wirkte und, das merkte ich, sympathisch rüberkam, fühlte ich mich beschwingt, fast schon übermütig. Vielleicht war es tatsächlich so, dass ich mich mein Leben lang unterschätzt hatte, dass ich zu viel mehr fähig war, als ich immer geglaubt hatte? Durch die ganze Aufregung der letzten Wochen hatte ich einige Kilos abgenommen, und ich war plötzlich in der richtigen Stimmung, mir ein paar neue Anziehsachen zu kaufen – und zwar etwas anderes als das unscheinbare Mauerblümchenzeug wie sonst. Laura, meine Coiffeuse, war entzückt, als ich ihr Carte blanche gab – und das Ergebnis ließ sich sehen.
Am Tag von Marcs Verurteilung buchte ich abends last minute eine Städtereise nach Nizza und saß am nächsten Morgen im Flugzeug, während mein Ex seine neue Zelle bezog; man hatte ihn vom Bezirksgefängnis in die Strafanstalt überführt.
Nun sitze ich in einer kleinen Bar in der Altstadt, einen Kir Royal vor mir. Ich fühle mich entspannt und glücklich: Ich habe wirklich sehr, sehr gut gearbeitet. Aus dem Augenwinkel nehme ich schon seit einer Weile wahr, dass ein ziemlich attraktiver Mann gelegentlich zu mir herüberschaut.
Der Fall Markovic oder:
In Stein am Rhein macht eine Leiche noch kein Verbrechen
Daniel Badraun
Die Geschichte, die ich Ihnen erzählen möchte, spielte sich vor einigen Jahrzehnten im kleinen Städtchen Stein am Rhein ab, in der Gegend, in der der Rhein den Bodensee, genauer den Untersee, verlässt. Die Altstadt mit der Burg Hohenklingen befindet sich, wie Sie vielleicht wissen, auf der rechten Seite des Flusses. Linksrheinisch gehört noch ein schönes Stück Land in Form eines Rechtecks zum Städtchen. Hier befanden sich damals der Bahnhof, einige Wohnblocks, Einfamilienhäuser und etliche Industriebauten. Dieses Rechteck, das zum Kanton Schaffhausen gehört, wird vom Kanton Thurgau umschlossen.
Wir schreiben das Jahr 1989. Es ist Abend auf dem Posten der Schaffhauser Kantonspolizei in Stein am Rhein. Der Filterkaffee … Die Älteren unter Ihnen wissen vielleicht noch, dass man nicht nur Nikotin durch einen Filter ziehen kann, sondern auch Koffein, was eine für Geschmacksnerven des 21. Jahrhunderts ziemlich ungenießbare Brühe ergibt, an die man sich durch jahrelangen Konsum jedoch gewöhnen kann. Das Kaffeemachen war damals noch eine wirkliche Tätigkeit und brachte Struktur in den Büroalltag. Nicht so wie heute. Da klemmt man eine Kapsel in der Maschine ein, drückt einen Knopf und schon dröhnt der Kaffee in die Tasse.
Aber wo waren wir stehen geblieben? Genau, im Jahr 1989. Die Polizistin Claudia Schwarz hat eben den Filter mit Kaffeepulver gefüllt und stellt nun zwei Tassen bereit, während Postenchef Andi Engeler sorgfältig die Zeitung auf seinem Pult glatt streicht und sich nochmals den Sportresultaten vom Wochenende widmet. Außer dem Glucksen beim Durchlauf des heißen Wassers ist nichts zu hören. Plötzlich zerschneidet das Klingeln des Telefons die Stille. Hiermit möchte ich in Erinnerung rufen, dass es eine Zeit gab, in der man nicht überall angerufen werden konnte, sondern nur dort, wo ein Telefon mittels eines Kabels mit einem realen Netz verbunden war. Die Apparate dienten einzig und allein der Telefonie, der Spaßfaktor bewegte sich gegen Null. Aus Kostengründen rief man nicht einfach irgendjemanden an oder schickte Kussmünder in der Gegend herum, jeder Anruf hatte seinen Grund.
Der Postenchef zeigt auf seine Zeitung, dann auf die Armbanduhr und hebt bedauernd die Schultern. Die Polizistin setzt sich an ihren Schreibtisch und nimmt den Hörer ab.
»Polizeiposten Stein am Rhein, Schwarz am Apparat.«