MordsSchweiz. Christof Gasser

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MordsSchweiz - Christof Gasser

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und machten einer undurchdringlichen Schwärze Platz. Auf dem Land waren die Nächte dunkel und unheimlich. Und wenn, wie jetzt, der Wind aufkam, verkroch man sich vorzugsweise in den Häusern und Wohnungen, machte ein Feuer im Cheminée oder einen Orangen-Punsch und vergaß, dass es ein Morgen gab. Barbara verabscheute diese Jahreszeit. Sie bedrückte sie und holte schreckliche Bilder aus dem Fundus ihrer Erinnerungen. Hans, wie er röchelnd vor ihr zusammensackte, an Silvester vor zwei Jahren, nachdem er aus dem Krankenhaus zurückgekommen war. Jedoch auch die Freude darüber, wie ruhig und selbstbestimmt ihr Leben danach geworden war.

      Anfang Dezember. Der Herbst war vorbei und der Winter noch nicht da. In der Ebene kroch der Nebel und verschwand auch am Nachmittag nicht. Eigentlich wurde es nie hell. Von Süden drückte der Lopper. Die Sonne, wenn sie denn schien, zog ihre Bahn nicht höher als die Kirche, die siebenhundert Meter nördlicher lag. Der erste Schnee haftete auf dem Boden bis zur Grenze, wo der schattige Dorfteil endete. Hier hinten war es immer um zwei Grad kälter als vorn. Der kalte Hauch des Todes wehte durch diesen Landstrich.

      Barbara blieb vor der Tür stehen. Sie hatte den Vorhang vor die Glasscheibe gezogen. Sie vermochte nicht zu sehen, wer draußen stand.

      Wieder polterte es. »Babsi, mach endlich auf. Ich weiß, dass du da bist. Willst du mich in der Kälte verrecken lassen?«

      Cornelia! Nur Cornelia hatte einen so groben Wortschatz, und nur sie nannte sie Babsi. Barbara drehte den Schlüssel um, drückte den Türgriff nach unten. Schon schob sich Cornelia in die Küche. »Bist du taub?«

      »Auch dir einen guten Abend.« Barbara bat ihre jüngere Schwester, sich an den Küchentisch zu setzen. »Etwas zu trinken? Ich kann dir Punsch anbieten.«

      »Ich bin nicht zum Vergnügen hier.«

      »Nicht?« Barbara wunderte sich etwas. In der Regel kam Cornelia zu einem Schwatz und zum Kaffeetrinken vorbei. Manchmal brachte sie Kekse mit. Dann konnte es länger dauern, bis sie wieder verschwand. Cornelia hatte vor einem halben Jahr ihren Mann verloren, nachdem er sich an Salat vergiftet hatte. An Salat. Barbara versuchte, es sich gerade bildlich vorzustellen.

      »Mir müssen etwas unternehmen. Anna geht sonst vor die Hunde.«

      »Das ist nicht unser Problem.« Barbara knetete ihre Fingerknöchel, bis sie weiß wurden.

      »Wir können nicht wegschauen. Sie ist unsere Schwester. Oder hast du vergessen, wie sie uns zusammenhielt, als unsere Eltern starben? Letzthin hat sich Anna bei mir beklagt und ausgeweint. Ihr Mann ist ein brutales Ungeheuer. Seit er pensioniert ist, schikaniert und misshandelt er sie aufs Übelste.« Cornelia legte eine Sprechpause ein, in der sie ihren Blick durch die Küche schweifen ließ. »Alfred sagte mir, dass du das Haus bald verkaufen willst?«

      Natürlich war dies eine Frage und keine Feststellung. Wie kam Alfred dazu, sich mit Cornelia über das Haus zu unterhalten? »Er war also auch bei dir?«

      »Du kennst ihn doch.« Cornelia griff in ihre kurzen weißen Haare. »Er wartet darauf, dass er ernten kann. Nicht umsonst hegt und pflegt er seine zwei Tanten.«

      »Solange ich noch einigermaßen gehen kann, muss er sich das abschminken.«

      »Ja, ja, die Männer … Ohne sie wäre alles viel einfacher.« Barbara entfuhr ein tiefer Seufzer. »Du kannst froh sein, dass dein Hans vor Jahren das Zeitliche gesegnet hat.«

      »Auf Hans lasse ich nichts kommen. Er war ein anständiger Mann.« Und ein hinterhältiger, aber das sagte Barbara nicht laut. Noch ließ sie ihre jüngere Schwester im Glauben, dass er eines natürlichen Todes von ihnen gegangen war.

      »Er hat es mit seiner jungen Therapeutin getrieben.« Cornelia plusterte sich auf. »Jetzt kann ich es dir ja sagen: Der Kerl hat dich nach Strich und Faden betrogen.«

      »Mich nimmt wunder, wie.« Barbara verdrängte die Bilder, die sich in ihren Kopf einnisteten. Hans und die Frau, die seine Tochter hätte sein können. Immer mittwochs hatten sie sich im Sportzentrum getroffen, zur Massage, wie Hans ihr versichert hatte. Barbara hatte großzügig über diese Schwärmerei hinweggesehen. Sie hatte ihren Mann und seine Gebrechen gekannt. Er war ein bellender Hund gewesen, der nicht biss.

      »Wir sollten Annas Mann beseitigen. Selbst wird sie es nicht bewerkstelligen können. Sie kann sich kaum bewegen.« Cornelia sagte es so beiläufig, als würde sie über das Wetter sprechen oder ihr sagen, dass es am nächsten Sonntag Braten mit Kartoffelstampfer gab.

      »Du meinst, mit Salat?«

      »Wie kommst du da drauf?« Cornelias Augen weiteten sich. Dann griff sie mit beiden Händen an die Schläfen. »Ach, das …« Sie lachte verschmitzt. »Berni sagte immer, man könne alles essen, was auf den Teller kommt. Schließlich war er ein begnadeter Koch … nur eben blind auf dem linken Auge. Ich habe ihn bloß beim Wort genommen. Er liebte Enziane. Ich kann nichts dafür, dass ich die Blüte mit dem Blauen Eisenhut verwechselt habe.«

      »Da besteht aber ein frappanter Unterschied.«

      »Du kennst meine Sehschwäche. Ich kann Hans nicht von Heiri unterscheiden. Wie sollte ich da den Unterschied zwischen Enzian von Blauem Eisenhut kennen?«

      Heiri, Annas Mann, besaß einen Schrebergarten außerhalb des Dorfes. Obwohl es genügend Umschwung um ihr Haus gab, hatte er darauf bestanden, einen Garten zu bewirtschaften. Anna war darüber nicht begeistert gewesen. Sie selbst hatte keinen grünen Daumen, saß lieber auf dem Balkon, löste Kreuzworträtsel und aß Maiskuchen und Schokoladenpudding.

      »Sag nicht, dass Heiri dir mal den Hof gemacht hat.« Barbara verwunderte nichts mehr. Cornelia war bekannt dafür gewesen, den Männern den Kopf zu verdrehen. Als sie jung gewesen war, hatte sich die gesamte männliche Nachbarschaft in sie verguckt. Von der einstigen Schönheit war nicht viel übrig geblieben. Dafür hatte sie an Boshaftigkeit zugelegt. Und etwas abgründig Mörderisches erhalten. Barbara traute ihr nicht. Sie war hier, weil sie etwas Schreckliches ausheckte. Aber sie würde es nicht allein durchziehen können. Cornelia brauchte Barbara. Wahrscheinlich für ihr Alibi.

      »Wann hast du Anna zum letzten Mal gesehen?« Cornelia rutschte auf dem Stuhl hin und her, was ein seltsames Geräusch verursachte.

      »Ich sehe sie jeden Tag. Sie steht meistens am Fenster und schaut durch die fadenscheinigen Vorhänge. Eigentlich steht sie dort ununterbrochen. Mich nimmt wunder, wann die kocht.«

      »Hast du dich zeitnah mit ihr unterhalten?«

      »Du stellst Fragen. Natürlich nicht. Ich müsste mich sonst zusammenreißen, um ihr nicht ins Gesicht zu sagen, wie schrecklich ich unseren Schwager finde. Und stell dir vor, er hat jetzt eine …« Barbara suchte nach dem seltsamen Wort, »Hartbox gekauft.«

      »Genau um die geht es.« Cornelia erhob sich, schritt zum Fenster, auf dessen Doppelscheiben sich ein Fragment der Wohnküche spiegelte. »Die Box sieht aus wie ein Sarg. Dieser Vergleich hat mich erst auf die Idee gebracht.«

      »Das hat schon Alfred gesagt … das mit dem Sarg. Was meinte er damit?«

      »Denk doch mal nach. Wir legen Heiri um und transportieren ihn in der Hartbox aus dem Dorf. Niemand käme auf die Idee, darin eine Leiche zu vermuten. Wenn du mich fragst, hat sich Heiri mit dem Kauf der Box sein eigenes Grab geschaufelt.«

      »Und wo, bitte schön, willst du ihn hinbringen?« Barbara graute vor dem Gedanken. Cornelia würde den Leib kaum aus eigener Kraft in diese Schale hieven können. Dazu brauchte es vier starke Arme. Ihre nicht mit eingerechnet.

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