Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 18
Die Herzogin konnte sich nicht genug wundern.
»Das Volk bleibt ein Rätsel. Offenbar ist es gewöhnt, ausgebeutet zu werden, und will keine Gerechtigkeit. Wieviel durfte es früher vom Ertrage seiner Arbeit behalten?«
»Kaum ein Zwanzigstel.«
»Ich überlasse ihm die Hälfte, und es wirft mit Steinen. Was würde es tun, wenn ich ihm das Ganze schenkte?«
Rustschuk lächelte geistvoll:
»Hoheit, das wäre unser aller Tod.«
Bei dem von den weggeschickten Beamten in der Presse erregten Sturm spritzte manches schmutzige Wasser auf. Neugierige Zeitungsmenschen, die, von ihren Rädern mit Kot besprengt, in die Tiefe ihres Wagens danach lugten, welche Boutons sie heute trage, nannten die Herzogin von Assy eine Deklassierte. Ihr Umgang mit Pavic und Rustschuk deklassiere sie. Pavic beging die Ungeschicklichkeit, sie deswegen um Entschuldigung zu bitten. Sie hob die Schultern:
»Welches ist denn meine Klasse?«
Sein eigener Verkehr konnte ihr unmöglich Schande bringen, davon war Pavic überzeugt. Bezüglich ihres Verhältnisses zu Rustschuk stand seine Meinung nicht ganz so fest. Er stellte ihr anheim, einen andern Finanzier zu berufen, zum Beispiel den entlassenen Generalpächter; damit wäre manches wiedergutzumachen. Sie zeigte sich nicht geneigt.
»Ich will alles tun, was ich zum Wohl des Volkes gutfinde. Aber was kümmert es das Volk, mit was für Leuten ich mich umgebe?«
Sie wies auf den hohen, schlanken Hund, der sie gelassen ansah.
»Soll ich mir den Charmant wegnehmen lassen? Ebensowenig darf das Volk verlangen, daß ich meinen Hausjuden abschaffe.«
Er sollte sie noch manches kosten. Rustschuk hatte eine Mätresse vom Theater, und diese hegte den Wunsch, ihren rechtmäßigen Gatten, einen beliebten Schauspieler, im Irrenhaus zu sehen. Der Finanzmann wußte dies den Ärzten einleuchtend zu machen. Unglücklicherweise sickerte es einige Zeit später ans Licht, daß der internierte Mime vollständig gesund war. Beate Schnaken, vom Schicksal des Kollegen gerührt, enthüllte ihrem königlichen Freunde alle dunklen Machenschaften. Die Befreiung des Opfers und sein erstes Auftreten auf der Hofbühne ward ein Triumph für sie und für das regierende Haus, eine Niederlage für die Herzogin. Ein antisemitisches Stück wurde aufgeführt, in dem der Zurückgekehrte die Rolle des zwangsweise Geisteskranken spielte. Der Intrigant trug die Maske des Rustschuk, und es fielen böse Andeutungen über eine hohe Dame, die hinter dem allen stecke. Das Volk jubelte fünfzig Abende hintereinander auf vollen Bänken; es war ein umfangreicher Skandal. Beate, die edle Retterin, wurde stürmisch begrüßt bei jeder Ausfahrt. Die Herzogin begegnete überall kalten Blicken, und Rustschuk, der sich nirgends sehen lassen durfte, stellte betrübte Berechnungen darüber an, welche Unsummen nötig sein würden, diese Kälte zu besiegen.
Pavic arbeitete wie ein Besessener; doch die Polizei hatte Mut gefaßt, sie schloß ihm den Mund. Er hörte wieder wie ehemals in der Ferne ein Kerkertor knarren. Auch die Soldateska zeigte gewalttätigere Neigungen. Im Winter kam es in der Nähe von Spalato zu einer förmlichen Schlacht. Die Rache der Pächter hatte dort Hungersnot bewirkt. Das wütende Volk ging mit Sensen und Bratspießen dem Militär zu Leibe. Dieses verlor einige fünfzig Mann, aber es tötete oder verwundete die doppelte Anzahl Bauern.
An einem Sonntag kam die Kunde nach Zara. Der Himmel hing düster herunter. Es fuhren fast keine Wagen in den Straßen. Eine schwarz gekleidete Menge schob sich zwischen den Häusern fort und flüsterte nur; man vernahm das Rauschen der Brunnen. Der Scirocco schlich faul, schwül, mutlähmend über den Köpfen hin.
Unversehens, wie nach schweigender Übereinkunft, gelangten alle auf die Piazza della Colonna und blieben dort versammelt, still, traurig und widerspenstig. Plötzlich stand Pavic auf einem umgestürzten Handwagen, mit dem Rücken an der zweitausendjährigen Säule, und begann zu sprechen. Zum zweiten Male seit vielen Wochen begleitete wieder das Murmeln erregbarer Gemüter seine Worte. Er fühlte wieder die Herzen der Seinigen ihn warm umzittern und war glücklich. Da kam im Laufschritt durch die engen Gassen eine Infanteriekolonne daher. Am Eingang des Platzes machte sie halt, pflanzte die Bajonette auf und rückte langsam vor. Das Volk wich zurück, quoll zur Seite auseinander und zerstreute sich in die Straßen. Nur um die Säule herum staute sich ein Haufe, vom Militär eingeschlossen, durch die Rednertribüne behindert. Die hereindringenden Stoßeisen warfen alles um. Eins richtete sich drohend gegen die Brust eines ratlosen Alten. Es war der Vater eines dort unten erschlagenen Kriegers, er sah noch nichts vor den Tränen, die Pavic' Rede ihm in die Augen getrieben hatte. Er schien verloren. Pavic beschwor, die Hände ringend, laut seine Angreifer. Aber er verstand, was die blaß zu ihm erhobenen Gesichter von ihm verlangten. »Rette den Alten!« stand auf allen. Er fuhr zurück: sein Blick hatte den der Herzogin getroffen. Sie lehnte in ihrem Fensterrahmen und sah ihn starr an. Sie öffnete den Mund und schrie Worte, die in einem Angstruf des Volkes untergingen. Pavic kannte dennoch jedes von ihnen: »Spring hinab! Decke den Alten!« so befahl sie. Der Alte lag schon am Boden, mit etwas Blut auf dem zerrissenen Hemd. Pavic, leichenfahl, griff sich ans Herz. Dann drang eine jähe Purpurröte durch seine zarte Haut. Hastig kletterte er von seinem Piedestal, erfaßte den Knaben, der hinter ihm an der Säule kauerte, und verschwand im Portal des Palais Assy.
Rustschuk ward inmitten einer Rotte Zuschauer von zwei grinsenden Unteroffizieren festgehalten. Sein Bauch schlotterte; er wies mit peinvoll zappelnden Gliedern, den harten Hut im Nacken, auf den vorübereilenden Tribunen, plappernd in übermäßiger Angst:
»Der dort hat alles allein getan, glauben Sie mir doch, meine Herren! Ich bin ein schlichter Kaufmann ... Überhaupt habe ich mit der Dame gar nichts zu tun!«
Pavic stieg langsam, gesenkten Hauptes die Treppe hinauf. Ihm war es zumute, als stellte er sich nach einer Schandtat dem Gericht. Der Alte hatte geblutet! Pavic erschauerte tief, sobald er es sich vorstellte. Er gedachte der Herren Paliojoulai und Tintinovitsch, jener durchgeprügelten Eindringlinge. Oh, er hatte es nicht, wie die Herzogin meinte, eigenhändig getan. Er hatte es niemals übers Herz gebracht, ihr zu gestehen, daß sein Diener es gewesen war, ein riesiger Morlak, der die feinen Hofleute windelweich schlug. ›Ja, als sie gingen‹, so dachte Pavic, verloren in einem Bilde des Entsetzens, ›da troff es rot von ihren Stirnen!‹
»Und ich bin doch ein starker Mann!« murmelte er vor der Tür des Boudoirs. Sie kam ihm rasch entgegen. Er sagte unsicher:
»Hoheit, es ist nur ein Opfer zu beklagen.«
»Nein zwei: der Bauer und Sie!«