Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann

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Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann

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sind Christen, wir verlangen nach Gnade.«

      Die Herzogin erwiderte:

      »Nicht Gnade. Ich bin für Gerechtigkeit.«

      Sie sprach nichts weiter. Sie versuchte darüber zu lächeln, wie heute alles so tragisch erscheinen wollte, doch beängstigte sie diese Stunde, die schwanger aussah von Fremdartigem. Sie mochte sich nicht umsehen nach dem Manne neben ihr.

      Pavic dachte zurück an den armen Studenten, der zu Padua scheu und gedrückt als Angehöriger der unterworfenen Rasse umhergegangen war. »Jetzt halte ich euch!« so frohlockte er. »Denn für mich habe ich die Herzogin von Assy.« Er dachte an den wunden Ehrgeiz des kleinen Advokaten, dem man zuweilen einige kühne Worte erlaubte. Dann zogen die Gewalten das Seil an; er hungerte, er saß im Kerker, er hörte seine Drohungen verlachen. Heute lag das Atlasfutter seines schwarzen Havelocks über einem in Wien gefertigten Salonrock. Wo er vorbeikam, ward man tiefernst, denn er lehnte im Wagen der Herzogin von Assy. Was war in diesem Augenblick noch unmöglich? Ah! schon manche Frauen, auch schöne, auch reiche, waren, von seiner Rede im Blute aufgepeitscht, zu ihm geschlichen, bettelnd um das Almosen einer Umarmung. Es ward ihm plötzlich sehr heiß in den Augen, er meinte die Besinnung zu verlieren und sprach es sich zum ersten Male aus, er begehre die Herzogin von Assy.

      Den ganzen Weg entlang ruhte Pavic im Gefühl seiner seltenen, romantischen Persönlichkeit. Er bebte und schmolz darin.

      Bei ihrer Ankunft gingen sie sogleich zu Tische. Nach der geleisteten schweren Lungen- und Muskelarbeit aß und trank der Volkstribun stark. Die Herzogin sah in die Kerzen. Später, in ihrem Zimmer, kam er, satt und sanguinisch, auf den Triumph des Tages zurück. Er wiederholte ihr einzelne Glanzstellen, und die Huldigungen, die ihnen gefolgt waren, rauschten ihr wieder im Ohr. Sie sah ihn aufs neue, ragend groß in furchtbarer Stellung von jagenden Wolken abgehoben, ein Held, gegen den sie keinen Einwand wußte, ein Held, staunenswert und übermächtig. Nun jubelte und befahl er zu ihren Füßen; seine stolzen Freiheitsrufe stiegen zu ihr herauf aus seinen feuchten, roten, verlangenden Lippen.

      Und endlich, zwischen zwei Liebeserklärungen an sein Volk, bemächtigte er sich ihrer. Das Sofa, auf dem es geschah, trug mitten über seine Lehne eine große goldene Herzogskrone. In den Sekunden seiner Seligkeit hafteten Pavic' Gedanken unverwandt an dieser Herzogskrone.

      Gleich darauf packte ihn namenloses Staunen über das, was er gewagt hatte. Er stammelte:

      »Dank, Hoheit, Dank, Violante!«

      Und sich selbst rührend, immer inniger:

      »Dank, Dank, Violante, daß du das für mich tatest! Herrliche, gütige Violante!«

      Aber ihr Blick floh, von blauen Schatten umzogen, teilnahmlos an ihm vorbei. Ihr Haar war in Unordnung geraten; es hing in starren, dunkeln Wellen um das erschreckend bleiche Gesicht. Sie stützte sich mit hart gestreckten Armen auf den Polsterrand. Ihre spitzen Finger zerrissen den gewirkten Stoff. Pavic wand sich in Angst und Reue: ›Was habe ich getan!‹ schrie er sich selbst zu. ›Ich bin nur ein Vieh! Jetzt ist alles verloren!‹ Er verdoppelte seine Anstrengungen:

      »Verzeih mir, Violante, verzeih! Ich bin ja nicht schuldig, es ist das Schicksal ... Jawohl, das Schicksal, das mich dir zu Füßen warf. Ich soll dir dienen ... Wie will ich dir dienen! Violante! Ich will den Staub von deinem Saume küssen und sterbend den Kopf unter deine Absätze legen, Violante!«

      Er rang, berauscht von den eigenen Worten, um einen ihrer Blicke. Sie strich sich, nach langen Minuten, mit zwei Fingern über die Stirn und sagte:

      »Lassen Sie mich, ich möchte allein sein.«

      »Du verzeihst mir nicht? O Violante, sei gnädig!«

      Sie zuckte die Achseln. Er flehte mit Tränen in der Stimme:

      »Nur ein Wort, daß du mich nicht verdammst! Violante! Du verdammst mich nicht?«

      »Nein, nein.«

      Sie wendete, unfähig, den Auftritt länger auszuhalten, den Hals hin und her.

      »Gehen Sie jetzt.«

      Er ging endlich, mit schwerem Tritt, weichen Gliedern, aufgelöst in Gefühl und immerfort murmelnd:

      »Dank ... Verzeih ... Verzeih ... Dank.«

      Sie begab sich sogleich in ihr Schlafzimmer. Sie schickte die Kammerfrau hinaus und begann, selbst sich zu entkleiden. Nach dem Erlebten war jede Berührung mit einer menschlichen Haut ihr widerlich. Aber ihre Hände waren schlaff; sie verlor sich immer wieder in Gedanken. Ihre Verwunderung war so mächtig wie seine, doch ganz unvermischt mit Genugtuung.

      Also das war alles? Das war alles, was sie hatte erfahren sollen? »Ich wollte lieber, ich hätte es nicht erfahren ... Übrigens ist es zum Lachen.« Sie wollte den Mund verziehen, aber in die Kehle stieg ihr eine Übelkeit. Dann fiel ihr ein, daß Pavic sie immerfort Violante genannt hatte. Wie kam er dazu? Bildete er sich auf das Geschehene etwas ein? Solch ein untergeordneter Vorgang, gab er denn ein Recht zu Zärtlichkeiten der Rede und zu seelischem Nahekommen?

      Sie zerrte an ihren widerspenstigen Hüllen, sie warf, was ihr in den Händen blieb, auf einen Haufen von Musselin und Seidenstoffen, am Fußende ihres Bettes von flüchtigen Dienerinnen zurückgelassen. Plötzlich entstand darunter eine Bewegung. Die Herzogin ging rasch darauf zu. Es raffte sich etwas daraus hervor, eine kleine abenteuerliche Gestalt, die mit ihrem Degen in den Tüchern hängenblieb. Schließlich stand vor ihr Prinz Phili, in Trikots, Barett und blauem Atlaswams, mit dicken goldenen Blumen auf dem weißen, hermelingefütterten Kragen. Er hatte große Furcht.

      »Da bin i schon«, flüsterte er.

      Ihre nervöse Überreiztheit entlud sich:

      »Wie kommen Sie hierher? Trachten Sie doch, gleich wieder zu verschwinden!«

      »Sie nehmen es also doch übel?« fragte er. »Der Percossini hat mir ja auch gesagt, Sie würden's übelnehmen, aber konnte ich denn anders? Warum haben's mich nie vorgelassen, Frau Herzogin, und meine Frau haben's auch nicht mehr besucht, Sie Schlimme.«

      »Entfernen Sie sich! Ich lasse die Prinzessin benachrichtigen.«

      Phili war bestürzt.

      »Verzeihung, o bitte! Der Percossini hat gemeint, Sie würden nichts sagen ... Das wenn ich gewußt hätt!«

      »Hinaus!«

      »Erst verzeihen's mir, Frau Herzogin. Verzeihung, o bitte!«

      Sie warf den Kopf in den Nacken. Sollte dasselbe Spiel von vorne anfangen? Sie trat auf den Thronfolger zu und faßte ihn hart um beide Handgelenke.

      »Ich werde Sie in meinem Wagen nach Hause fahren lassen, mit einem Billett an Ihre Frau. Hören Sie?«

      Der warme Duft ihres geöffneten Corsage machte Phili schwach. Er knickte, fahl, ins Knie und hing nur noch an ihren Händen. Er bettelte:

      »Sein's doch nit so bös, liebste Herzogin, Sie wußten doch, ich wollt Sie schon längst besuchen als Don Carlos. Aber die Weiber haben mi nimmer ausgelassen. I war schon ganz hin und hab mir gedacht: Jetzt wenn du zu ihr gehst, fällst am End ab, und aus is. Neuerdings bin i wieder stramm, und da werd i außig'lahnt ...«

      Sie drängte ihn zur Tür. Kaum losgelassen, fiel er weich hin wie

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