Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 11
»Nein, ich halte es nicht für möglich, alle Klagen vermittelst Prügel zu beseitigen. Aber beseitigt müssen sie werden. Ich werde sogar schon in allernächster Zeit eine Suppenküche eröffnen lassen. Baron Percossini hat von meinen diesbezüglichen Weisungen Notiz genommen.«
Der Kammerherr verneigte sich.
»Am nächsten Mittwoch beginnen wieder unsere Strickabende bei den Dames du Sacré-Cœur. Samstag ist dann an den jungen Mädchen die Reihe. Bitte, sich daran zu erinnern, meine Damen. Das Volk soll Suppen und wollene Westen erhalten, das ist mein fester Wille. Ferner das Geistige. Wir sind jetzt ja allerdings katholisch ...«
»Allerdings«, bestätigte schnarrend von Hinnerich.
»Trotzdem, meine ich, könnten wir einen Bibelverein gründen. Sie gehen doch fleißig mit den Sammellisten für die Friederiken-Versöhnungskirche umher, meine Herren Paliojoulai und Tintinovitsch? Vergessen Sie nicht den Baron Rustschuk; diese Juden können geben.«
Die künftigen Croupiers rollten weiße Blicke gen Himmel.
»Und die Feste?« äußerte Prinzessin Fatme, die unvermutet im Lichtkreise der Kerzen erschien.
»Wo bleiben die Wohltätigkeitsfeste, liebste Friederike? Ein Basar, eine Weihnachtskrippe, nicht wahr, so nennt ihr das? Beate Schnaken verkauft Puppen; die Schnaken kleidet reizend Puppen an. Ich habe eine türkische Konfiserie. Mesdames Paliojoulai und Tintinovitsch ...«
»Und ein Ball!« bat Frau Tintinovitsch.
Fatme war schmerzlich berührt.
»O nein, kein Ball!«
Sie watschelte mit kurzen Beinen unbehilflich auf Friederike von Schweden los und fiel ihr plump um den Hals.
»Bitte, du Süße, kein Ball!«
Die Prinzessin tröstete sie.
»Liebste, auch ich halte nichts vom Tanzen. Dagegen werde ich den Polizeidirektor veranlassen, daß er die Wirtshäuser um neun Uhr schließt. Ferner denke ich auf die Frauen einzuwirken, daß sie nicht mehr aufs Rad steigen, sondern Kompotte einmachen, was ich für sittlicher halte. Überhaupt muß die Unsittlichkeit aufhören. Das wäre, denke ich, alles. Oder sollte ich noch etwas vergessen haben?«
Niemand hatte Ergänzungen zu machen.
»Es ist ganz gut, liebe Herzogin, daß Sie mich heute abend auf die Sache gebracht haben. Einmal muß die soziale Frage doch aus der Welt kommen.«
So schloß die Prinzessin, merklich gereizt.
Die Gattin des türkischen Gesandten schlug sich klatschend vor die üppige Brust, sie machte ein unsäglich verwundertes Gesicht.
»Ich begreife gar nicht, was ihr euch für unnütze Mühe gebt, ihr seid doch zu unerfahren. Hört einmal, wie mein Mann es gemacht hat, als er in Kleinasien Pascha war. Die Christen kamen von den Feldern, es waren auch Gläubige dabei, und alle hatten nichts zu essen und waren schrecklich aufgebracht. Mein Mann ließ ihnen sagen, er habe Mehl die Menge, sie sollten nur in den Hof des Kastells kommen. Sie kamen; und kaum waren alle zwischen den hohen Mauern eingepfercht, da ließ mein Mann die Tore schließen, und von oben herab –«
Fatme lachte zwischen den Worten. Ihre Erzählung war ein kindliches Gezwitscher.
»– von den Mauern herab wurden sie alle massakriert. Haha! Massakriert.«
»Oh! Oh!« machten die Damen Paliojoulai und Tintinovitsch, und in ihren Seufzern mischten sich Grauen und Verlangen.
»Sie drängten sich und schrien wie Schweine auf einem zu engen Fleischerwagen, wenn eins nach dem andern vom Fleischer herabgeholt wird.«
Die Prinzessin lächelte nachsichtig.
»Nein, du Gute, das würde bei uns doch viel zuviel Anstoß erregen.«
Von Hinnerich trat geräuschvoll von einem Fuß auf den andern.
»Leider!« schrie er plötzlich, dunkelrot im Gesicht. Der preußische Major war begeistert von der Anekdote der Haremsdame.
»Es bleibt bei den Suppen und den wollenen Westen«, so entschied Friederike von Schweden.
»Nicht wahr, meine liebe Herzogin von Assy, Sie übernehmen bei einem meiner guten Werke den Ehrenvorsitz. Sie interessieren sich doch auch für die Lösung der sozialen Frage?«
»Königliche Hoheit, ich habe noch nicht daran gedacht. Möglichenfalls fällt es mir einmal ein ...«
Man erstaunte auf allen Seiten.
»Aber warum geben Hoheit sich alsdann mit dem Pavic ab?«
»Warum waren Sie drüben bei den Morlaken?«
»Zweimal schon?«
»Weil ich mich langweilte«, erklärte die Herzogin. »Da dachte ich an das Volk. Denn das Sonderbarste, was ich im Leben kennengelernt habe, ist das Volk. Sooft ich ihm begegnet bin, ist es mir ein Rätsel gewesen. Es gerät nämlich in Wut über Dinge, die ihm vollständig gleichgültig sein könnten, und glaubt an Dinge, die eigentlich nur ein Verrückter für wahr halten kann. Wenn man ihm einen Knochen hinwirft wie einem Hunde – und wo ist denn der Unterschied? –, so frißt es ihn zwar, wedelt aber nicht mit dem Schweife. Ah! Das hat mich immer am meisten neugierig gemacht. So glaube ich auch nicht, daß mit Suppen und wollenen Westen alles erledigt wäre ...«
»Da irren Hoheit«, sagte überlegen die Prinzessin. »Da irren Sie ganz entschieden.«
Die Herzogin sprach weiter:
»Der Kaiser Napoleon war um sein Volk sehr besorgt. Paris blühte und ward immer fetter. Ich glaube kaum, daß es dort viele Leute ohne Suppe und wollene Weste gab.«
Jemand stöhnte:
»Ah! Paris!«
»Dennoch tobte das Volk unter Krämpfen in diesen überflüssigen und unvernünftigen Krieg hinein. Auf unsern Reisen ist mir manches aufgefallen, doch nichts so sehr wie jener schwarze Tumult und daraus hervorschreiend im gelben Licht der Gasflammen die bleichen, schwitzenden Gesichter: ›Nach Berlin!‹«
»Ah! Paris!«
»Und Hoheit, Sie, die alles bis zuletzt miterlebt haben, können uns aufklären: wo ist Adelaide Troubetzkoi geblieben?«
»Und d'Osmond?«
»Und die Komtesse d'Aulnaie?«
»Und die Zozie?«
Die Herzogin zuckte die Achseln.
»Die kleine Zozie soll einen Kommunard lieben. Sie steht in den Straßen auf umgeworfenen Schränken und Omnibussen und lädt Flinten.«
»Quelle horreur! Auf den Marquis de Châtigny folgt ein Kommunard!«
Madame Paliojoulai