Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 8
»Das ist Pavic, unser Retter, unser Väterchen, unser Brot und unsere Hoffnung!«
Die Herzogin ließ sich sagen, was es bedeute. Dann betrachtete sie den Herrn; sie hatte von ihm gehört. Er stellte sich vor:
»Doktor Pavic.«
»Ich bin gekommen, Hoheit, Ihnen zu danken. Ihnen ist gedankt, denn Sie wissen: ›Was ihr dem ärmsten meiner Brüder tut, das tut ihr mir.‹«
Sie verstand ihn nicht, sie dachte: ›Mir? Wem denn? Ich habe ja überhaupt niemandem etwas tun wollen.‹ Da sie nichts erwiderte, setzte er hinzu:
»Ich spreche, Hoheit, zu Ihnen im Namen dieses unmündigen Volkes, dessen Menschwerdung ich mein ganzes Leben geweiht habe. Mein ganzes Leben«, wiederholte er mit Hingebung.
Sie erkundigte sich:
»Was ist es mit diesen Leuten? Ich möchte etwas über sie wissen.«
»Dies arme Volk, es liebt mich sehr. Sie bemerken, Hoheit, wie dicht es mich umdrängt?«
Sie hatte es bemerkt: das Volk roch übel.
»Ah! Um mich spinnt sich ein gutes Stück Romantik!«
Er breitete die Arme aus, den Kopf im Nacken, daß der schöne breite Bart keilförmig in die Luft stand. Sie erklärte sich seine Gebärde nicht ganz.
»Wenn Sie wüßten, Hoheit, wie das süß ist: vom Hasse einer Welt umtobt, sich auf einen Wall von Liebe zu stützen.«
Sie erinnerte ihn:
»Und das Volk, das Volk?«
»Es ist arm und unmündig, darum liebe ich es, darum schenke ich ihm meine Tage und meine Nächte. Die Umarmungen eines Volkes, Sie mögen mir glauben, Hoheit, sind heißer, sind weicher und beglückender als die einer Geliebten. Ich entreiße mich ihnen manchmal, zu langen, einsamen Fußwanderungen durch mein trauriges Land.«
So schloß er, stiller und getragener.
Er war entschieden von der Darlegung der eigenen Persönlichkeit nicht abzulenken. Sie hatte die Lippen zu einem spöttischen Wort geöffnet, aber sein Organ, dies erstaunliche Organ, das dem Könige und seiner Regierung Furcht einflößte, bezwang ihren Widerspruch. In seiner Stimme schmolz Liebe, die Liebe zu seinem Volk, wie eine köstliche Dragée. Ein Duft, fade und berauschend, entströmte seinen leersten Worten, ein ihr peinlicher Duft; aber er wirkte auf sie.
Einige Schritte landeinwärts äußerte sie:
»Sie sind ein Tribun? Man fürchtet Sie sogar?«
»Man fürchtet mich. O ja, ich glaube wohl, daß jene vornehmen Herren mich fürchten, die damals, als ich die schamlosen, verworfenen Sitten des Thronfolgers nach Verdienst öffentlich gebrandmarkt hatte, in mein Haus gedrungen sind.«
»Ach, wie ist das abgelaufen?« fragte sie, begierig auf Geschichten.
Er blieb stehen.
»Sie mußten sich in der nächsten Apotheke die Köpfe verbinden lassen. Die Polizei vermied es ängstlich, sich einzumischen«, sagte er kalt und ging weiter.
Er gab ihr zehn Sekunden zum Nachdenken; dann hielt er wieder an.
»Aber niemand, der ein gutes Gewissen besitzt, braucht mich zu fürchten. Man weiß ja gar nicht, wie weich ich bin, wieviel von meinem Zorn aus einer zu zärtlichen Seele kommt, und wie dankbar und treu ich dem Mächtigen, Frau Herzogin, wäre, der für meine Sache seine Hand erhöbe.«
»Und Ihre Sache?«
»Ist mein Volk«, sagte Pavic und setzte seinen Weg fort.
Sie wanderten über spitze Kiesel. In einem armseligen Acker standen gebückte Gestalten, sie warfen unablässig, mit immer gleichen Bewegungen, Steine auf die Straße hinaus. Der Weg lag voll, und das Feld ward nicht leer. Ein Bauer sagte:
»So werfen wir das ganze Jahr. Gott weiß, wo der Teufel all die Steine hernimmt.«
»Das ist auch mein Los«, versetzte Pavic sofort. »Jahrein jahraus schleudere ich Ungerechtigkeit und Frevel an meinem Volk aus dem Acker meines Vaterlandes – aber Gott weiß, woher der Teufel immer neue Steine nimmt.«
Die Öffnung einer Lehmhöhle klaffte. Die Herzogin trat, um dem immer nachdrängenden Volke auszuweichen, auf die Schwelle. Ungeheure irdene Krüge ragten in den Ecken, auf dem Boden von hartgestampfter gelber Erde. Durch den schwarzen Raum zog der Geruch von gebratenem Öl. Vor dem schwelenden Feuer eines feuchten Reisigbündels froren drei Männer in braunen Mänteln. Einer sprang auf und kam mit einem tönernen Gefäß auf die Gäste zu. Die Herzogin wich hastig zurück, aber der Tribun ergriff den Weinkelch.
»Das ist der Saft meines Mutterbodens«, sagte er zärtlich und trank.
»Das ist Blut von meinem Blut.«
Er verlangte ein Stück Maisbrot, zerbrach es und teilte mit den Umstehenden. Die Herzogin sah einem großen Seevogel zu, der kreischend durch die Nacht der Höhle flatterte. Eine kleine Natter ringelte sich auf dem Tisch.
»Wahrscheinlich ist mir jetzt alles vorgeführt«, sagte die Herzogin. Sie wandte sich wieder dem Ufer zu.
»Sie wollen zur Stadt, Herr Doktor, und haben kein eigenes Boot? Steigen Sie bitte in meines.«
Er nahm einen Knaben mit hinein, ein kränkliches Wesen mit schwachen Augen, weißen Ringellöckchen und von käsiger Farbe.
»Sie haben einen Knaben bei sich?«
»Es ist mein Kind. Ich habe es sehr lieb.«
Sie dachte: ›Das brauchte nicht gesagt zu werden. Und mitzunehmen brauchte er es auch nicht.‹
Nach einer Pause fragte sie:
»Sie werden doch Pavese genannt?«
»Ich habe mich so nennen müssen. Ohne die Sitten und sogar die Namen unserer Feinde anzunehmen, können wir in unserm eigenen Lande nicht gedeihen.«
»Wer, wir?«
»Wir ...«
Er errötete. Sie bemerkte, daß er eine eigentümlich zarte Haut und rosige Nüstern hatte.
»Wir Morlaken«, ergänzte er rasch.
›Morlaken?‹ dachte sie. So nannte man also jene Bunten, Schmutzigen dort drüben. Das war also ein Volk. Sie hatte es für eine namenlose Herde gehalten. Sie vergewisserte sich:
»Und die Leute am Strande, das waren wohl auch –«
»Morlaken, Hoheit.«
»Warum verstehen sie nicht Italienisch?«
»Weil es nicht ihre Sprache ist.«
»Ihre Sprache?«
»Das Morlakische, Hoheit.«
Also