Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
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Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 12
»Aber die Friederike hat noch gerade einen Hut erwischt. Sie, Frau Herzogin, den müssen's sehen!« rief erregt Prinz Phili.
Plötzlich schrien alle durcheinander. Die Damen wiesen mit hastigen Griffen ihre Fächer, ihre Spitzen, ihre Armbänder vor. Percossini versuchte, eifrig plaudernd, gemeinsame Erinnerungen an festliche Tage in der Herzogin wachzurufen. Der Prinzessin farbloser Kopf bekam einen rosa Hauch. Paliojoulai und Tintinovitsch mahnten einander mit männlich zurückgedrängter Wehmut an gewisse Spiellokale, die sie beide kannten, und an die ihnen beiden vertrauten Alkoven gewisser Damen. Der Name Paris elektrisierte ihre in der schweren Luft einer weit entlegenen Provinz ermatteten Herzen. Die Lichtstadt ließ hierher an ein fernes Meer ihren Nimbus leuchten als ein Märchen, als eine Fabelsehnsucht. Sie ward unter diesen östlichen Menschen genannt, und es war, als wenn die Kinder des Westens Geschichten lauschten von Tausendundeiner Nacht. Und kaum von einer Pariser Reise heimgekehrt, dachten zur Bezahlung der nächsten diese Damen an ersparte Mittagessen und nicht erneuerte Unterkleidung, diese Kavaliere an Totalisator und Bakkarattische, diese Fürsten an das Volk.
Prinzessin Fatme hob mit der Anstrengung eines Athleten ihr schweres Bein auf einen Stuhl und lud jedermann ein, sich zu überzeugen, daß ihr weicher Lederschuh sich bis dicht unters Knie um die Wade schmiege. »Das ist Paris«, sagte sie andächtig. Um wieder den Boden zu erreichen, hing sie sich voll und lastend um die Schulter des Thronfolgers, der neugierig über sie gebeugt stand. Er entwand sich, halb erstickt, der schönen Frau. Er führte das Taschentuch an die Stirn und murmelte unsicher, mit einem schiefen Blick auf von Hinnerich:
»I mag ka Weib.«
Noch stark angegriffen, schrie er mit gewaltsamer Munterkeit:
»Frau Herzogin, was sagen Sie denn zu unserer Fatme? Ist sie nicht ein lieber Schneck?«
Sie reichte der Türkin die Hand.
»Gnädige Frau, von allen Meinungen, die vorhin geäußert sind, hat mir Ihre am besten gefallen. Sie war echt.«
»Hoheit ist zu freundlich«, erwiderte Fatme mit süßem Kinderlächeln. Phili flüsterte:
»Na, die andern haben schon strohdumm dahergeredet. Hoheit wissen ja: wenn ich könnte ... Man erlaubt mir leider nichts, aber mit den andern bin ich nicht zu verwechseln, da muß ich schon bitten. Die Friederike schwätzt, was Platz hat ...«
Fatme fiel ein.
»Nichts gegen Ihre Gemahlin, Königliche Hoheit! Sie ist meine liebe Freundin.«
»Weil ihr beide so liebe Männer habt. Drum hockt ihr immer beisammen und erzählt euch, wie's euch so wohl ist.«
»Ich möchte den Pascha kennenlernen«, sagte die Herzogin.
»Ich bring ihn zu Ihnen, Hoheit. Oh, er ist stark und energisch«, erklärte Fatme mit Ehrfurcht.
»Ganz den Eindruck hat er mir auch in Ihrer Erzählung gemacht.«
Fatme seufzte.
»Leider ist er mir untreu – gerade wie der da meiner armen Friederike.«
»Da schaut's die an!« rief Phili. »Habt's denn ihr euch gegen die bestehende Ordnung der Dinge zu empören? Der Pascha hat seinen Harem, das ist ja recht, und ich hab auch meinen Harem.«
»Sie auch, Königliche Hoheit?«
»Kann ich denn nicht alle miteinander haben? Die Paliojoulai, die Tintinovitsch, was meinen's denn? Die Schnaken will mi a! 's scheniert mich ordentlich, wenn sie's vor der ganzen Gesellschaft durchblicken lassen. Der Percossini ist auch ein Lump. Immer hat er Mädeln, die er mir anbietet. Ah was –«
Er wandte sich halb ab und sah, das blasse Händchen im dünnen Backenbart, schmollend zu Boden.
»I mag ka Weib.«
Fatme seufzte wieder, in Gedanken verloren.
»Wenn ich ihm nur auch einmal untreu sein könnte.«
»Dem Pascha?« fragte die Herzogin. »Sie lieben doch Ihren Gemahl, gnädige Frau?«
»Eben darum. Er soll's einmal merken, wie das tut. Aber das ist ja das Unglück, es geht nicht. Was ich hier anstelle, unter den Christen, in Pariser Toiletten, das ist dem Manne ganz gleich.«
»Wirklich?«
»Nur im Harem, da leidet er's nicht, da darf nichts vorkommen.«
»Ach nein«, meinte Phili, aufs neue angeregt.
»Drum möcht ich so gern einen Mann in den Harem bringen.«
»So gern«, wiederholte sie mit gefalteten Händen.
»Ach gehn's, nehmen's mi mit«, bat der Prinz.
»Der Pascha hat wohl einen krummen Säbel?« fragte lächelnd die Herzogin.
»Das ist es ja«, bestätigte Fatme mit weit geöffneten Augen.
Der Thronfolger wollte etwas sagen, schloß aber eilig den Mund. Seine Gemahlin war aus den Tiefen ihres Sessels aufgetaucht, sie glitt lang und lautlos auf die Plaudernden zu. Fatme zog sich mit Phili zurück. Die Prinzessin legte ihre kalte, magere Hand auf den Arm des Gastes, sie begann merklich verlegen:
»Wie befinden Sie sich, meine liebe Herzogin? Ist es hier nicht kalt? Wie mich im Süden friert! Die Zugluft aus den Kaminen! Und dieser steinerne Prunk!«
Sie warf trostlose Blicke über die vergoldete Dutzendeinrichtung für Königsschlösser, die den Raum halbleer ließ.
»Und dann die geistige Öde! Wenn wir über die höchsten Probleme debattieren – Sie dürfen nicht meinen, liebe Herzogin, daß ich mich mit den hohlen Phrasen begnüge, die hier in der Luft schwirren. Verwechseln Sie mich nicht mit meiner Umgebung ...«
»Wie könnte ich! Eure Königliche Hoheit haben soviel nachgedacht ...«
Aber die Prinzessin schien noch nicht erleichtert.
»Wenn das Volk wüßte – wir Großen sind auch nicht immer glücklich«, versetzte sie schleppend, und dann leise, hastig, mit überstürztem Entschluß:
»Sehen Sie meinen armen Mann ... Wir beide sind recht sehr zu bedauern. Jeder nutzt seine Schwäche aus, ich glaube, Percossini verkauft ihm Kognak. Der Baron ist gar zu industriös veranlagt ... Und die Frauen! Alle werfen sich dem Thronfolger an den Hals. In Stockholm ahnte mir nicht, daß es solche Sitten gebe ... Er weint manchmal in meinem Schoß und klagt mir – aber was wollen Sie, er ist schwach. Sehr schwach ...«
Sie grub ihren starren, blassen Blick in das Gesicht der anderen. Flehentlich, mit versagender Stimme wisperte sie:
»Ich weiß, er stellt Ihnen nach. Bleiben wenigstens Sie kalt und standhaft! Eine anständige Frau ... Wie wollte ich Sie achten!«
Der Herzogin blieb keine Zeit zu antworten. Sie spürte noch einmal den Druck von kalten Fingern auf ihrem warmen Arm, dann hatte Friederike sich ihren horchenden Höflingen zugewendet. Phili war sogleich bei der Herzogin.