Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 22
Ihr Tag hatte im Harem begonnen und in einer Volksrede gegipfelt; sie beschloß ihn auf dem Hinterdeck einer schwerfälligen Segelbarke, allein und flüchtig. Zu ihren Füßen öffnete sich eine Luke über der Küche und dem Schlafraum des Schiffers; ein übler Geruch stieg heraus. Vorne auf einer Taurolle saß Pavic und hielt seinen Knaben umschlungen. Beim Einsteigen hatte sie zu ihm gesagt, lachend und mit leiser Geringschätzung:
»Sie wissen, Herr Doktor, Opfer verlange ich von Ihnen nicht mehr. Sie dürfen dableiben.«
Er hatte sie groß und innig angeschaut:
»Wohin Sie gehen, Hoheit, dahin gehe ich.«
Er liebte sie, er litt unter ihrem Schicksal, und er war in großer Angst für die eigene Person. Nach dem Verschwinden seiner Beschützerin würde ihm selbst der Garaus gemacht werden, das wußte er. Nun gab er sich, hinter der aufgespannten Leinwand, die ihm ihre Gestalt verbarg, peinlichen Gedanken darüber hin, was für ein Gesicht sie wohl mache? Was sollte jetzt aus ihnen beiden werden? Wenn sie am Morgen einsam und verloren in der Weite einander wiedersahen, als was für Menschen würden sie sich begrüßen? ›Ich bin doch ihr Geliebter‹, sagte Pavic sich, ohne daran zu glauben.
Aber es konnte sein, daß die Verbannung ihren Hochmut brach! ›O gewiß, sie wird noch demütig werden gleich uns Armen! Was ihr und mir zustößt, ist heilsam‹, so überlegte er, ergeben in die Fügung. ›Und dann ... und dann ...‹ Aus der Verstörtheit des plötzlich ganz Entgleisten richtete sich eine neue stürmische Hoffnung auf. ›Dann bin ich ihr wieder, was ich ihr früher war! Alle haben mich angestaunt als Helden, nur sie tat es niemals mehr, seit ich damals ... nicht starb. Ah! Jetzt bin ich gerächt! Zu mir wird sie sich flüchten in der Fremde, unter den Verächtern. Denn sie werden sie, die Gestürzte, verachten ... Wer weiß, vielleicht lernt sie die Armut kennen ...‹
Pavic begann, damit sie ihm gehören könne, für seine Herrin das äußerste Elend herbeizusehnen.
Plötzlich meinte er sie rufen zu hören. Er sprang mit der Eile seines schlechten Gewissens von seinem Sitze auf, stolperte über eine Kette und schlug hin, die Beine in der Luft. Sein rechter Fuß stieß heftig gegen den am Bootrand schlummernden Knaben. Pavic raffte sich entsetzt vom Boden auf: das Kind war verschwunden. Der Vater wollte es nicht glauben, er tastete, auf den Knien rutschend, in der Dunkelheit umher. Dann richtete er sich steif empor und stieß einen rauhen Schrei aus. Der Schiffer lief herbei, er reffte die Segel. Sie ruderten gemeinsam zurück und suchten. Sie ließen Laternen über Bord; die blutigen Lichter glitten die Wand hinab und herauf, wie rotgeweinte Augen, die nichts fanden.
Die Herzogin sagte ihm kein Wort. Er schlich zurück hinter das wieder aufgespannte Segel. Die Luft der Mainacht trug ihr seine zerrissenen Klagelaute zu, und sie wußte nicht, wovon es sie jetzt fröstelte, vom Winde oder von seinem Schluchzen. Sie hatte nur einen leichten Ballumhang über den nackten Schultern. Der Morlak, der die Barke lenkte, legte ihr seinen weiten Mantel um. Die Nacht verging ihr in peinvoller Schläfrigkeit; jedesmal im Augenblick des Einschlummerns schrak sie empor.
Einmal, als sie die Augen öffnete, hatte das Meer die Finsternis durchbrochen, von der es gebannt gehalten war. Eine graue Schlange, krümmte es sich um sie her und wollte sie ersticken. Sie stieß, mit einem leisen Wehruf, den Alp von sich. Aber ein neuer Schauder ergriff sie; das Kind fiel ihr ein, sie fühlte, wie es hinter ihr im Wasser trieb und den Kopf mit toten Augen nach ihr ausreckte. ›Was will es von mir?‹ dachte sie. Da hörte sie sich selbst sagen: »Sie wissen, Herr Doktor, Opfer verlange ich von Ihnen nicht mehr.«
»Was für ein Unsinn!« flüsterte sie sich zu. »Habe ich ihm denn zugemutet, sein Kind ins Wasser zu stoßen?«
Sie wandte sich hastig um; es schwamm wirklich, in der beginnenden Helligkeit, ein Wesen ihrem Fahrzeuge nach, ein Delphin, der heiter grunzte wie ein Schwein. Unversehens schoß er, schnell und kraftvoll, dem Boote voraus, in den Kreis der Genossen, die umherspielten in den Morgenwellen. Vom Horizont, wo noch die Angstblässe der Nacht hing, sickerten rosige Tropfen als eine Erlösung in das Meer. Es glättete sich und ward durchsichtig. Der Blick tauchte in geahnte Gärten hinab, wo an Pfaden von bunten Muscheln Korallenbäume die bleichroten Äste ausbreiteten und farbenreiche Fungusarten aufblühten inmitten von Tang und Algen.
Nun war der halbe Himmel vom roten Licht überspült. Die Herzogin dachte:
›Wo die Sonne aufgeht, liegt das Land, das ich verlassen habe. Dieser Frühwind kommt dorther, er riecht nach Salz, nach Fischen, nach Uferschlamm, mir scheint, er riecht auch nach dem Moos der Klippen und nach ihrer Einsamkeit. Ich spüre dies Wehen und muß an unabsehbare Steinfelder denken, mit weißen Straßen ohne Ende, an denen nur bestaubte Kakteen wachsen.‹
»Diese Luft sollte der Atem eines freien Landes sein«, sagte sie, tiefernst, vor sich hin.
Das Meer gewann eine azurne Färbung, dann eine ultramarine, und aus dem abgründigen Blau quirlte weißer Schaum herauf, wie ein Zeichen geheimer Erregungen.
›Gestern abend beim Einsteigen habe ich noch gelacht. Warum jetzt nicht mehr? Was ist geschehen? Das Kind ... Oh, das Kind ist nur ein Zeichen für ... etwas, was vorgeht. Bin ich es noch selbst, die erst vor wenigen Stunden in galanter Kostümierung den Staatsstreich einleiten wollte? Wo sind nun die Gesichter, deren Verblüffung mich belustigte! Ich reizte die Armseligen und freute mich, wenn sie boshaft wurden. Ich weiß nicht einmal, ob ich Feste gab, um eine Revolution anzuzetteln, oder ob ich durch Verschwörung und Umsturz meine Geselligkeit beleben wollte. Das prickelnde Hin und Her glücklicher und unglücklicher Zufälle erhielt mich munter. In das grämliche Stilleben der alten grotesken Leute im Königsschloß warf ich mit Faschingslaune die Wörter Freiheit, Gerechtigkeit, Aufklärung, Wohlstand. Es war, als tanzte ich noch in Paris und habe mir eine neue Mode ausgedacht. Soll jetzt etwas Dauerhaftes daraus werden oder gar etwas Tragisches?‹
Sie wehrte ihren Gedanken und sann doch unablässig über zurückgelassenen Bildern. Ein junger Hirt, mit stumm leuchtenden Augen unter der niedrigen, blassen Stirn, stand, die Arme über seinem Stabe gekreuzt, unter dem epischen Himmel, unbeweglich inmitten eines sich drehenden Kreises von Ziegen und Schafen. Ihre Köpfe beunruhigten seltsam, sie erinnerten an heidnische Mythen. Ein junges Weib, bedeckt mit verhärtetem Schmutz, der die Lüste der fremden Beherrscher abwehren sollte von ihrem Leibe, gab ihrem Kinde ein Messer in die Hand. Sie lehrte es den Angriff auf einen magern Hund, der die Zähne fletschte.
Die Herzogin murmelte in brennendem Gedenken:
»Das war stolz und voll tiefen Sinnes! Wie lange ist es schon her, daß ich es sah! Ich habe doch in derselben Liebe gebebt wie jene in Benkowaz unter dem lodernden Wort des Tribunen, und in demselben Haß wie die Alte mit dem Schädel ihres Sohnes. Konnte ich es vergessen? Dies Volk ist stark und schön!«
In ihren Ziegenfellen standen sie, übriggebliebene Bildsäulen aus heroischen Zeiten, neben Haufen von Knoblauch und Oliven, bei riesigen gebauchten Krügen aus Ton, unter großen friedlichen Tieren. Sie waren selbst fast Tier – und fast Halbgott! Vergessene Profile tauchten vor ihr auf, gerade, scharfe Nasen, Münder mit Leidenszügen, lange schwarze Locken. Sie sah ihnen zu wie einst, da sie als weißes Kind von den Klippen vor Schloß Assy hinabschaute zu den Barken, auf denen unbekannte Wesen grüßend an ihr vorüberzogen.
»Ah! Es sind mir keine Schatten mehr wie damals! Ich kenne jetzt ihre Stimmen, ihren Geruch, ihre Sehnen, ihr Blut! Die hageren, feierlichen Gestalten, die zu meinen Fenstern heraufstarrten,