Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann

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Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann

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hat einen Namen genannt, den sie später selbst wieder vergessen hatte. Ich möchte schwören, daß es nicht der ihrige war.«

      Monsignor Tamburini lächelte.

      »Ein Roman? Was Ihr für ein Glück habt, hochwürdige Mutter! Bekommt sie Briefe?«

      »Einmal war am Tore ein Mann aus Rom und brachte ein Paket Wäsche. Ich habe es untersucht, es war Geld darin, aber nichts Schriftliches. Es ist alles sehr geheimnisvoll und fast ängstlich.«

      »Wir werden sehen«, sagte selbstbewußt der Vikar. Er raffte seine Soutane über die Füße hinauf, daß die violetten Strümpfe zum Vorschein kamen, und durchmaß mit großen Schritten, sich kräftig räuspernd, die Vigne. Die Fremde wandte sich nach ihm um und dankte ihm für seinen Gruß. Ihre Züge dünkten ihm eigentlich bekannt. Er stellte sich vor und fragte:

      »Nicht wahr, gnädige Frau, der Anblick dieses Landes fesselt uns wochenlang.«

      Die Dame versetzte:

      »Es ist schön, aber ich bin nicht deswegen hier. Ich bin die Herzogin von Assy.«

      Er fuhr zusammen.

      »Ich hätte es fast erraten!« stotterte er. »Man kennt ja Eure Hoheit aus den illustrierten Blättern!«

      Indessen er sie anstarrte, dachte er: ›Die Oberin, das furchtbare Gänschen, hat also recht, wir erleben Abenteuer.‹ Er sammelte sich.

      »Welch seltsames Zusammentreffen! Hier im weltfernen Klostergarten finde ich die hohe Frau, die Heldin und die Märtyrerin, deren großartigem Kampf für eine heilige Sache wir alle voll atemloser Angst gefolgt sind ...!«

      Er redete mit eherner Stimme, seine mächtigen Hände griffen aus. Er hatte die niedrige, durch eine Haarsträhne geteilte Stirn, die kurze, gerade Nase und das starke Untergesicht des Römers und stand bieder und massig vor sie hingepflanzt; doch unter ihren schweren Lidern prüften seine kleinen Augen sie, beweglich und tiefschwarz. Die Herzogin lächelte:

      »Heldin – kaum. Märtyrerin – ich weiß nicht. Jedenfalls keine besonders tapfere, da ich mich hier verkrochen habe. Aber, glauben Sie mir, Monsignore, die Langeweile verleiht Mut. Bevor Sie kamen, hatte ich gerade fünfmal gegähnt, und kaum erblickte ich Sie, war ich entschlossen, mich Ihnen zu erkennen zu geben.«

      »Sie haben Furcht gehabt ... vor ...?«

      »Ganz recht. Vor der Auslieferung.«

      Er hatte sich nicht denken können, was sie fürchtete. Sie hielt sich also für verfolgt? Wie unnötig! Die Machthaber in ihrem Lande waren gewiß sehr froh, sie los zu sein. Seither war es dort beinahe still geworden, wußte sie das nicht? Er öffnete den Mund, um es ihr zu sagen, schwieg aber und wiegte den Kopf. Wenn sie Furcht hatte, warum wollte er sie ihr nehmen? Aus der Furcht eines andern ließ sich immer irgendein Vorteil ziehen. Er sagte fett und überzeugt:

      »Hoheit, ich verstehe das.«

      Er hatte nachgedacht und belebte sich.

      »Die jetzige räuberische Regierung Italiens ist stets zu jeder Schandtat bereit. Die Tyrannen Ihres Heimatlandes brauchen bloß in Rom den Wunsch zu äußern, und Sie, Frau Herzogin, werden schonungslos ausgeliefert.«

      »Sie glauben?«

      »Da gibt's keinen Zweifel. Solange Sie allein und schutzlos sind, heißt das.«

      »Wer sollte mich schützen?«

      »Das kann nur ...«

      »Wer?«

      »Die Kirche!«

      »Die Kirche?«

      Er ließ sie nachdenken.

      »Warum nicht«, äußerte sie schließlich.

      »Vertrauen Sie sich der Kirche an, Frau Herzogin! Die Kirche vermag mehr, als Sie ahnen. Was ohne sie fehlgeschlagen ist, vielleicht – vielleicht gelänge es mit ihrem Beistande!«

      Sie überhörte seine gedämpfte Andeutung.

      »Ich könnte dann in Rom frei umhergehen?« fragte sie.

      »Frei und sicher, ich bürge dafür.«

      »Nun dann – meinetwegen. Und rasch, Monsignore, rasch! Sie sehen, ich langweile mich.«

      »Sofort, Frau Herzogin. Heute abend, nach Beendigung des hiesigen Festes. Ich hole Eure Hoheit in meinem Wagen ab.«

      Er verabschiedete sich mit geistlichem Anstande. Draußen erwartete ihn das Orchester. Unter Marschgebläse gelangte er zum Dom und zelebrierte das Hochamt. Am Abend, als vom Stadtplatz zum stahlblauen Sternenhimmel Raketen schossen, hielt sein Wagen an der Klosterpforte. Sie öffnete sich halb, die Herzogin bestieg das Gefährt. Sie reichte der knicksenden Oberin die Hand, das Gesicht der Alten ruhte elfenbeinfarben im Frieden ihrer weißleinenen Flügelhaube. Hinter den kleinen Öffnungen in der kahlen gotischen Fassade spähten die müden Augen junger Nonnen.

      Der Vikar erreichte mit seiner unverhofften Begleiterin auf einem Seitenwege die Campagna. Die Pferde mußten laufen; um elf Uhr waren sie beim Tor, kurz darauf auf dem Monte Celio. Dort stand das kleine Haus eines Prälaten, der plötzlich nach dem Orient entsandt war. Es war vollständig möbliert zu vermieten. Die Herzogin übernachtete darin. Am Morgen war sie entschlossen, dazubleiben.

      Das Häuschen lag auf dem Rücken des verlassensten der römischen Hügel, in der Tiefe eines verwilderten Gartens. Davor, auf dem von zerbröckelnden Mauern eingehegten, ungepflasterten Platze sonnte sich die Navicella, das bemooste, geborstene Brunnenbecken in Schiffsgestalt. Es träumte von Tagen, als drüben Trinitarierritter klirrend auf die Schwelle ihres Hauses traten. Noch erhob sich über der verschlossenen Tür das Sinnbild des Ordens, ein weißer und ein Mohrensklave, die zur Rechten und zur Linken des segnenden Christus von ihrer Befreiung zeugten. Aber die Front ragte vor zusammengesunkenen Wänden ins Leere. Das Geräusch weniger Schritte verirrte sich an den Ort. Vom Kloster der heiligen Johannes und Paulus her schlürften manchmal durch den Bogen des Kaisers Dolabella die Sandalen eines Mönches.

      Seitwärts unter ihrem überspringenden Dache hatte die weiße Villetta der Herzogin einen Pfeilergang. Von dort erblickte sie, eingerahmt von den beiden Zypressen, die an ihrem Gartengitter sich zueinander neigten, das Kolosseum und das Trümmerfeld des Forums.

      Im Innern klapperten die Absätze auf roten Fliesen. Die Zimmer waren dunkel tapeziert oder geweißt. Die Möbel luden durch Formen und Stellungen zum Meditieren ein oder zum Beten. Etwas Sachtes und leicht Dumpfiges hing wie unsichtbare Spinnengewebe in allen Räumen; es glich einer Erinnerung an alte Bücher, schwarze, behutsam gleitende Gewänder und längst abgestandenen Weihrauch. Die Herzogin dachte an Monsieur Henry, ihren spottsüchtigen Lehrer.

      ›Ich will ihm doch schreiben, wohin ich nun geraten bin.‹

      Sie benachrichtigte Pavic. Er stellte sich alsbald ein und brachte San Bacco mit. Der Freiheitskämpfer ging feierlich auf sie zu; sein Gehrock war über den Hüften zusammengeschnürt und stand oben offen. Blitzenden Auges sagte er:

      »Willkommen, Herzogin, im Exil!«

      »Marquis, ich danke Ihnen!« erwiderte sie mit leiser Parodie seines tragischen Tonfalls.

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