Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich Mann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann страница 28
Tamburini machte sich von neuem an Lilian Cucuru heran:
»Singen Sie doch etwas«, sagte er, und unter dem süßen Schleim, worin er seine Aufforderung einwickelte, grollte etwas Plumpes, wie die Drohung eines Herrn und Besitzers. Sie wand sich, ohne ihn anzusehen. Ihre Mutter rief scharf:
»Du hörst doch, Lilian, man bittet dich zu singen. Wozu bekommst du die teuren Stunden?«
Das Mädchen blickte hilflos auf die Herzogin. Diese fragte:
»Wollen Sie mir eine Freude machen, Prinzessin Lilian?«
Sie erhob sich sofort und ging langsam die Galerie zu Ende. Dort blieb sie stehen und sang irgend etwas. Man sah sie undeutlich. Ihre Stimme huschte ängstlich und wie vom Schatten erstickt durch den Raum. Die schimmernde Figur des Marmorknaben hinter ihr legte einen Finger auf den Mund. Man klatschte; darauf kam sie zurück, müde und ohne eine Spur von Erwärmung in Wangen und Augen.
Es ging auf Mitternacht, die Herzogin brach auf. Sie sollte den Wagen des Kardinals benutzen, und als sie die Länge der Fahrt beklagte, bot sich ihr die Contessa Blà zur Begleitung an.
Die beiden Frauen fuhren die Lungara zu Ende. An der Ecke des Borgo entstiegen dem Hintergrunde flüchtig ein paar Säulen von den Kolonnaden Sankt Peters. Vor den Osterien saß das Volk bei Windlichtern und trank Wein. Einige spielten schreiend Morra.
»Die arme Lilian sieht aus wie ein Opfer ohne Rettung«, bemerkte die Herzogin. Die Blà erklärte:
»Ein Opfer der mütterlichen Politik. Die Cucuru hat ihr Vermögen verloren. Sie ist überaus geschäftskundig und zieht Wechsel auf die Zukunft ihrer Töchter; aber doch wohl zu hohe Wechsel, es wird nichts übrigbleiben. Haben Sie nie etwas von dem verstorbenen Fürsten gehört?«
»Doch. Er soll das Seinige an Schauspielerinnen verschenkt haben.«
»Man tut ihm unrecht, er gab es ebensogern den Schauspielern. Er war ein heftiger Verehrer des Brettls, und wo immer in Neapel oder im ganzen Königreich ein solches Institut mit Schwierigkeiten kämpfte, da half er aus. In späteren Jahren reiste er selbst mit einer Truppe. Er saß allabendlich im Frack und mit schwarzer Perücke, steif und tiefernst, unter einem schofeln, lärmenden Publikum. Am Schluß stieg er auf die Bühne und verbeugte sich. Die Mimen waren seine Kinder, er verheiratete sie und stattete sie aus, schlichtete ihre Eifersüchteleien und nahm ihnen ihre Liebesbeichten ab. Seine Familie hatte schon bei seinen Lebzeiten nichts. Die Fürstin ist seit vierzig Jahren die Mätresse des Kardinals Burnsheimb.«
»Noch immer?« rief die Herzogin ganz erschrocken.
»Beruhigen Sie sich, Hoheit. Sie haben gehört, was der Kardinal sagte: Alles zu seiner Zeit. Jetzt ist es nicht mehr an der Mutter, für den Unterhalt der Ihrigen zu sorgen: Lilian muß dies tun.«
»Auf dieselbe Art?«
»Schlimmer, finde ich. Denn eine feingeborene Frau sträubt sich auch noch in der letzten Not gegen einen Tamburini.«
Sie ließen das Kastell und die Engelsbrücke hinter sich und rollten durch den Korso Vittorio. Zwischen dem trotzigen Cäsarengrab und den kläglichen Ruinen der unfertigen Straße tanzten in Flatterröcken über den blinkenden Fluß die späten, fleischesfrohen Genien. Aus den scharfen Schatten der Neubauten schlichen unbestimmte Gestalten, mager und faul, hinaus ins Mondlicht. Sie reichten den Dirnen, die ihnen ohne Hut, mit geöffnetem Brusttuch, schlenkernd und wiegend entgegenkamen, die weichen Verbrecherhände und gähnten.
»Wirklich ... Tamburini?« wiederholte die Herzogin. »Er hat den Anstand, den sie in den Sakristeien lernen. Zu Hause muß er gemein sein.«
»Er ist Sohn eines Bauern und ein Bauer mit allen bäuerlichen Eigenschaften. Die stärkste ist der Geiz. Die arme Lilian wird von ihren Sünden nicht satt.«
»Und wozu diese Barbarei, wozu?«
»Vor drei Jahren liebte Lilian den Prinzen Maffa. Ich sage nicht, daß sie nicht auch jetzt liebt. Er brauchte Geld. Nach einer Weile hochmütiger Koketterie hat sie bei der Nachricht von seiner Verlobung den Kopf verloren und sich ihm schriftlich angeboten. Der Brief ist im Klub des Prinzen herumgereicht worden, und die alte Cucuru hat ihre Tochter, um von der armen Jugend zu retten, was zu retten war, dem Tamburini zugeführt.«
»Einem kleinen Priester! Wie genügsam.«
»Auch Monsignore Burnsheimb war ein kleiner Priester, als die Fürstin ihn erhörte. Seitdem ward aus ihm ein Kardinal. Die Mutter hofft, der Purpur werde der Tochter nachfolgen in das Bett ihres Monsignore. Was wollen Sie, an so etwas glaubt man eben. Überdies ist für ein verunglücktes Mädchen das Bett eines Monsignore ein wahres Reinigungsbad. Ich weiß nicht, Frau Herzogin, ob Ihnen diese Anschauung frommer Leute bekannt ist?«
»Ich bin glücklich über diese Anschauung, falls sie der armen kleinen Lilian zugute kommt.«
»Oh, manche sehen ihren Fehltritt schon jetzt als gesühnt an, und in einiger Zeit könnte sie sich standesgemäß verheiraten, wenn ...«
»Wenn sie nicht so traurig wäre, die traurige Prinzessin.«
»Nicht bloß traurig. Zu ihrem Unglück scheint sie Wert zu legen auf Menschenwürde. Ich fürchte fast, sie lebt innerlich in Empörung!«
»Sie weiß wenigstens, warum. Und der Kardinal? Er hat das alles geschehen lassen?«
Ihr Wagen lenkte ein, sie befanden sich bei der Kirche Gesù. Vom Korso her bewegten sich Gruppen heimkehrender Theaterbesucher. Rauschende Frauen näherten ihre geschminkten Gesichter den Schnurrbärten von Stutzern an den Tischen vor den strahlenden Kaffeehäusern. Dem Lachen und Summen die Trottoirs entlang, dem Klappern von Geld und Kristallen, den mutlosen Rufen der Alten und der Kleinen mit Zeitungen und wächsernen Zündstäben gesellten sich ferne Orchesterklänge, als käme ein Nachtvogel herbeigeflattert zu andern.
»Der Kardinal«, sagte die Blà, »er war immer nur ein Frauchen, wie seine Freundin sich ausdrückt. In den Duetten der beiden hat die Cucuru die Männerstimme gehabt. Jetzt ist ausgesungen, er hat sich den Vergewaltigungen durch ihr hartes Organ entzogen. Einzig seine Leidenschaft für teures altes Gerumpel war imstande, ihm dazu Kraft zu verleihen. Nun genießt er seine Selbständigkeit und gibt, mit dem Eigensinn der Schwachen, der alten Freundin nicht einmal das, was er ihr anständigerweise geben müßte.«
»Also ein einfacher Egoist?«
»Kein einfacher: ein feiner, der unter Umständen auch fähig wäre, Gutes zu tun, bloß aus Neugier und ohne an das Gute zu glauben. Wenn man seine weibliche Neugier kitzelte, so könnte er vielleicht sogar Teilnahme fassen für den Freiheitskampf der Völker!«
»Aber die Freiheit lieben ...?«
»Niemals. Sie wird ihm so gleichgültig bleiben wie die Frage, ob es in zwanzig Jahren noch Kirchenfürsten geben wird. Es genügt ihm, daß er selbst einer ist.«
»Dieser alte Mann ist unheimlich eisig. Gehört er nicht zu den böhmischen Burnsheimbs?«
»Er stammt von säbelrasselnden Draufgängern mit Stallduft, vor denen er sich verstecken mußte in seiner Zartheit und Geistigkeit. Ich kann es mir denken, als Jüngling hat er viel geheuchelt, ist scheu geworden und krankhaft eigensüchtig. Das geistliche Gewand nahm er bloß, weil das in jener Umgebung für ein Wesen wie das